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Wenn die Kauflust zur Sucht wird

Psychologie. - Sie haben etwa Mäntel, Schuhe und Hosen schon im Überfluss, und dennoch zieht es Sie immer wieder in die Geschäfte, um einzukaufen: Kaufsüchtige kommen nur schwer von ihrer Last los. Eine neue Verhaltenstherapie aus den USA verspricht Linderung und wurde in Erlangen jetzt auf ihre Wirksamkeit getestet. Die Studienleiterin Astrid Müller vom Universitätsklinikum Erlangen-Nürnberg berichtet über die Ergebnisse im Gespräch mit Marieke Degen.

    Marieke Degen: Wo hört Shopping eigentlich auf und wo fängt Kaufsucht an?

    Astrid Müller: Kaufsucht beginnt da, wo sich der Konsum der Waren vollständig vom Bedarf gelöst hat, das heißt, dass die Patienten völlig unsinnig Dinge einkaufen, die sie überhaupt nicht benötigen oder in Stückzahlen, die sie so nicht benötigen. In der Folge entsteht ein ganz enormer Leidensdruck bei ihnen und ihren Angehörigen. Der Knackpunkt liegt darin, dass es sich darin um heimliches Leiden handelt, das heißt, die Patienten gestehen es sich lange Zeit nicht ein, verheimlichen es. Und erst, wenn der äußere Druck so groß wird, wenn die Verschuldung so groß wird, dann kommen sie in Psychotherapie und es wird umso schwerer, sie erfolgreich zu behandeln.

    Degen: Was ist denn jetzt dran an dem Klischee, dass Frauen ganz besonders häufig betroffen sind von dieser Krankheit?

    Müller: Es ist so, dass wenn wir Studien zur Kaufsucht durchführen, sich vorrangig Frauen melden. Wir wissen aber auch aus repräsentativen Erhebungen, dass es offensichtlich doch keinen Geschlechtereffekt gibt in der Kaufsuchtgefährdung. Das heißt, dass Männer genauso betroffen zu sein scheinen wie Frauen.

    Degen: Wissen Sie denn, warum Menschen kaufsüchtig werden?

    Müller: Das ist individuell völlig unterschiedlich, was die Beweggründe betrifft. Fast alle Patienten klagen über Minderwertigkeitsgefühle und zu geringe Selbstwertgefühle. Viele haben Depressionen, haben soziale Ängste, haben andere Begleiterkrankungen. Es lässt sich aber nicht ein einheitliches Muster für alle Patienten finden.

    Degen: Sie haben in ihrer Studie insgesamt 60 Kaufsüchtige behandelt, jeweils für drei Monate, und sie dann noch anderthalb Jahre begleitet. Und zwar mit einer Therapieform, die in den USA entwickelt worden ist. Wie muss ich mir so eine Therapie vorstellen?

    Müller: Die Patienten kommen einmal in der Woche zur Gruppensitzung, die anderthalb Stunden dauert. In einer Gruppentherapie sitzen sechs bis acht Patienten. Und dann geht es darum, diese Kaufattacken zu analysieren. Das können Situationen sein, mitunter ist es schlichtweg Langeweile. Und dann zu überlegen, was kann ich denn tun, um mit diesen Gefühlen besser umzugehen, aber nicht in einen Kaufexzess zu verfallen.

    Degen: Wie wird das dann bei Ihnen konkret trainiert?

    Müller: Die Therapiestunden beginnen mit einer Eingangsrunde, in der die Patienten ihre Kaufprotokolle, die sie über die Woche führen, versuchen, gemeinsam zu analysieren. Und dann gibt es aufeinander aufbauende Themengebiete wie Auslöser, Reize, Konsequenzen von Kaufattacken, die dann bearbeitet werden. Und schließlich im letzten Drittel der Therapie werden die Patienten ermutigt, sich Kaufsituationen, die für sie riskant sind, auszusetzen, den Kaufdrang zu spüren, ihm aber nicht nachzugeben, indem sie die verschiedenen Techniken, die sie in der Therapie erlernt haben, dann auch anwenden.

    Degen: Wie erfolgreich waren Sie denn?

    Müller: Wir konnten nachweisen, dass Patienten, die sofort eine Behandlung bekamen, im Vergleich zu der so genannten Wartekontrollgruppe deutlich ihre Kaufattacken reduzieren konnten. Und wir konnten nachweisen, dass ungefähr jeder zweite Patient tatsächlich bis zum Therapieende sein Kaufverhalten normalisieren konnte.

    Degen: Wie schwer wiegt das Problem Kaufsucht denn generell in Deutschland?

    Müller: Es ist schwierig, diese Frage klar zu beantworten. Wir wissen nur aus Repräsentativumfragen, wie hoch die Kaufsuchtgefährdung ist, und die liegt zwischen sechs und acht Prozent der Menschen in Deutschland. Und wir wissen auch, weil diese Studien im Zeitraum von zehn Jahren wiederholt wurden, dass es hier ein Anwachsen der Kaufsuchtgefährdung in Deutschland gibt.

    Degen: Wie erklären Sie sich das Anwachsen?

    Müller: Es ist ein kulturspezifischer Verhaltensexzess, das bedeutet, das möglicherweise das Warenangebot zum einen sich erweitert hat. Zum anderen aber natürlich die Möglichkeit, eine Ware zu beziehen, ohne tatsächlich Geld zu besitzen, also sprich über Kreditkarten, Geldkarten, sich immer mehr erweitern, auch ausdehnen auf den jugendlichen Konsumenten und es deswegen möglicherweise zu einer Zunahme kam.