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Wenn die Brust ruft

Biologie. - In der neusten Ausgabe des Fachblattes "Nature" berichten französische Wissenschaftler, dass es ihnen gelungen ist, eine Signal-Substanz zu isolieren, die eine Schlüsselrolle bei der Vermehrung von Kaninchen spielt. Diese Substanz weist neugeborenen Kaninchen den Weg zur Brust der Mutter. – Eine Entdeckung, die in Nature als ein Meilenstein der Wissenschaft in diesem Bereich gepriesen wird: Es ist erstmals gelungen mit einer Kombination aus analytischer Chemie und Verhaltensforschung etwas Neues zu lernen über das spezielle Verhältnis zwischen Müttern und ihren Neugeborenen.

    Von Jan Lublinski

    Geschrei signalisiert, dass ein Baby Hunger hat. Kaum ist es in der Nähe der Brust, beruhigt es sich. Es dreht den Kopf hin und her, sucht – und findet. Ein Wunder der Natur, das Benoist Schaal vom Centre Européen des Science du Gout in Dijon erforscht:

    Interessanterweise zeigen nicht nur Babys, die normal gestillt werden, diese Reaktion. Auch Babys, die immer nur mit der Flasche ernährt wurden, orientieren sich zur menschlichen Milch hin, wenn sie diese zum ersten Mal riechen.

    Wie die Orientierung mit Hilfe des Geruchssinns aber im Einzelnen abläuft - von der ersten Wahrnehmung bis zum Finden der Brust und dem Einsetzen des Saugreflexes - ist noch unverstanden. Schaal hat diese Prozesse in den vergangenen sieben Jahren an Kaninchen untersucht. Kaninchen zeigen in der Stillbeziehung ein sehr ungewöhnliches Verhalten. Die Mütter besuchen ihren Nachwuchs nur einmal am Tag. Schaal:

    Der Besuch der Kaninchen-Mutter dauert nur vier oder fünf Minuten. Die Säuglinge müssen also sehr schnell reagieren, wenn sie genug Milch bekommen wollen. Dabei kommt es zu einer sehr harten Auslese: Die Mutter hat nur acht Zitzen und mitunter zwölf, 13 oder 14 Säuglinge.

    Den Kaninchenbabys bleibt nicht anderes übrig als in kürzester Zeit vom tiefen Schlaf zur höchsten Aktivität zu wechseln: Sie finden innerhalb von 15 Sekunden zur Mutter – und das mit geschlossenen Augen. Es muss also ein sehr starkes Signal geben, dass sie weckt und die Bewegung zur Mutter hin stimuliert.

    Um herauszufinden, worin dieses Signal besteht, haben Schaal und Kollegen 150 verschiedene Duftstoffe in der Kaninchen-Mutter-Milch mittels der sogenannten Gaschromatographie chemisch getrennt und den Hasenbabys als Riechprobe angeboten. 20 dieser Duftstoffe haben die Forscher in die engere Wahl gezogen und synthetisch hergestellt. Das Ergebnis einer zweiten Testreihe war für Schaal eine große Überraschung: Es stellte sich heraus, dass nur ein einziger Duftstoff namens 2MB2 die Kaninchenbabys anregt. Belegen konnte Schaal dies per Gegenbeweis:

    Wenn man die Kaninchen-Milch abpumpt und einige Zeit stehen lässt, verliert die Milch ihren Aktivationseffekt. Die Babys reagieren nicht mehr. Wenn man dann aber diesen speziellen Duftstoff der Milch erneut beimengt, dann reagieren die Kleinen wieder so wie bei der frischen Milch.

    Die Substanz 2MB2 wird in der Brust gebildet, unabhängig davon, was die Mutter zu fressen bekommt. Schaal hat den Duftstoff auch Mäuse-, Katze- und auch Hasenbabys angeboten – die aber zeigten sich wenig interessiert. Offenbar handelt es sich um ein artspezifisches Geruchserlebnis: Ein sogenanntes Pheromon also, einen Duftstoff der die Mitglieder einer Art zu einem bestimmten Verhalten anregt. Welche Pheromone bei anderen Säugetieren und dem Menschen wirksam sind ist bislang noch unbekannt. Schaal:

    Wir wissen, dass auch hier der Duft die zentrale Rolle spielt, aber wir wissen nicht, worin die chemische Botschaft besteht. Ich hoffe, dass unsere Erkenntnisse an Kaninchen dazu beitragen, dass die Forschung sich den Signalprozessen der Säugetiere wieder neu zuwendet.

    Benoist Schaal will in Zukunft mit Hirnforschern zusammenarbeiten, um herauszufinden, welche Regionen im Gehirn von den Duftstoffen aktiviert werden. So könnte es eines Tages möglich werden, in einem interdisziplinären Projekt zwischen analytischer Chemie, Verhaltensforschung und Neurologie, das Wunder der Mutter-Kind Beziehung ein wenig besser zu verstehen. Schaal:

    Es ist wirklich ein Wunder zu sehen, dass es in dieser Stillsituation immer das Kind ist, bei dem die letzte Entscheidung liegt. Auch wenn die Mutter dem Kind hilft, es günstig positioniert und so weiter. Letztlich ist es das Kind, das die Brustwarze in den Mund nimmt und sie erkundet.