Archiv


Wenn die Kanzel leer bleibt

Ganz nah an den Menschen sein, sie in ihrem Leben begleiten, in den entscheidenden Momenten bei ihnen sein - diese Beschreibung des Priesterberufs klingt abwechslungsreich und interessant. Warum nur wollen ihn immer weniger junge Menschen ergreifen? Dünn besetzte Priesterseminare und schwach besuchte Informationsveranstaltungen sprechen derzeit Bände und belegen einen Trend, der sich schon länger abzeichnet.

Von Esther Körfgen |
    Der katholischen Kirche in Deutschland gehen offenbar die Priester aus. Hinzu kommen die jüngsten Missbrauchsfälle, die das Image zusätzlich belasten und den Beruf vor neue Herausforderungen stellen. Heute sind nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz 2500 weniger von ihnen im Amt als noch im Jahr 1997. Liegt der Grund im Zölibat, also dem Verzicht auf eine Partnerschaft? Ja, sagen manche und andere widersprechen. Es gebe immer weniger Familien, die ihre Söhne darin unterstützten, ein so genanntes geweihtes Leben zu führen. Nöte, die die evangelische Kirche - noch - nicht hat. Aber in einigen Jahren erwartet sie unter ihren Pfarrern eine große Pensionierungswelle, der weniger Nachrücker folgen werden. Denn in den letzten 15 Jahren hat laut Statistischem Bundesamt die Zahl derjenigen, die ihr Studium der evangelischen Theologie mit einer kirchlichen Prüfung abschließen wollen, um 40 Prozent abgenommen.

    "Campus und Karriere" geht Ausmaß und Ursachen des Priestermangels in Deutschland nach und fragt nach den Folgen der aktuellen Missbrauchsfälle für das Berufsimage. Sie begleitet Menschen, die dieses "geweihte" Leben leben oder sich darauf vorbereiten.



    Benjamin Kalkum, Theologie-Student in Bonn:

    "Ich finde das ist ein ganz toller Beruf und ich glaube, die Welt braucht Priester, die Welt braucht Menschen, die sich wirklich ganz für andere einsetzen mit ihrem ganzen Leben, ob ich selber das sein werde, das kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich glaube nicht, dass ich das leben kann."

    8.40 Uhr Sonntagmorgen. Festen Schrittes eilt Kaplan Hopmann zur Kirche in Neuss-Derikum. Es bleibt nur wenig Zeit, sich auf den Gottesdienst vorzubereiten. In der Sakristei haben sich die Messdiener bereits versammelt und warten auf Anweisung.

    Im Raum nebenan hat der Küster schon das Priester-Gewand parat gelegt. Mit geübtem Griff zieht es sich Kaplan Hopmann über. Die Lektorin muss auch noch schnell instruiert werden.

    "Die Lektoren kommen rein, lesen die Lesung schon einmal durch, dass die beim Lesen nicht ganz neu ist, dass die sich schon mal damit beschäftigen. Und ich ziehe jetzt die liturgische Kleidung an, die man in der Messe braucht."

    Die Kirche ist gut gefüllt, viele Kommunionkinder sind mit ihren Familien gekommen. Kaplan Hopmann wirkt trotz der Hektik gesammelt, als er vor die Gemeinde tritt.

    Deutschland leidet unter Priestermangel. Das spürt der Kaplan an allen Ecken und Enden: Eigentlich sind sie ja zu fünft im Seelsorgebereich "Neusser Süden" mit seinen vier Gemeinden: ein Pfarrer und vier Priester. Aber zwei der Priester sind gerade nicht da, deshalb hat Tobias Hopmann heute Morgen gleich drei Gottesdienste hintereinander.

    "Mir ist bei der Feier der Heiligen Messe wichtig, dass es auch für mich keine, ich sag mal jetzt in Anführungszeichen, Theatervorstellung ist, sondern dass ich da auch innerlich beteiligt bin, dass ich da nicht Texte vortrage oder vorlese, oder auf die Betonung achte oder so, sondern dass ich sie dann wirklich bete. Das ist natürlich in einem begrenzten Maße nur möglich. Ich denk so drei Mal geht das, ich könnt jetzt nicht so weitermachen, bis heute Abend durchgehend Messen feiern würde die innere Beteiligung mit Sicherheit nachlassen."

    Volle Bänke in Neuss - leere Stühle dagegen in Paderborn: im Priesterseminar. Dass Deutschlands Kanzeln der Nachwuchs ausgeht, sieht man hier auf den ersten Blick.

    Drei Männer betreten den Speisesaal. Uwe Wischkony, Leiter des Hauses, oder wie man hier sagt "Regens", und zwei seiner Studenten. Sie wirken etwas verloren in dem riesigen Saal. Nicht einmal jeder zweite Tisch ist gedeckt.

    "Och, wir können gut und gerne das Drei- oder Vierfache an Studenten hier ausbilden und gebrauchen. Wir haben jetzt gut 30, also 120 bis 150 Studenten haben hier gelebt, können hier leben."

    Die meisten Studenten im Priesterseminar gab es nach dem Zweiten Weltkrieg, erzählt der Regens. Aber auch in den 80er-Jahren waren das Konvikt und das Seminar gut besucht. Seitdem geht die Zahl der Studierenden allerdings immer weiter zurück. Hier in Paderborn und auch bundesweit. Derzeit sind in den Priesterseminaren in Deutschland insgesamt 842 junge Männer angemeldet. Und damit 400 weniger als noch im Jahr 1998. Laut einer Erhebung der Uni Erfurt wäre aber das Dreifache notwendig, um die anrollende Pensionierungswelle der starken Priesterjahrgänge auszugleichen und den Personalmangel aufzufangen. So studiert man eben im kleineren Kreis.

