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Wenn die innere Uhr vorgeht

Genetik. – Unser Tagesablauf wird durch die Uhr bestimmt, zum größten Teil allerdings durch die innere, biologische Uhr. Das ist ein ausgefeiltes System von Stoffwechselvorgängen, denen die Wissenschaftler erst nach und nach auf die Spur kommen. Berliner Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, warum manche biologische Uhren vorgehen.

Von Michael Fuhs |
    Viele Menschen kommen morgens nur schwer aus den Federn. Das kann daran liegen, dass ihre innere Uhr noch "Schlummern" signalisiert, obwohl der Wecker schon lange geklingelt hat. Der oberste Taktgeber für den Körper sitzt im Hypothalamus hinter den Augen. Er gibt dem Menschen einen Rhythmus von ungefähr 24 Stunden vor. Über spezielle Rezeptoren in den Augen wird er an den Hell-Dunkel-Rhythmus der Umwelt angepasst. Diese Synchronisation verläuft nicht bei allen Menschen gleich. Frühtypen gehen gerne zeitig ins Bett und sind morgens hellwach, Spättypen blühen eher abends auf, selbst wenn sie genauso viel Schlaf brauchen.

    "Die genetisch bedingten Frühtypen sind wahrscheinlich etwa zehn Prozent der Allgemeinbevölkerung, während es ungefähr 20 Prozent Spättypen sind, die genetisch dieses Problem haben. Es ist ja keine Störung in diesem Sinne, sondern eher eine Laune der Natur."

    Dieter Kunz leitet die Arbeitsgruppe Schlafforschung der Berliner Charité. Zu ihm kommen die Menschen, denen ihr Rhythmus zum Problem wird, weil sie sich an einen Tagesablauf anpassen müssen, der nicht zu ihnen passt. Frühtypen leiden zum Beispiel häufig darunter, dass sie auf gesellschaftlichen Veranstaltungen, die abends stattfinden, müde und unkommunikativ sind. Spättypen haben Schlafentzug, wenn sie morgens auf der Matte stehen müssen, weil sie abends nicht früh genug einschlafen können. Kunz:

    "Das hat dramatische Auswirkungen auf jeden Bereich der Medizin. Ob das Bluthochdruck ist, ob das Fettleibigkeit ist, ob das Depressionen oder sonstige psychiatrische Erkrankungen sind, die entstehen alle durch chronischen Schlafentzug."

    An einem Extrem, das nur selten vorkommt, hat Achim Kramer jetzt zum ersten Mal entschlüsselt, wie eine Genmutationen die innere Uhr aus dem Takt bringen kann. Er forscht als Chronobiologe an der Charité. Kramer:

    "Im Jahre 2001 haben amerikanische Wissenschaftler eine Familie untersucht, die vier Stunden früher aufgewacht sind und vier Stunden früher ins Bett gegangen sind als normale Menschen."

    Die Forscher stellten einen Stammbaum für drei betroffene Familien über vier Generationen auf. 29 von 70 Menschen hatten das Syndrom geerbt und gehen regelmäßig vor halb neun ins Bett. Alle haben die gleiche genetische Veränderung. Kramer:

    "Wir haben uns diesen Gendefekt genauer angeguckt und dann molekular analysiert, warum eigentlich die innere Uhr davon so betroffen ist."

    Das Uhrwerk wird von einem Satz von Proteinen gesteuert, die in den Körperzellen zyklisch auf- und abgebaut werden. Eines davon ist das Period-2-Eiweißmolekül, an dem Achim Kramer Veränderungen festgestellt hat. Dem Period-2 fehlt bei der Frühaufsteherfamile die Anknüpfstelle für einen Signalstoff. Kramer:

    "Wenn das wichtige Signal, das das Schicksal des Proteins beeinflusst, fehlt, wird das Protein schneller abgebaut und der ganze Kreislauf der Rhythmizität wird dadurch schneller."

    Statt 24 Stunden dauert ein Tag dann nur noch 22 Stunden. In Versuchen an Zellkulturen sehen die Forscher, dass sich der Tag-Nacht-Rhythmus dann jeden Tag um weitere 2 Stunden nach vorne verschiebt. Die Simulation der chemischen Vorgänge am Computer zeigte, dass die Synchronisation mit dem Hell-Dunkel Rhythmus die Uhr der Betroffenen trotzdem zu einem 24 Stunden Tag zwingt. Das komplexe Wechselspiel der beteiligten Proteine wird dabei aber gestört und der Rhythmus um 4 bis 5 Stunden nach vorne verschoben. Ob bei den weniger extremen Frühtypen, die es häufiger gibt, ein ähnlicher Mechanismus wirkt, weiß man noch nicht. Zurzeit werden die Patienten behandelt, in dem man ihnen einen anderen Hell-Dunkel-Rhythmus vorgaukelt. Dazu müssen sie sich abends vor einen hellen Scheinwerfer setzen.