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Wenn die Umwelt krank macht

Medizin. - Rund die Hälfte der Weltbevölkerung wird nach einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation im Jahre 2010 an einer Allergie leiden. Hauptverantwortlich sind nach Expertenmeinung insbesondere Umweltfaktoren. Dies ist auch Thema des Welt-Allergie-Kongresses 2005 in München.

Von Renate Ell |
    Die erste Untersuchung, die einen Zusammenhang zwischen Pollenallergie und Luftschadstoffen herstellte, erschien 1987 in Japan. Seither haben etliche Studien bestätigt, dass Luftverschmutzung Allergien verstärkt. Doch welche Schadstoffe im einzelnen das menschliche Immunsystem beeinflussen und vor allem wie, darüber weiß man auch nach fast 20 Jahren noch wenig. Zu den Hauptverdächtigen gehören polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe aus dem Dieselruß, erklärt Wolfgang Schober vom Zentrum Allergie und Umwelt der Technischen Universität München.

    "Bis zu einem Drittel der Gesamtreaktion können solche Stoffe, die wir in Dieselrußverbindungen finden, die Allergie erhöhen. Die Mechanismen sind noch weitgehend unerforscht, deshalb ist es unser Hauptanliegen, Licht ins Dunkel zu bringen, um auch später präventiv agieren zu können. Es gibt eventuell Rezeptoren auf den Oberflächen der Zellen, die die Signale verstärken können hinsichtlich der Allergenität von Pollen. Vermutlich geht das über reaktive Sauerstoffspezies, dass Radikalreaktionen in den Zellen losgetreten werden, die dann unter Umständen zu der Verstärkung der allergischen Wirkung, die von Pollen ausgeht, beitragen."

    Aber Luftschadstoffe beeinflussen nicht nur das menschliche Immunsystem, sondern auch die Pollen. Die bestehen vor allem aus Proteinen. Doch am Zentrum Allergie und Umwelt stieß man kürzlich auf bisher unbekannte, fetthaltige Bestandteile von Pollen, die pollenassoziierten Lipidmediatoren, kurz PALM. Mit denen befasst sich Claudia Traidl-Hoffmann.

    "Wir haben Untersuchungen durchgeführt, die zeigen, dass Pollen, die an stark befahrenen Straßen gesammelt wurden, vermehrt PALM freisetzen. Warum sie das tun, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass sie das tun."

    Weitere Untersuchungen zeigten: Pollen, die mehr PALM enthalten, wirken auch stärker allergen. Und nicht nur das: sie wirken auf das angeborene Immunsystem – die bisher geltende Lehrmeinung geht aber davon aus, dass Allergien eine Fehlreaktion des erworbenen Immunsystems sind. Das wirft ganz neue Fragen auf.

    "Wenn diese Substanzen auf uns alle wirken und das Immunsystem Allergie fördernd verändern, warum sind wir dann nicht alle allergisch? Also müssen Nicht-Allergiker Mechanismen haben, um sich gegen diese Substanzen zu schützen. Und wenn wir diese Mechanismen aufklären, wenn wir wissen, an welche Rezeptoren die PALM binden, dann können wir darüber neue Konzepte für die Therapie entwickeln, die sehr viel spezifischer noch an die Therapie der Allergie herangehen können."

    Diese neuen Erkenntnisse über die Entstehung von allergischen Reaktionen könnten vielleicht auch erklären, warum Allergien immer häufiger werden. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass in fünf Jahren vierzig bis fünfzig Prozent der Weltbevölkerung unter Allergien leiden könnten. Das hat viele Ursachen. "Allergien in einer sich verändernden Welt" ist das Motto des Welt-Allergie-Kongress 2005. Und diese Veränderungen treffen alle Länder, betont Johannes Ring, Allergologe an der Technischen Universität München und Leiter des Organisationskomitees beim Welt-Allergie-Kongress.

    "Auch sich entwickelnde Länder in Afrika, Südamerika – es gibt kein Land mehr, wo Allergie kein Problem ist. Und das hat auch etwas zu tun mit den Veränderungen, die unsere Welt erfährt durch die Globalisierung, durch den Austausch, durch die Klimaerwärmung - es sind ganz viele Dinge, die wahrscheinlich dazu beigetragen haben, dass die Allergien in den letzten Jahren so zugenommen haben."

    Ein globaler Dialog entsteht, der so manche Lehrmeinung erschüttern könnte. Zum Beispiel die, dass Landkinder weniger Allergien haben als Stadtkinder, weil die Kinder auf dem Land mehr mit Bakterien in Berührung kommen. In München hören Allergologen jetzt zum ersten Mal, dass es allergische Krankheiten sogar im Urwald gibt.

    "Neurodermitis, schreckliche Epidemien bei den Babies. Also, das stimmt nicht mit der Hygiene-Hypothese so einfach, dass Dreck gesund ist und keine Allergien macht, so einfach ist das nicht."

    Viele offene Fragen also beim Welt-Allergie-Kongress – und damit viele Impulse für die Forschung.