    "Die Studenten rücken zusammen, das heißt, wir leben natürlich nur in einem Teil der Gebäude. Die Semester selber sind kleiner, jeder kennt jeden. Ja, man hat auch an der Theologischen Fakultät ein intensiveres Verhältnis zu den Professoren, die Ausbildung wird individueller."

    Im riesigen Leokonvikt, in dem in Paderborn die Studierenden untergebracht sind, stehen drei Stockwerke komplett leer. Demnächst soll es renoviert und zur Fortbildungsstätte umgebaut werden. Man rechnet wohl nicht mehr damit, dass die Zahl der Priesterkandidaten wieder steigt. Hinter alt-ehrwürdigen Mauern bekommen die Studenten neben ihrem wissenschaftlichen Studium eine zusätzliche pastorale Ausbildung.

    "Also bei mir ist der Wunsch, Priester zu werden, oder die Faszination für diesen Beruf schon relativ alt","

    sagt Michael Althaus. Der 23-jährige gebürtige Sauerländer steckt mitten in der Abschlussarbeit. Bald wird er für ein Jahr nach Brasilien gehen und dort arbeiten. Danach wird er wieder in Paderborn am Priesterseminar die anderthalb-jährige Pastoralausbildung absolvieren. Sie bereitet auf die praktischen Tätigkeiten des priesterlichen Dienstes vor.

    ""Wie predigen, Religionsunterricht konzipieren, wie man Gottesdienst feiert. Der Fächerkanon beinhaltet 13, 14 Fächer, die hier an der Theologischen Fakultät gelehrt werden. Und ganz wichtig, sich selber kennenlernen. Eins der wichtigsten Aufgaben, die uns gestellt ist, ist eben die Persönlichkeitsbildung. Die Stärken zu stärken, die Schwächen zu schwächen."

    Die Sozialkompetenzen künftiger Priester müssten heute sehr viel stärker ausgebildet werden als früher, sagt Uwe Wischkony noch. Weil die Männer mehr im Team arbeiten müssten als früher - bedingt durch die Veränderungen der Gemeindestrukturen - der Zusammenlegung mehrerer Pfarreien. Am besten würden die Sozialkompetenzen in Praktika geschult und erworben - in der Gemeinde oder in der Schule. Aber auch durch Gespräche mit einem Psychologen sowie durch psychologische Tests, mit deren Hilfe sie ihre Persönlichkeit kennenlernen. Soziale Kompetenzen werden aber natürlich auch durch das Zusammenleben in der Gemeinschaft erworben. Dieses ist streng geregelt.

    "Das fängt an morgens mit dem gemeinsamen Gebet, das geht weiter über die gemeinsamen Mahlzeiten, das gemeinsame Studieren, gemeinsame Freizeitaktivitäten. Wir haben morgens und abends, oder späten Nachmittag, jeweils Gebetszeiten, das sind sozusagen die Angelpunkte unseres Lebens hier. Dazwischen ist Studienzeit, da gibt den Takt die Theologische Fakultät vor."

    "Also, wenn wir da sind, dann ist der halbe Saal belegt. Die andere Hälfte ist dann frei."

    Die Paderborner Studenten Stefan Kendzorra und Michael Althaus machen eine kleine Hausführung. Der vertäfelte Speisesaal des Konvikts ist genauso riesig wie der des angrenzenden Priesterseminars.

    Stefan Kendzorra läuft über lange teppichbelegte Flure, an weißen Wänden entlang, über steinerne Treppen, in den Internetraum, das Fitnessstudio und schließlich: den Partyraum.

    "Wir treffen uns immer jeden Mittwochabend mit den Studenten aus der Stadt, auch mit den Studentinnen von nebenan, die Gemeindereferentin werden wollen, und trinken zusammen und spielen Kicker und reden miteinander."

    Frauen im Priesterseminar? Die Studenten gucken etwas irritiert bei dieser Frage. Ja und? Natürlich haben sie in ihrem Leben auch schon näher mit Frauen zu tun gehabt.

    Michael: "Ich kenne ein paar Studenten, die aufgehört haben, der eine lebt mit seiner Freundin zusammen, will demnächst heiraten, und ich selber war auch schon verliebt."
    Stefan: "Ich hatte auch schon mal eine Freundin und so, und das ist ja nicht eine Sache, die man so abschneidet, es ist nur die Frage: Will man sein Leben ganz für Gott hingeben dann ist so ein zölibatäres Leben auch möglich. Ja es geht, komischerweise. Es geht wirklich."

    Untereinander reden sie viel über das Thema Zölibat und auch über die eigene Sexualität, erzählen sie. Und reden darüber auch mit dem geistlichen Ratgeber, den jeder hat, mit befreundeten Priestern oder mit dem Pastoralpsychologen. Aktuell beschäftigt die Studenten natürlich vor allem ein Thema: die Missbrauchsfälle, die täglich neue Schlagzeilen machen. Es beschäftigt sie schon deshalb, weil die Menschen heute anders auf die Priesteranwärter reagieren, so meinen sie festzustellen:

    Stefan: "Wir diskutieren da eigentlich schon jeden Tag drüber, beim Frühstück, beim Mittagessen oder sonst wie. Und man gerät ja auch selber in Verdacht, oh du willst Priester werden, irgendwas kann ja mit dir nicht stimmen. Irgendwas passt da bei dir nicht. Weil zurzeit alle in einen Topf geworfen werden. Da wird nicht differenziert, einer war's, sondern da müssen alle so sein. Oder die haben alle ein Problem. Und das ist auch schon verletzend."

