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Wenn die Inseln versinken

Auch in Europa haben wir in den vergangenen Jahren den Eindruck gehabt, dass die Folgen des Klimawandels spürbar werden. Im Vergleich zu den Auswirkungen in den Ländern des Südens sind sie aber eher marginal. Zu spüren ist das auch in Bengalen, im Nordosten Südasiens, wo sich Indien und Bangladesch ein Sumpfgebiet voller Mangrovenwälder mit zahlreichen Inseln teilen.

Von Rainer Hörig |
    Mit gleichmäßigem Tuckern gleitet der kleine Kutter durch den Fluss. Strohgedeckte Lehmhütten ziehen vorbei. Am Ufer spielen Kinder, Fischer flicken ihre Netze. In der Ferne zieht ein riesiges Handelsschiff nach Kalkutta.

    "Sunderbans" - schöner Wald nennen die Bengalen das ausgedehnte Sumpfgebiet im Mündungsdelta der Riesenflüsse Ganges, Brahmaputra und Meghna, das sich Indien und Bangladesh teilen. Ein Gebiet, so groß wie Sachsen-Anhalt, das aus hunderten von Inseln und Sandbänken besteht, durchkämmt von unzähligen Flüssen und Kanälen. Niedrigwachsende Mangovenbäume, Luftwurzeln und Schlingpflanzen bilden ein undurchdringliches Dickicht, das nicht einmal neugierige Blicke einlässt. Dieser, der Welt größte Mangrovenwald bietet rund 7 Millionen Menschen Lebensraum - und auch etwa 500 bengalischen Tigern.

    Nichts ist permanent in den Sunderbans, alles scheint im Fluss. Während die Flüsse ihre Sedimente ablagern und neue Inseln bilden, tragen Meeresströmungen und Sturmfluten das lockere Erdreich wieder ab. Das Leben sei ein ständiger Kampf gegen die Naturgewalten, sagen die Inselbewohner:

    "Während des Monsuns erleben wir stets heftige Stürme, die das Meerwasser landeinwärts drücken"," meint der Bauer Manoranjan Mondal.
    ""Dann steigt im ganzen Delta das Wasser. Wenn dann die Deiche brechen, strömt Brackwasser in die Dörfer und auf die Felder. Das salzige Wasser macht den Boden auf Jahre unfruchtbar und greift die Fundamente unserer Häuser an."

    Bauer Mondal besitzt kein Auto und keine Klimaanlage, er hat niemals in einem Flugzeug gesessen oder ein Deospray benutzt. Doch mit dem weltweiten Klimawandel droht die Zukunft seiner Familie buchstäblich baden zu gehen. Der Meeresspiegel im Golf von Bengalen steigt Jahr für Jahr um 2 Millimeter. Immer häufiger toben tropische Wirbelstürme über den Sunderbans. Wie lange werden sandige Erdwälle die Inseln und ihre Bewohner noch schützen können? Im Januar 2007 ging die Insel Lohachara unter, 6000 Menschen verloren ihren Lebensraum. Am 15. November richtete der tropische Wirbelsturm Sidr, der in Bangladesh über die Sunderbans fegte, im Mangrovenwald große Schäden an. Der Klimawandel forciert ungewöhnliche Wetterereignisse, nicht nur in den Sunderbans:

    "Mit steigenden Temperaturen erhöht sich die Wasseraufnahmefähigkeit der Luft und man kann extremere Wetterereignisse vorausahnen"," erklärt Professor Bhupendra Nath Goswami, Direktor des Indischen Instituts für Tropische Meteorologie. ""Die neueste Forschung bestätigt, dass sich die Anzahl außergewöhnlicher Wetterereignisse über dem ganzen Land erheblich vergrößert hat in den vergangenen fünfzig Jahren."

    Steigende Temperaturen werden die Monsunwinde beeinträchtigen und in einigen Regionen mehr, in anderen weniger Regen bringen, sagt Professor Goswami voraus. Man müsse damit rechnen, dass vielerorts die landwirtschaftlichen Erträge sinken. Dürren, Fluten und Hunger könnten viele Menschen veranlassen, ihr Land aufzugeben und in die Stadt abzuwandern. Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht die rund 7000 km lange Küstenlinie und wird die Landflucht noch verstärken. Drei der größten Städte des Landes liegen am Meer: die Millionenmetropolen Bombay, Kalkutta und Madras:

    Der Klimawandel schmilzt auch die Gletscher im Himalaya, die Asiens große Flüsse speisen. Der Gangotri-Gletscher etwa, der den heiligen Ganges gebiert, zieht sich jährlich um 23 Meter in kühlere Höhen zurück:

    "Einige Studien ergaben, dass die Gletscher im Himalaya zwischen 20 und 30 Prozent ihrer Masse verloren haben," konstatiert Prof. Syed Iqbal Hasnain, Indiens führender Gletscherspezialist." "Angesichts der weltweiten Klimaerwärmung müssten wir davon ausgehen, dass die meisten Gletscher in 20 bis 30 Jahren verschwunden sein werden. Und das werde ernste Auswirkungen auf den Wasserhaushalt in ganz Nordindien haben," so Professor Hasnain."

    Indien muss sich also auf Fluten und Dürren, Hungersnöte und Flüchtlingsströme vorbereiten. Wie so oft werden hauptsächlich die Armen darunter zu leiden haben. Wer von der Hand in den Mund lebt, verfügt im Notfall über keinerlei Reserven.