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Wenn die Frauen allein regieren

Der Kampf für die Gleichberechtigung von Mann und Frau war gestern. Oder dauert er immer noch an? Oh ja, sagt Gioconda Belli: Die nicaraguanische Ex-Guerillera und Dichterin hat nun eine Idee aus ihrem jüngsten Roman Wirklichkeit werden lassen und die "Partei der erotischen Linken" gegründet.

Von Camilla Hildebrandt | 08.06.2012
    "Dass die Realität so aussehen könnte, wie die Fiktion": Die Schriftstellerin Gioconda Belli
    "Dass die Realität so aussehen könnte, wie die Fiktion": Die Schriftstellerin Gioconda Belli (picture alliance / dpa / Jose Mendez)
    "Eine Idee kann Berge versetzten! Während ich die "Die Republik der Frauen" schrieb, habe ich mich für die Möglichkeit begeistert, dass die Realität so aussehen könnte wie die Fiktion. Und das ist nicht unmöglich!"
    So schreibt Gioconda Belli auf ihrer Webseite "www.partidoizquierdaerotica.com", der Partei der erotischen Linken.
    "Wie wär es, wenn wir selbst die "Partei der erotischen Linken" gründen würden? Eine globale Partei heutzutage, wo wir mit der Geschwindigkeit des Internets kommunizieren, ist weder unwahrscheinlich noch unmöglich. Was meint Ihr?"
    Ein Roman über eine Frauenpartei in Südamerika, die das Land von Grund auf verändert, ganz im Sinne einer selbstbewussten Frau und Mutter, die sich um ihr Kind sorgt – das war der Beginn für die Idee ihrer Webseite, sagt Gioconda Belli.
    "Im Roman geht es darum: was würde passieren, wenn die Frauen allein regieren, alle Posten von Frauen besetzt sind? Und es geschehen Veränderungen, die möglich sind! Die Struktur der Gesellschaft hat sich nie geändert zugunsten der Bedürfnisse der Frau. Die Mutterschaft wurde nie berücksichtigt. Auch wurde nicht realisiert, dass sich Mutterschaft und Produktivität die Hand reichen können. Die Arbeitswelt ist nach wie vor auf Männer ausgerichtet."
    "Aus Kolumbien schließe ich mich dieser großen Partei an. Mein femininer Geist ist voller Euphorie bei der Vorstellung, dass wir alles in Realität umsetzen können, wenn wir einen ersten Schritt wagen."
    Schreibt Diana Aponte auf Bellis Webseite im Februar 2012. Im Roman führt die "Partei der erotischen Linken" Kinderhorte an jeder Arbeitsstätte ein, das Pflichtfach Mutterschaft, eine Bildungsreform, Nachbarschaftshilfe, kostenloses Wasser für die Viertel, die sauber gehalten werden. Und Vergewaltiger werden in Käfigen öffentlich ausgestellt.
    "Immer mehr Frauen jeden Altes traten an die Käfige, um die Insassen zu betrachten und ihnen ihre Abscheu ins Gesicht zu schleudern. Am Käfig jedes Gefangenen wurde ein Schild angebracht, das die Gründe für seine Haft erklärte: Juan Pérez. Vergewaltiger. Alter des Opfers: Fünf Jahre. Beziehung: Stieftochter."
    Als Lektüre recht unterhaltsam, mag manch ein Kritiker urteilen. Aber die "Partei der erotischen Linken" in der Realität, eine Bewegung nur von Frauen und zum Wohle der Gesellschaft - eine utopische, naive Idee.
    "Ich wollte eine erotische Linke erschaffen, die ein Leben voller Respekt ermöglicht, mit der Teilnahme aller Menschen an der Gesellschaft. Ich wollte keine Utopie erschaffen, sondern die Notwendigkeit aufzeigen, etwas zu verbessern, jeden Tag. Diejenigen, die sagen, es sei utopisch, sagen es aus Zynismus, denn dahin haben sie sich zurückgezogen, und sind davon überzeugt, dass man nichts mehr verändern kann. Das ist eine sehr praktische Position."
    "Aus Frankreich sage ich: anwesend! Trotz Ferne und Grenzen denke ich, dass wir viel gemeinsam haben!
    Patricia, Dezember 2010."

    Ein Diskussionsort für Frauen, für Ideen und Projekte zur Verbesserung ihrer Lebensumstände soll ihre Webseite sein, erklärt die heute 63-jährige Gioconda Belli. Wie zum Beispiel die Kampagne für Kindergärten an jedem Arbeitsplatz.
    "Das Problem heute weltweit ist die fehlende Vorstellungskraft. Zum Beispiel die Piraten in Deutschland: sehr interessant! Die Leute sehnen sich nach neuen Vorschlägen für die Gesellschaft. Aber wenn dann etwas Neues auftaucht, heißt es: Die sind verrückt!"
    Sie selbst organisiert jedes Jahr ein Poesiefestival in Nicaragua, pflegt ihre Frauen-Webseite, schreibt einen Blog und plant eine Antimüllkampagne mit verschiedenen Künstlern.
    "So kommt man an die Leute heran, nicht durch philosophische Ideen, sondern indem man ihnen zeigt, dass man an ihren Problemen interessiert ist."
    "Ich kann sie nicht mehr hören – diese Unterscheidung in Mann und Frau – aber die Welt wird nur von Männern regiert, und wir müssen das ändern!
    Cristy aus Italien, Dezember 2010."