    Es sei wichtig, in diesem Haus offen über die Missbrauchsfälle zu sprechen, meint Regens Wischkony. Ob diese allerdings einen Imageschaden für die Kirche an sich verursachten, mit Folgen für die Priesterausbildung, das könne er nicht absehen:

    "Das ist nicht nur ein Imageschaden, sondern das trifft uns ins Herz und es bewegt mich selber persönlich ja auch ausgesprochen, weil ich dann doch den einen oder anderen Betroffenen kenne. Vom Täter her. Welche Folgen das hat, kann ich im Moment noch nicht absehen, das wird man abwarten müssen, ich hoffe, dass es zu einer Klärung kommen wird."

    9.45 Uhr: Kaplan Hopmann setzt sich in sein Auto und fährt nach Neuss-Rosellen zu seinem zweiten Gottesdienst an diesem Sonntagmorgen. Der Kaplan kann beides: Über seinen Beruf erzählen und dabei das Auto sicher über die kleinen Landstraßen steuern, entlang grüner Felder und gepflegter Häuserreihen aus Backstein. Kein kleiner Seelsorgebereich, er besteht aus 13 Ortsteilen von Neuss. Die ehemals vier Pfarreien wurden aufgrund des Priestermangels erst zu zwei Seelsorgebereichen zusammengelegt, vor zwei Jahren dann zu einem. Tobias Hopmann kam erst im vergangenen Sommer hierher. Als Kaplan, als Priester, ist das eigentlich dasselbe? Zum Glück kann Tobias Hopmann solche laienhafte Fragen ohne Weiteres vertragen.

    "Ich bin 2008 geweiht worden im Kölner Dom, also im Sommer zwei Jahre. Priester ist sozusagen die Berufsbezeichnung, und dann bin ich Kaplan. Pfarrer ist immer der Leiter einer Pfarrei, eines Seelsorgebereiches, und wer nicht Leiter ist, hat meistens einen anderen Titel, zu Beginn ist das meistens Kaplan oder könnte auch Pfarrvikar sein."
    Und noch eine Frage: Wollte er eigentlich immer schon Priester werden? Das Lächeln des 36-Jährigen wird jetzt noch etwas verschmitzter. Nö. Keinesfalls.

    "Ich bin von meinem ersten Beruf her Bankkaufmann, habe also nach dem Abitur eine Lehre bei einer großen deutschen Bank gemacht. Wollte da auch eigentlich bleiben, bin auch übernommen worden. Dann stand für mich noch die Frage an: Bundeswehr oder Zivildienst? Ich habe dann Zivildienst gemacht in meiner eigenen Grundschule, wo ich als Kind selber war, und in dieser Grundschule waren inzwischen Integrationsklassen eingerichtet worden, wo also behinderte und nicht-behinderte Kinder gemeinsam beschult wurden."

    Und deshalb ist er Priester geworden? Nein, noch lange nicht. Dann kam erstmal ein Studium. Auf Grundschullehramt. Aber immerhin mit Schwerpunkt Theologie. Hier kam der Hildener in Kontakt mit Priesteramtskandidaten und mit der Frage: Wäre dieser Beruf nicht auch etwas für mich?

    "Ich habe mich anfangs immer dagegen gewehrt, weil ich das nicht wollte, und auch dachte: Jetzt hast du schon zwei Berufe. Jetzt ist mal gut, jetzt musst du nicht wieder was Neues anfangen. Aber ich wurde immer mehr von außen angesprochen, je mehr ich das innerlich ablehnte. Sodass ich dann nach dem Staatsexamen noch in Bonn begonnen habe, Theologie auf Diplom zu studieren."

    Der steile Turm von St. Peter taucht auf: Neuss-Rosellen. Gleich zehn Uhr, hoffentlich ist alles für den Gottesdienst vorbereitet. Der Kaplan jedenfalls ist schon mal da.

    Jeder zweite Priesteramtskandidat hat schon eine Ausbildung gemacht oder sogar einen Beruf ausgeübt, bevor er mit der Priesterausbildung begann. Das weiß Torsten Kürbig, er leitet die Kölner Diözesanstelle "Berufe der Kirche".

    "Was machen Sie gerne? Was ist dasjenige, das Sie antreibt zu sagen: Ich möchte gerne in der Kirche arbeiten?"

    Diese Frage stellt Torsten Kürbig jedem, der in die Infostelle kommt. Solche Infozentren gibt es in Deutschland in jedem Bistum. Einige Beratungen gehen schnell, andere dauern mehrere Monate. Jeder Zweite, der kommt, hat schon sehr konkrete Vorstellungen. Die andere Hälfte aber kommt mit einer wagen Idee ins Infozentrum. Was also gibt es für Berufe in der Kirche? Diakon Manfred Jansen, zweiter Berater in der Diözesanstelle, fängt beim Priester an und geht dann zügig weiter nach unten.

    "Wir haben da aber noch die Berufung zum Diakon, die nicht nur von Menschen wahrgenommen werden kann, die zölibatär leben, sondern auch von Verheirateten. Dann die Pastoral- und Gemeindereferenten, die wichtig sind in der Kirche, um ein gutes Bindeglied auch zu sein zwischen dem Pfarrer, der diese Gemeinde leitet und der Liturgie leitet und den Menschen vor Ort, die auch eine Betreuung wünschen."

