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Wenn die Eltern im Ausland arbeiten

Rund 350.000 Kinder wachsen laut einer Erhebung von Unicef in Rumänien allein auf, weil ihre Eltern im Ausland arbeiten. Die rumänische Politik hat bisher weitgehend ignoriert, welchen Preis die Gesellschaft für die Milliardentransfers rumänischer Arbeitsemigranten zahlt - noch gibt es staatlicherseits für die allein gelassenen Kinder kaum Sozial- und Betreuungsmaßnahmen. Um so beeindruckender sind die wenigen Privatinitiativen im Land, mit denen Kindern geholfen werden soll. Eine davon ist das Projekt "Die Kinder kümmert es" in dem südrumänischen Städtchen Topoloveni. Keno Verseck hat sie sich angesehen.

    Schon seit Stunden toben die Kinder im Spielraum der Tagesstätte, sie scheinen überhaupt nicht müde zu werden. Jetzt wollen sie noch einmal die Lieder singen, die sie gelernt haben, die Betreuerin lächelt über soviel Energie.

    Ein Geburtstagslied für Mütter. "An deinem Tag, liebe Mama, da schenke ich dir mein Herz", heißt es in dem Lied. Einige der Mädchen aus der Gruppe singen besonders eifrig. Doch ihre Mütter werden das Lied höchstens am Telefon hören. Denn sie arbeiten im Ausland, manche schon seit Jahren.

    Topoloveni in Südrumänien, halb armes Dorf, halb graues Wohnblockviertel. Offiziell leben hier 10.000 Menschen, tatsächlich sind es weniger. Viele Leute arbeiten im Ausland, auch viele, die Kinder haben. Am Gebäude des Gemeinderates hängt ein Schild mit der Aufschrift: "Die Kinder kümmert es. Dich auch?" Das ist der Name der privaten Initiative zur Betreuung von Kindern, die ohne Eltern aufwachsen. Untergebracht ist die Tagesstätte in einigen Räumen des Gemeinderates.

    "Wann war deine Mama eigentlich zuletzt hier", fragt die Lehrerin. "Ich weiß es nicht mehr", sagt Diana. Die Elfjährige blickt traurig zu Boden. Ihre Mutter arbeitet seit drei Jahren in Spanien als Obstpflückerin, ihr Vater starb bei einem Unfall, als sie zwei war, nun lebt sie bei ihrer Großmutter. Sie kommt jeden Tag nach der Schule in das Betreuungszentrum, isst hier zu Mittag, macht Hausaufgaben und spielt. Jetzt sitzt sie an einem Tisch mit der Lehrerin Liliana Turturoiu. "Du vermisst deine Mama sehr, nicht wahr?", fragt die Lehrerin liebevoll. "Ja", sagt Diana. "Was sagst du ihr, wenn du mit ihr telefonierst", fragt die Lehrerin weiter. - "Dass ich sie lieb habe und sie zurückkommen soll", sagt Diana.

    Die 39-jährige Liliana Turturoiu ist Grundschullehrerin in Topoloveni. Seit langem sieht sie in ihrer Schule jeden Tag die Kinder, die ohne Eltern aufwachsen. Sie ist eine sehr gläubige Frau. Das Betreuungsprojekt "Die Kinder kümmert es" gründete sie im Mai letzten Jahres zusammen mit Kollegen, weil sie nicht mehr zusehen, sondern etwas tun wollte. 20 freiwillige Betreuer und Betreuerinnen kümmern sich hier um zwei Dutzend allein gelassene, zum Teil verwahrloste Kinder. Liliana Turturoiu war es auch, die Diana im letzten Herbst mit in die Tagesstätte nahm. Das Mädchen war depressiv geworden und hatte in seiner Freizeit fast nur noch auf der Straße herum gelungert.

    Spät am Nachmittag, eine winzige Zwei-Zimmer-Wohnung in einem Neubaublock. Diana kommt herein und begrüßt ihre Großmutter Virginia. Die 64-Jährige ist herzkrank und bewegt sich schwerfällig. Kaum sitzt sie, beginnt sie zu schluchzen.

    Großmutter: "Ich muss immerzu weinen. Es ist sehr schwer für Diana, so ohne Vater und Mutter. Ich bin alt und kann mich nicht mehr richtig um sie kümmern. Gott sei Dank gibt es die Tagesstätte, dort hat sie Kinder, mit denen sie spielen kann, und Erwachsene, die ihr bei den Hausaufgaben helfen. Ihr geht es besser, seit sie dort ist, aber ein Kind braucht doch seine Eltern!"

    Diana schaut ihre Großmutter ängstlich an und streichelt sie hilflos, dann legt sie den Kopf an ihre Schulter und schließt die Augen. Die alte Frau starrt vor sich hin.

    Großmutter: " So viele Kinder sind allein, und manche haben es noch schwerer als wir. So ist es, was soll man machen?! "