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Wenn die Chemie stimmt

Biologie. - Dass Hormone nicht nur den Stoffwechsel lenken, sondern sich auch in unsere Gefühlswelt einmischen, ist keine neue Erkenntnis. Doch einige Brisanz steckt in einer neuen Entdeckung von Schweizer Forschern: Hormone können auch unser Vertrauen in Menschen beeinflussen.

    Wenn der Frühling kommt und mit ihm Licht und Wärme zurückkehren, dann sprießen allerorten auch Frühlingsgefühle unter den Zeitgenossen. Denn der Körper reagiert auf die Umwelt und ändert den Hormonhaushalt. Durchaus kein Grund zur Klage, wenn die Natur den Menschen derart an der Nase führt und ihm vielleicht zu etwas Glück verhilft. Was aber, wenn uns Hormone auch in sehr viel nüchterneren Situationen den Weg weisen - wenn es vor allem auf Rationalität ankommt? Was, wenn Hormone uns in die Irre führen, wenn wir etwa Verträge oder Abmachungen eingehen?

    Bote aus dem Hypothalamus
    Genau das, so fanden Michael Kosfeld und sein Team von der Universität Zürich heraus, tut offenbar ein Botenstoff, zu dessen Aufgabengebiet normalerweise die Wehenauslösung unter der Geburt gehört und der auch die mütterliche Fürsorge steigert. Damit aber nicht genug, denn Oxytocin - so der Name des Hormons aus dem Hypophysenhinterlappen - schenkt uns offenbar auch Vertrauen in andere Menschen. Dies belegen Experimente, die Kosfeld mit Freiwilligen anstellte:

    "Wir verwendeten ein Standard-Vertrauensspiel aus der experimentellen Wirtschaftsforschung, um menschliches Vertrauen in das kooperative Verhalten und in Vertrauenswürdigkeit eines anderen Spielers zu messen."

    Zwickmühle von Sicherheit und Spekulation
    Je mehr ein Spieler in dieser Simulation einem Gegenüber vertraut, desto größer fällt sein Gewinn aus. Weil es sich dabei um echtes Geld handelt, das die Mitspieler hinterher behalten dürfen, ist die Motivation entsprechend hoch. Und das läuft so: Zwei sich völlig unbekannte Probanden treffen nur indirekt aufeinander, ohne sich dabei zu sehen. Einer der beiden erhält nun den Auftrag, dem anderen von einem bestimmten Betrag alles, nur einen Teil oder gar nichts zu überweisen. Sofern etwas überwiesen wird, verdreifacht der Spielleiter die Überweisungssumme und fordert den Empfänger wiederum auf, einen Betrag in der gleichen Weise zurück zu transferieren. So geraten die Spieler in den Zwiespalt, den sicheren Betrag einfach einzustecken, oder aber auf die Ehrlichkeit des Gegenübers und damit auf ein möglicherweise Vielfaches der Investition zu spekulieren.

    "Das misst Vertrauen in dem Sinne, dass der erste Spieler darauf vertrauen muss, dass sich der zweite Spieler nett verhält und dem ersten etwas zurückgibt - also dass er quasi den Kuchen, der durch den Schritt vergrößert worden ist, auch fair teilt."

    Mehr Mut zur Lücke dank Oxytocin
    Hier kommt jetzt Oxytocin ins Spiel. Bei den Tests erhielt eine Gruppe das Hormon per Nasenspray, andere dagegen nur eine wirkungslose Lösung. Das erstaunliche Ergebnis: Unter Oxytocineinfluss waren die Teilnehmer viel eher bereit, ihr Geld jemandem anzuvertrauen als die der Placebo-Gruppe. Auch die Höhe der Einsätze war unter dem Hormon größer.

    "45 Prozent der Oxytocin-Kandidaten überwiesen jedes Mal ihre gesamte Ausstattung, das heißt, sie vertrauten maximal unter dem Risiko, alles zu verlieren. Umgekehrt gingen Placebo-Teilnehmer nur in 20 Prozent ein solches Risiko ein."


    Die Gegenprobe erfolgte am Computer: Ihm vertrauten die Spieler auch unter Oxytocinwirkung ihr Geld nicht so ohne weiteres an. Demnach, so die Wissenschaftler, stärkt Oxytocin vor allem die Kooperationsbereitschaft in zwischenmenschlichen Beziehungen. Zwar muss der genaue Wirkmechanismus noch weiter untersucht werden, doch es bieten sich bereits verschiedene Anwendungen für das Hormon an, darunter in der Angstbekämpfung oder etwa der Autismus, bei dem das Vertrauen in andere fehlt. Dass Oxytocin etwa in der Werbung missbraucht werden könnte, halten die Forscher indes für unwahrscheinlich: Erstens müsste das Hormon stets verabreicht werden, zweitens besitzen Menschen ihr eigenes Warnsystem.

    "Menschen sind komplexer als eine rein biologisch-chemische Maschine. Manche Entscheidungen werden durch diese Prozesse stark beeinflusst, aber es ist nicht so, dass wir komplett irrational handeln."

    [Quelle: Sabine Goldhahn]