    Manfred Jansen ist selbst Diakon. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil in den 60er-Jahren war der Diakonat nur die letzte Stufe vor der Priesterweihe. Seitdem ist er ein eigenständiges Amt. Dem Priestermangel ist es geschuldet, dass in den vergangenen Jahren immer mehr pastorale Aufgaben auch auf Diakone und Laien verteilt wurden. Die Zahl der Diakone, aber auch der Gemeinde- und Pfarrreferenten ist im Gegensatz zu den Priesterzahlen in Deutschland in den vergangenen Jahren konstant gestiegen. Knapp 3000 Diakone werden zurzeit gezählt. Das sind rund 1000 mehr als vor 15 Jahren. Die meisten führen das Amt nebenberuflich aus. Diakon Jansen ist verwitwet und hat zwei Söhne. Wenn er den jungen Besuchern der Infostelle seine eigenen Erfahrungen schildern kann, überzeugt das vielleicht.

    "Wenn man's mit Freude lebt, und sie Menschen nachher noch mal erleben, wie der Glaube gehalten hat, geholfen hat, Gespräche geholfen haben. Da kommen einem vor Freude die Tränen. Daher auch das Wort 'Freudentränen'. Und das muss wahrscheinlich in einem dieser Berufe geboren worden sein."

    Ein Drittel der Gemeinde- und Pastoral-Referenten sind übrigens Frauen. Gemeindereferenten absolvieren ein religionspädagogisches Studium und ein berufspraktisches Jahr in einer Pfarrei. Pastoralreferenten haben einen theologischen Hochschulabschluss und eine kirchliche Ausbildung. Beide arbeiten in der Erwachsenenbildung, unterrichten an der Schule Religion, betreuen Jugendgruppen oder Senioren, übernehmen aber auch seelsorgerische oder liturgische Dienste. Immerhin: Die Zahl der Priester hat in Relation zur Zahl der Gläubigen in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen - doch das ist nur ein schwacher Trost für die Berater. Denn gleichzeitig heißt das: Die Zahl der Katholiken hat abgenommen. Seit Jahren müssen Pfarreien zusammengelegt werden, altgediente Strukturen ändern sich, auch der Beruf des Priesters ändert sich. Subregens Torsten Kürbig:

    "Wir erleben ja jetzt auch durch die Umbrüche der Strukturen unserer Kirche, dass das nur bis zu einem bestimmten Grad geht, ohne dass sich das Priesterbild verändert. Es ist ein Unterschied, ob ein Priester für eine Pfarrei zuständig ist und dort Beziehungen aufbauen kann, oder ob derselbe Pfarrer in 8, 10 oder wie in manchen Gegenden unseres Bistums für 21 Pfarreien zuständig ist."

    10 Uhr, in der Sakristei der Kirche von Neuss-Rosellen streiten sich die Messdiener über die Aufgaben. Kaplan Hopmann schlichtet und streift sich schnell die liturgischen Gewänder über. Die Gemeinde wartet schon.

    Eine Stunde lang steht er konzentriert vor der versammelten Kirchengemeinde. Führt feierlich durch den Gottesdienst. In keinem Moment ist ihm anzumerken, dass er dasselbe heute Morgen schon einmal getan hat.

    Der Tag fängt für Kaplan Hopmann unter der Woche meist mit einem Schulgottesdienst an. Dem viele weitere Termine folgen. Obwohl der Kaplan natürlich nicht gerne von "Terminen" spricht, da es sich ja um seelsorgerische Aufgaben handelt.

    "Und das geht eigentlich den ganzen Tag durch, gut mittags esse ich mal was. Und meistens sind abends Termine, meistens ist dann eine Sitzung oder eine Besprechung oder wenn man Brautleute besucht, um die Hochzeit zu besprechen oder solche Dinge, haben die meistens abends Zeit, weil die arbeiten müssen, sodass es von den Terminen von acht bis 22.30 Uhr oder so geht."

    Manchmal halse er sich zu viel auf, gesteht er später. Weil er sich schnell für die Ideen anderer begeistert, und versucht sie umzusetzen, wenn er darum gebeten wird. Er hat sich vorgenommen, öfters mal nein zu sagen.

    "Weil ich schon genug anderes habe, das geht dann nicht, nicht immer noch einen drauf zu packen und noch einen. Weil ich, weil ich weiß: Irgendwann ist Schluss, dann kipp ich um und dann geht's nicht mehr weiter. Ich denke ich muss das, was ich tue, auch authentisch und echt leben, und nicht nur hetzen. Das bringt´s dann irgendwie auch nicht."

    Alles Weitere möchte er im Auto besprechen. Es ist 11.05 Uhr, er muss los, zur Messe in Neuss-Norf.

    Der eine geht mehr in dem Priesterberuf auf als ihm lieb ist, der andere ist gerade dabei, sich ihm zu nähern - in Bonn, an der Universität.

    "Hallo Daniel - hallo Benni, was machste?"

    Benjamin Kalkum steht mit einem Stapel Bücher auf dem Arm am Kopierer der theologischen Fakultät. Noch sind Semesterferien. Nur wenige Studierende sind da, und Hilfskräfte wie Benjamin. Der 24-Jährige in trendig-zerbeulter Jeans und Sweatshirt studiert im siebten Semester katholische Theologie. Und sagt, er würde es jederzeit wieder studieren. Weil:

    "Theologie das spannendste und vielseitigste Fach ist, das man überhaupt studieren kann. Man hat eigentlich einen kompletten Überblick über die Geisteswissenschaften, angefangen von Geschichte über Philosophie, Soziologie, Psychologie, Pädagogik."

