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Wenn Gene Forscher narren

Biologie. - Noch vor kurzem waren die Mitglieder des Human-Genom-Projektes (HUGO) in dem Glauben, dass die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts schon bald viel versprechende Anwendungen ermöglichen werde, nicht zu erschüttern. Immer wieder prägten medienwirksame und große Schlagzeilen zu neuen Details aus dem Erbschatz das Forschertreiben um Gene und Chromosomen. Derzeit findet in Berlin das Treffen der Humanen Genom Organisation 2004 statt, doch von der Euphorie vergangener Jahre ist dort nicht viel zu spüren.

    Fast mutet die Atmosphäre des diesjährigen Treffens "HGM 2004" der internationalen Humanen Genom-Organisation (HUGO) verkatert an, so meinen Beobachter. Der Grund: Nach Jahren, in denen eine Erfolgsmeldung zu frisch getilgten, weißen Flecken auf der Karte menschlicher Gene die andere jagte und neue Basenkodes auch bei unheilbar scheinenden Krankheiten neue Perspektiven zu eröffnen schienen, steht das Heer von Molekularbiologen und Medizinern ein Jahr nach der vollständigen Auslesung der Gene vor einer weiteren, vermutlich noch wesentlich größeren Aufgabe. Jetzt, so konstatierten die Experten, folge auf die Entschlüsselung des Erbgutes die Phase der so genannten "funktionellen Genomik". Dabei gehe es um das eigentliche Verstehen, wie die in den endlosen Basensequenzen festgeschriebenen Proteine ihre Zwecke in den komplizierten physiologischen Netzwerken erfüllen. Erst jetzt, so die trockene Erkenntnis, wisse man, was man eigentlich alles nicht weiß. Dies zeigt unter anderem auch die Tatsache, dass erste Schätzungen zu der Gesamtzahl an Genen von zunächst 100.000 schließlich auf ganze 25.000 heruntergeschraubt wurden.

    Diese sehr viel kleinere Menge an Genen zwingt die Wissenschaftler, ihre Vorstellungen über die Arbeitsweise des Genoms zu revidieren. Als sicher gilt, dass ein Anteil von rund fünf Prozent des Erbschatzes im Laufe der Evolution kaum große Veränderungen erfuhr. Auch verblüfft die Entdeckung, dass nur etwa 40 Prozent dieser so genannten "hoch konservierten" Erbinformationen echte Bauanleitungen für Proteine darstellen. Welchen Aufgaben die restlichen 60 Prozent dienen, ist völlig unklar. Möglicherweise, so die Spekulation von Tagungsteilnehmern, dienten sie der Regulation des Erbgutes. Bliebe da noch die gewaltige Menge von 95 Prozent an restlicher DNS neben diesen fünf Prozent an Uralt-Genen. Einige Forscher betiteln diese Informationsmixtur als "Junk-DNA", in der sich aber manche Abschnitte über die Jahrtausende erhielten und möglicherweise heute noch Funktionen wie den Erhalt der Chromosomstruktur erfüllen. Andere Wissenschaftler gehen dabei allerdings von "Müll" - so genannter "Trash-DNA" - aus, die überhaupt keine Aufgabe besitze. Ed Rubin, Direktor der Abteilung Genomik am Lawrence Berkeley National Laboratory, untersuchte diese Hypothese näher und widmete sich dazu zweien der so genannten "Gen-Wüsten" - also Basenketten von über einer halben Million Bausteinen, die überhaupt keine Gene enthalten. Sie alleine machen insgesamt 25 Prozent des Genoms aus. Rubin entfernte diese Leerstellen aus dem Erbgut von Versuchsmäusen und verglich sie mit Tieren, die die beiden Gen-Wüsten noch besaßen. Das Ergebnis: Tatsächlich konnte Ed Rubin keinen Unterschied ausmachen und schloss daher darauf, dass es sich dabei wirklich um reine Trash-DNA ohne jede Funktion handeln müsse.

    Die Hoffnung, erbliche Krankheiten durch eine Genomkarte besser verstehen zu lernen, war offenbar lange trügerisch. Vor allem bei komplexen Leiden wie Diabetes, Bluthochdruck oder Krebs müssen die Experten immer mehr erkennen, dass diese von sehr vielen unterschiedlichen Genorten abhängen. Die Verstrickung ganz verschiedener Gene zu einem Krankheitsbild sei überdies viel zu verworren, um den Ursachen über Reihenuntersuchungen an einer Bevölkerung auf die Spur zu kommen. Möglicherweise, so meint die finnische Genomforscherin Leena Peltonen, die derartige Studien betreibt, komme man auf diesem Wege niemals solchen Erbleiden auf den Grund.

    [Quelle: Grit Kienzlen]