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Wenn Dünne glauben, sie seien viel zu dick

Die Behandlung von Essstörungen ist nach wie vor schwierig und oft sehr langwierig. Denn die Wahrnehmung des eigenen Körpers lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen verändern.

Von Renate Rutta | 08.03.2011
    "Die Patientinnen sagen zum Beispiel: 'Ich sehe aus wie eine Tonne. Im Vergleich zu meinen Klassenkameradinnen bin ich viel zu dick. Ich habe wahnsinnig zugenommen. Ich platze'."

    Sagt Professor Beate Herpertz-Dahlmann, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie am Universitätsklinikum Aachen über ihre magersüchtigen Patientinnen:

    "Und in Wahrheit sind sie ganz dünn, erheblich abgemagert, haben oft schon körperliche Folgeerscheinungen, das heißt schon Schwindelgefühle, fallen in Ohnmacht, frieren die ganze Zeit, können sich schlecht konzentrieren, bis hin zu veränderten Leberwerten oder Nierenwerten."

    Magersüchtige Mädchen haben nur noch ein Ziel und das heißt: möglichst dünn sein. Sie bewegen sich viel, treiben Sport, essen wenig oder fasten sogar.
    Patientinnen mit Essbrechsucht oder Bulimie haben zwischen dem Fasten immer wieder Heißhungeranfälle und essen dann große Mengen, die sie anschließend erbrechen.

    Dr. Harriet Salbach-Andrae von der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik der Charite, Berlin:

    "Patientinnen mit Bulimie leiden unter wiederkehrenden Essanfällen, gefolgt von kompensatorischen Maßnahmen. Hierunter fallen Erbrechen, Abführmittel, Entwässerungstabletten, starkes Vermeiden hoch kalorischer Nahrungsmittel. Die Patientinnen leiden auch unter einer Körperbildstörung, das heißt, sie sehen sich dicker, als sie sind. Permanent denken sie über Kalorien nach. Was sie zusätzlich noch haben: Viele Patientinnen leiden unter einem verminderten Selbstwertgefühl."

    Vor allem hier liegt ein Schlüssel zur Therapie, die ambulant oder in einer Klinik stattfindet.

    Wichtig ist gerade bei der Magersucht außerdem, dass die Eltern möglichst früh die Erkrankung der Tochter erkennen, damit der Gewichtsverlust nicht lebensgefährlich wird. Und dass sie unterscheiden lernen zwischen Kind und Krankheit: Nicht die magersüchtige Tochter ist die, die einfach nicht essen will, sondern die Krankheit ist das, was die Schwierigkeiten bereitet. Dann sei die Chance, dass das Kind gesund wird, viel größer, so Prof. Herpertz-Dahlmann:

    "Die wichtigste Methode bei der Behandlung ist die Verhaltenstherapie, wo man versucht, über Verstärkung bestimmte Gewichtsmarken zu erreichen. Und das Zweite bei Jugendlichen ist auch die Einbeziehung der Familie, damit auch die Eltern lernen, mit der Krankheit der Tochter umzugehen. Das wichtigste Ziel bei der Magersucht ist die Normalisierung des Gewichts, weil wir wissen, dass bei normalem Gewicht sich viele andere Funktionen, insbesondere auch die seelische Situation, stabilisieren. Das Zweite ist die Verbesserung der sozialen Fähigkeiten, das heißt, dass die Patientinnen sich mehr zutrauen und daraus letztlich eine Verbesserung des Selbstwertgefühls resultiert."

    Manchmal ist die Verhaltenstherapie bei Bulimie-Patientinnen nicht erfolgreich, dann kann man Medikamente, sogenannte Serotoninwiederaufnahmehemmer, anwenden und neuerdings eine besondere Art der Verhaltenstherapie, so PD Salbach-Andrae:

    "Man erlernt Techniken, seine Gefühle besser zu regulieren. Ein Ziel der dialektisch-beheavioralen Therapie ist, die Gefühle besser wahrzunehmen und zu regulieren."

    So konnte man erreichen, dass nicht mehr ein Drittel der Essstörungen chronisch werden, wie noch vor Jahren, sondern nur noch zehn Prozent. Doch trotz aller Verbesserungen: Die Behandlung einer Essstörung ist oft sehr mühsam für alle Beteiligten, so Prof. Herpertz-Dahlmann:

    "Wichtig ist, dass man als Patient, als Eltern und als Therapeut Geduld hat. Das sind nicht immer Heilungen, die innerhalb von wenigen Monaten passieren oder innerhalb eines Jahres, sondern alle drei, Eltern, Patient und Therapeut brauchen einen langen Atem. Ich selber kenne Patientinnen, die nach sieben Jahren oder nach zehn Jahren ganz gesund geworden sind. Das ist ganz wichtig, dass man nicht die Hoffnung verliert."