    Und noch dazu: Bibelkunde, Deutung der Schriften, Kirchengeschichte, Grundlagen der Liturgien und außerdem Latein, Hebräisch und Griechisch. Benjamin Kalkum hat als Schwerpunkt Geschichte gewählt.

    "Ich finde es total spannend, zu sehen, welche Wurzeln unsere Gesellschaft hat. Unsere Kultur. Wo kommen wir her, aus der Geschichte heraus, welche Ideen, welche Weltanschauungen begründen unsere Gesellschaft, unser Zusammenleben heute."

    Ob er Priester werden wolle? Er schüttelt den Kopf. Allerdings nicht sehr entschieden. Die Welt brauche Priester, sagt. Und meint damit Menschen, die voll und ganz für andere da seien. Ohne dabei von einer eigenen Familie gestützt zu werden. Und damit habe er Schwierigkeiten. Er hat ein anderes Vorbild: seinen Vater. Pastoralreferent in Bergisch Gladbach.

    "Ich habe angefangen Theologie zu studieren, um mal in der Kirche zu arbeiten, als Pastoralreferent, also als sozusagen Mitarbeiter in der Pfarrei, der auch verheiratet ist und Kinder hat. Inzwischen weiß ich nicht mehr genau, was ich damit mache, weil sich so viele Möglichkeiten damit eröffnen. Überlege, ein bisschen, in den gesellschaftlichen politischen Bereich zu gehen, Politikberatung oder so was."

    Benjamin Kalkum überlegt, in der Schweiz noch ein Zweitstudium anzufangen: den Master für Religion, Wirtschaft und Politik zu machen. Theologen hätten der Gesellschaft viel zu sagen, meint er, weil sie den Gründen für gesellschaftliches Handeln auf der Spur seien.

    "Man ist am Puls der ethischen Probleme unserer Zeit. Wir haben als Theologen auch viel zur Wirtschaftskrise zu sagen, weil wir eigentlich relativ einfach zeigen können, dass es auf individuelle Gründe zurückzuführen ist, nämlich der einzelne Mensch das System missbraucht hat. Nicht das System ist schlecht, sondern die Menschen im System haben sich nicht ethisch korrekt verhalten."

    Dasselbe sagt der 24-jährige Student zu den aktuellen Missbrauchsfällen. Nicht die Kirche oder die Theologie, und auch nicht der Zölibat seien schuld an den Fällen, sondern immer nur der einzelne Täter.

    "Im Gegenteil gibt es eigentlich im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung im kirchlichen Dienst weniger pädophile Übergriffe. Das heißt, es ist kein spezifisch kirchliches Problem."

    Der Priestermangel sei nicht zuletzt ein Vermittlungsproblem der Kirche. Sie müsse lernen, ihre Botschaften besser zu vermitteln. Sie habe verlernt, der Gesellschaft gegenüber ihre Inhalte verständlich zu erklären. Benjamin Kalkum will sie verbessern, die Vermittlung christlicher Inhalte. Er hat nur noch nicht entschieden, wo. Im Großen oder im Kleinen, in der Politik oder in einer Gemeinde, als Berater oder als Seelsorger.

    11.05 Uhr. Im Auto zum nächsten Gottesdienst freut sich Kaplan Hopmann über die vollen Kirchen heute Morgen. Weil sämtliche Erstkommunionkinder mit ihren Familien da waren. Normalerweise weisen die Reihen der Kirchenbänke immer größere Lücken auf. Nicht nur in Neuss, bundesweit ist die Zahl der Gottesdienstbesucher in den vergangenen 20 Jahren um fast die Hälfte zurückgegangen. So die Statistik der Deutschen Bischofskonferenz, die auch die Zahl der Katholiken festhält. Sie ist im gleichen Zeitraum um ein Zehntel geschrumpft. Wenn Glaube eine immer geringere Bedeutung spielt, nimmt natürlich auch die Zahl der Priester ab, meint Kaplan Tobias Hopmann:

    "Weil in den meisten Fällen kommen Priester ja aus Elternhäusern, wo die schon von Kindheit an auch einen Zugang zum Glauben hatten. Über diese normale Schiene der Pfarrei- und Messdienerarbeit, und dann da reingewachsen sind. Und wenn diese Anzahl an Familien deutlich zurückgeht, ist natürlich auch nicht wunderlich, dass auch die Anzahl der Priester zurückgeht."

    Laut Bischofskonferenz gibt es heute 3300 weniger Priester in der Seelsorge als noch vor 20 Jahren. Ihre Zahl ist um ein Viertel gesunken. Die Zahl aller Priester ist im gleichen Zeitraum sogar um ein Drittel gesunken. Ein Grund dafür mag der Rückgang des Glaubens sein - ein anderer vielleicht der Zölibat?

    "Der Zölibat ist eine Herausforderung. Aber ich warne immer davor zu denken, wenn der Zölibat aufgehoben wär, dann sind alle Probleme der Kirche gelöst. Einige Probleme würde es nicht geben, aber dafür gibt es dann wieder andere, also ich glaube das wäre jetzt nicht die Lösung."

    Der 36-Jährige macht keinen Hehl daraus, dass er sich gut hätte vorstellen können, eine Familie zu gründen. Kinder zu haben. Nicht ohne Grund hat er ja eigentlich Lehrer werden wollen.

    "Aber gut, das ist ja ein Prozess, das ist über Jahre gegangen, man überlegt sich ja nicht, Priester zu werden und wird am nächsten Tag geweiht, sondern das begleitet einen Jahre. Man kann sich lange damit beschäftigen, wir im Erzbistum Köln bekommen auch in der Ausbildung viele Veranstaltungen dazu, wo man sich mit der Frage beschäftigen kann, und man sich selber fragen kann: will ich das und kann ich das auch."

    Zölibatäres Leben betrifft auch Frauen. Aber ihnen ist der Weg zum Priestersein verwehrt. Sie sind also keine Lösung für das Personalproblem.

    Fünf junge Frauen sitzen an einem Küchentisch und essen zu Mittag: Es gibt Ente mit Backofenkartoffeln und Rotkohl, und dazu angeregte Gespräche - über eine Veranstaltung zum Zölibat, über die Gründerin des Karmeliterordens, über das Studium der Theologie. Die Fünf sind Schwestern der katholischen Gemeinschaft der Diener des Evangeliums in Köln. Sie tragen keine Tracht. Lediglich ein Holzkreuz an einer Kette lässt erkennen, dass sie sich dem Glauben verschrieben haben. Eine groß gewachsene Frau mit strahlenden Augen nickt.

    "Ich heiße Karin Cardenas, komme ursprünglich aus Spanien und bin seit 16 Jahren Schwester, seit acht Jahren hier in Deutschland tätig."

    Die Schwestern arbeiten seit drei Jahren am Jugendzentrum nebenan. Sie bieten Familien Gespräche zu drückenden Probleme an, beten gemeinsam mit den Jugendlichen, geben Kurse für Messdiener und Gruppenleiter oder fahren mit den Jugendlichen zum ökumenischen Männerorden von Taizé in Frankreich.

    "Mein Name ist Katrin Krall, ich bin aus Schwedt an der Oder, also in der Nähe von Berlin geboren. Ich habe die Gemeinschaft kennengelernt, habe auch gearbeitet als Ärztin, vier Jahre, und dann allerdings doch gemerkt: Es ist doch noch ein anderer Ruf. War da auch in einer Beziehung, in der ich auch sehr glücklich war, eigentlich, es ist immer so ein bisschen schwer zu verstehen. Aber gleichzeitig merkte ich, es gab noch so eine Unruhe in mir, ist es das jetzt."

    Das Haus ist karg eingerichtet, die Schwestern leben ausschließlich von Spenden. An der Wand im Gemeinschaftsraum hängt eine Collage mit Fotos von Menschen in Japan, in Korea, Südamerika und mehreren Ländern Europas. Länder, in denen die Diener des Evangeliums einen Sitz haben. Sie zählen zu den neuen geistlichen Gemeinschaften, die nach dem 2. Vatikanischen Konzil in den 60er-Jahren entstanden sind. Ihr gehören Verheiratete und Zölibatäre, Priester und Laien an. Die etwa 500 Mitglieder sehen sich als missionarische Vereinigung, ihre Novizen bilden sie in Argentinien aus.

    Zwei Jahre dauert das Noviziat, in dem die jungen Schüler und Schülerinnen die Prinzipien der Gemeinschaft und des geweihten Lebens kennenlernen: Keuschheit, Armut und Gehorsam und als viertes Versprechen speziell dieser Gemeinschaft - die Geschwisterlichkeit.

    "Und danach gibt es auch weiter Ausbildungselemente, da ist dann das Theologiestudium. Das richtet sich dann immer nach dem jeweiligen Ort, wo wir eben studieren können. Wir sind dann meistens im Einsatz tätig vor Ort, mit Jugendlichen oder Ehepaaren oder Familien und studieren dann so ein, zwei Tage nebenbei."

    Menschen bräuchten einander, stärkten sich gegenseitig, sagen die Schwestern. Und dass sie glauben, ein Grund für den Priestermangel sei, dass dem Priester dieses Bedürfnis nach persönlicher Stärkung abgesprochen werde.

    "Man muss der perfekte Manager sein, bürokratisch total fit. Organisatorisch muss man wissen, wo es lang geht. Dann die Gemeinde leiten, spirituell sein, für alle da sein, gleichzeitig diese Tiefe haben. Also, es wird unglaublich viel von Priester erwartet. Und ich glaube, wenn dieses Bild mehr durchbrochen werden könnte, dass der Priester eine lebendige Gemeinde um sich herum braucht, oder einige Mitbrüder, die mit ihm das Leben teilen, sei es unterm selben Dach oder nicht, aber dass er merkt, er wird gestärkt. Dann wäre das schon ganz anders. Ich glaube es ist oft so eine Leistung, die keiner erfüllen kann."

    "Hier ist St. Andreas in Norf, eine Barockkirche, bei uns in der Gegend recht selten."

    11.10 Uhr, Sonntagmorgen. Kaplan Tobias Hopmann betritt die Kirche von Neuss-Norf, um seinen dritten Gottesdienst an diesem Morgen abzuhalten.

    "Morgen! Hallo!"

    Auch hier gibt es eine kurze Besprechung mit den Messdienern, außerdem mit dem Ständigen Diakon, er hat die Messe vorbereitet und hält sie zusammen mit Hopmann.

    Es gebe wohl keinen anderen Beruf, der so nah am Leben sei wie der des Priesters, sagt Kaplan Hopmann mit freundlicher Selbstverständlichkeit. Da klingt kein Zweifel durch, auch wenn er mit "nah am Leben" die Höhen und die Tiefen meint.

    "Es wird einem nicht langweilig dabei, aber es ist wirklich eine erfüllende Sache. Was anderes, als wenn man irgendwo arbeitet und aus Unternehmenszweck etwas tun muss."

    Priestermangel - für die katholische Kirche also ein handfestes Problem. Bei der Evangelischen Kirche existiert dieses Problem nicht - noch nicht. Liegt das vielleicht am nicht vorhandenen Zölibat? Volker Lehnert, Dezernent bei der Evangelischen Kirche im Rheinland, nickt.

    "Also ich kenne persönlich viele katholische Theologen, die gesagt haben: Ich wäre gerne Pfarrer geworden, aber ehelos leben will ich nicht. Die sind dann Pastoralreferent geworden oder Diplom-Theologe und so. Und ich persönlich glaube, wenn es den Priestern freigestellt würde, auch heiraten zu dürfen, dann gäbe es auch mehr Nachwuchs."

    Allerdings ist auch die Evangelische Kirche nicht frei von Nachwuchssorgen. Sie habe seit vielen Jahren einen Nachwuchsüberhang. Das heißt, es gebe weitaus mehr junge Leute, die Pfarrer werden wollen, als Stellen frei sind. Aber:

    "Die Folgen sind natürlich, dass diese Leute woanders hingehen, in andere Landeskirchen, in andere Berufe. Viele gehen in die Schweiz, da gibt es zur Zeit Pfarrermangel bei Evangelischen. Und die zweite Folge ist, dass die Leute, die die Evangelische Kirche von innen kennen, jungen Leuten im Moment nicht raten, Theologie zu studieren. Was aber falsch ist! Denn durch die kontrazyklische Dynamik werden wir in zehn Jahren sehr viele Pfarrer und Pfarrerinnen benötigen. Und das bedeutet, die Leute die jetzt anfangen zu studieren, haben gute Berufsperspektiven."

    Das Problem ist: Die Zahl der Studierenden evangelischer Theologie hat drastisch abgenommen. Im Rheinland waren es beispielsweise Mitte der 90er-Jahre noch 1800. Heute sind es gerade ein Zehntel. Wenn nicht schnell ganz viele Leute anfangen zu studieren, steht die Evangelische Kirche schon in wenigen Jahren vor massiven Nachwuchsproblemen, warnt Lehnert.

    "Wir haben Kirchenkreise, die innerhalb von fünf Jahren, ab 2017, komplett in den Ruhestand gehen. Und das bedeutet, dass teilweise vier, fünf Gemeinden nebeneinanderliegen, die im selben Jahr drei oder vier Pfarrer brauchen. Und diese Personen müssen wir jetzt ausbilden. Damit wir sie dann haben, denn die Ausbildung dauert insgesamt zehn Jahre."
    Mit Werbebroschüren bewaffnet gehen die Mitarbeiter der Rheinischen Landeskirche deshalb regelmäßig an die Gymnasien, führen Oberstufentagungen durch und veranstalten demnächst sogar eine eigene Messe, um über die Berufe der Kirche aufzuklären. Warum wollen so viel weniger junge Menschen heute Theologen werden?

    "Erstmal gehen überhaupt die Zahlen von Jugendlichen gehen zurück, also Schulen werden demnächst ja auch Probleme bekommen, dass immer weniger Kinder geboren werden. Und dann glaube ich man muss umgekehrt fragen. Was hat in den 80er und 90er-Jahren zu dem Boom geführt an Theologiestudierenden, außer den großen Geburtszahlen. Sicherlich die großen sozial-ethischen Themen, die damals eine Rolle spielten. Also Friedensbewegung, Nachrüstungsbeschluss, Atomkraftfrage, Umweltfrage. Also, die ganzen sozialen und ethischen Engagements, Gruppen, die entstanden sind. Die führten dazu, dass man gesagt hat: Ja, da gibt's auch einen Beruf, der dazu passt."

    Aber der Weg zum Pfarrerberuf ist lang. Weiß auch Volker Lehnert:

    "Sie brauchen Abitur und müssen dann ein zwölfsemestriges Theologiestudium absolvieren, entweder an einer staatlichen theologischen Fakultät oder an einer unserer kircheneigenen Hochschulen, sie werden examiniert im ersten Examen, in Bibelwissenschaften, Kirchengeschichte, systematische Theologie, Predigtlehre, Seelsorge und alles, was zum Pfarrberuf gehört. Hebräisch, Griechisch und Latein sind Voraussetzung für das Studium. Wenn man das nicht mitbringt, kann man das in der Eingangsphase des Studiums nachholen. Schreckt übrigens einige ab, weil das ist schon ein bisschen Arbeit."

    Zurzeit überlegt die Evangelische Kirche in Deutschland, das Studium attraktiver zu gestalten - etwa die altsprachlichen Bestandteile aus der Anfangszeit herauszunehmen und auf das komplette Studium zu verteilen - anwendungsbezogen auf die Inhalte der jeweiligen Module. Außerdem will man das Studium kürzen, von derzeit durchschnittlich 14,5 auf zehn Semester. Dem Studium folgt in der Regel eine Ausbildungszeit von zweieinhalb Jahren.

    "Analog zur Lehrerausbildung, da gibt's ja auch ein Studium und ein Referendariat. Bei uns gibt's ein Studium und ein Vikariat in einer Kirchengemeinde, begleitet durch seminaristische Kurse, in Predigtlehre, in Seelsorge usw. und dann müssen die Leute ein zweites Examen ablegen und das zweite Examen befähigt dann zur Ordination."

    Volker Lehnert war selbst 13 Jahre lang Pfarrer in Neuss, bevor er ins Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland wechselte. Er weiß, dass der Alltag eines evangelischen Pfarrers nicht anders aussieht als der eines katholischen. Auch in der evangelischen Kirche ist die Anzahl an Geistlichen merklich zurückgegangen - wurden Anfang der 90er-Jahre noch etwas über 1000 evangelische Theologen ordiniert, waren es 15 Jahre später nur noch 400.

    13 Uhr: Nach dem Gottesdienst hat Kaplan Hopmann in der Kirche von Neuss-Norf die Erstkommunionkinder um sich versammelt. Wer sich diesen fröhlichen Haufen an Kindern anschaut, kann sich kaum vorstellen, dass die Zahl der Erstkommunionkinder in den vergangenen 30 Jahren um ein Drittel zurückgegangen ist.

    Kaplan Hopmann läuft, beladen mit Orangensaft und Hotdog-Brötchen, ins Pfarrheim. Hier soll gleich noch ein Fest für die Erstkommunion-Kinder samt Familien stattfinden.

    Der Kaplan wird von den Kindern bestürmt, ein Mädchen nennt ihn "Teddy", ein anderes will an seine Hand. Hopmann wehrt lachend ab, hinterher sagt er halb augenzwinkernd, er müsse vorsichtig sein, manche Menschen würden ihn als Priester in Zeiten aufgedeckter Missbrauchsfälle schon etwas misstrauisch beobachten. Hätte er früher vielleicht zur Hand des Kindes gegriffen und sie festgehalten, will er das heute nicht mehr tun. Distanz und Nähe zu den betreuten Kindern gehört zu den zurzeit wohl meist diskutierten Themen unter Priestern. Jetzt muss aber erstmal aufgeräumt werden. Fällt das nun in Berufliches oder Freizeit? Der Kaplan zuckt die Schultern und hat wieder sein verschmitztes Lächeln im Gesicht.

    Beim Priestermangel tragen die Rekrutierungsversuche auf dem heimischen Markt immer weniger Früchte, deshalb macht die katholische Kirche es jetzt wie die Wirtschaft und holt sich den Fachkräfte-Nachwuchs aus dem Ausland. Einer, der den Weg nach Deutschland gefunden hat, ist Jasson Ramirez Cubillo.

    "Ich wollte Arzt werden, ich wollte Geld machen, wollte Erfolg machen und natürlich ein dickes schwarzes Mercedes. Weil ich dachte, so könnte ich zufrieden sein."

    Jasson Ramirez schloss sich im Alter von 21 Jahren der missionarischen Bewegung des Neukatechumenalen Weges an. Die Bewegung will Christen ihren Glauben näher bringen und erklären. Sie verteilt dafür Mitglieder, die Priester werden wollen, auf Seminare in aller Welt, die dieses Ziel verfolgen.

    "Und dann wurde ich nach Italien geschickt, zu einem Treffen von etwa 300 Jugendliche aus der ganzen Welt kommen, aus diesem Neukatechumenalen Weg, die bereit sind, sein Leben für die Mission zu geben: Und am Samstagabend werden wir per Los in der ganzen Welt geschickt. Dann gibt diese Zettelchen mit den Namen und nach Köln gibt es sieben Plätze, eins zwei drei, ich war der Sechste. Und dann wurde gefragt: Jasson, bist du bereit, nach Köln zu gehen? Da habe ich gesagt: Ja! Und dann meine nächste Frage war: Wo ist Köln? Und dann wurde gesagt: in Deutschland. Aha. Und wo ist Deutschland?"

    Jasson Ramirez wurde im Priesterseminar "Redemptoris Mater" in Bonn aufgenommen. Es wurde vor 10 Jahren vom Kölner Erzbistum eingerichtet und unterrichtet Kandidaten, die vorwiegend aus dem Ausland kommen. Für den Kölner Kardinal Meisner stellt das Seminar einen der Auswege aus dem Priestermangel dar. Er lässt in Bonn junge Männer aus Lateinamerika, aus Spanien, Italien, Rumänien oder Polen ausbilden, zum Priester weihen und hier arbeiten. Jasson Ramirez hat erstmal zwei Jahre Deutsch gelernt.

    "Dann habe ich fünf Jahre Philosophie und Theologie an der Hochschule in Sankt Augustin bei den Steyler Missionaren, was mir wirklich viel Freude und Kenntnis gegeben hat, letztes Jahr die Diakonweihe, seit fast zwei Jahren in Köln-Porz. Erstmal ein Jahr Praktikant, ein Jahr als Diakon, und wenn Gott will, am 24. Juni die Priesterweihe."

    Vor allem mit Jugendlichen sucht Diakon Ramirez das Gespräch. Hier wie überall sonst seien sie schlicht überfordert von der Fülle an Anforderungen, die man an sie stelle, meint er. Und glaubt, dass das ein Grund für den Priestermangel ist.

    "Gott ruft die Menschen. Nur ist, dass unsere Jugendliche, die haben so viel zu hören. Unsere Gesellschaft sagt: Du musst der Beste, der Erste und du musst, du musst ... Und man braucht eine kleine Stille im Leben, um das Wort Gottes zu hören, diese Stimme, der sagt: folge mir nach."

    Priesterseminare in Deutschland

    PastoralreferentInnen Deutschlands

    Gemeindereferentinnen Bundesverband

    Katholische Kirche in Deutschland

    Verband Evangelischer Diakonen-, Diakoninnen und Diakonatsgemeinschaften in Deutschland e.V.

    Rheinische Landeskirche

    Berufe der Kirche im Erzbistum Köln

    Katholischer Seelsorgebereich Neusser Süden

    Priesterseminar Paderborn

    Gemeinschaft Diener des Evangeliums

    Buch zum Thema
    Volker Lehnert und Nikolaus Schneider: "Berufen - wozu? Zur gegenwärtigen Diskussion um das Pfarrbild in der Evangelischen Kirche". Neukirchener Verlagshaus 2009