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"Wenn Hitler heute hier zur Tür hereinkäme..."

1930-45 "regierte" sie Bayreuth: Winifred Wagner. Die Fäden hielt sie auch danach noch fest in der Hand. In Erinnerung geblieben ist sie vor allem als Hitler-Verehrerin. Den Streit um die Nachfolgefrage in Bayreuth heute versteht man besser mit einem Blick auf ihre Biografie.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Als "Monster" galt sie bei den Enkeln. Dabei kannte keiner wie Winifred Wagner das Prinzip des Hauses Wahnfried, auf dem auch "Neu-Bayreuth" aufbaute: "Verdrängen".

    Dass Sohn Wieland noch mit Hitlers Hilfe die Macht am Grünen Hügel ergreifen wollte; dass er dafür seinen Lehrer, den Bühnenbildner Emil Preetorius als "Entarteten" der Gestapo in die Fänge trieb; dass er seinem Schwager als KZ-Aufseher in Bayreuth assistierte, dann mit dem Parsifal-Autograph unterm Arm in die Schweiz türmen wollte und, um die Entnazifizierung zu vermeiden, in der französischen Zone abtauchte - es war getilgt.

    Und auch Winifred schwieg, obwohl sie sonst unverblümt sagte, was sie dachte. Aus ihrem Herzen machte sie keine Mördergrube. Auch wenn der berühmt-berüchtigte Satz, den sie am Rande von Filmaufnahmen mit Jürgen Syberberg 1975 sagte, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Für Winifred zählte an Hitler nur die Privatperson, sein "österreichischer Charme".

    Wenn Hitler z.B. heute hier zur Tür hereinkäme, ich wäre genauso so so fröhlich und so so glücklich, also ihn hier zu sehen und zu haben, als wie immer.

    "Treu bis in den Tod" - die Figur der Senta war schon für das Walisische Waisenkind Winifred im Haus der Berliner Pflege-"Großeltern" Klindworth die liebste Wagner-Figur; zeitweise nannte sie sich auch so. Und von "Winnie & Wolf" träumten ihre Kinder noch vor dem Tod des Vaters. Sohn Wieland hätte gern Vater Siegfried gegen Hitler getauscht: den "Onkel Wolf", der sich noch spät abends ans Bett setzte und so schöne Geschichten erzählte.

    1915 war die eben 18-jährige Winifred Klindworth mit Siegfried verheiratet worden. Mutter Cosima und die Schwestern hatten den einzigen Wagner-Sohn, den es mehr zu Männern trieb, gedrängt, endlich für den Stammhalter zu sorgen. Und Winifred hielt sich wie immer mit Volleinsatz ran: vier Kinder gebar sie ihm, Jahr für Jahr eines.

    Dass Hitler seit 1923 regelmäßiger, wenn auch aus Angst um die Festspiele oft heimlicher Gast in Wahnfried war, wünschte die Familie. Siegfried machte ihn mit einem "Du gefällst mir" hoffähig. Schwager Houston Stewart Chamberlain, dessen Rassetheorien die Bibel der Rechten war, pries in Hitler den "Retter Deutschlands".

    Dass Winifred Wagner nach dem Tod von Ehemann und Schwiegermutter 1930 Hitler nicht heiratete, war auch dem Testament geschuldet. "Herrin von Bayreuth" durfte sie nur sein als Witwe. In Heinz Tietjen, Generalintendant der Preußischen Theater in Berlin, fand Winifred den neuen Künstlerischen Leiter - und Liebhaber, der mit ihr den alten Cosima-Muff wegblies, verhasst bei den Kindern.

    Ihrer beider größter Erfolg: der Lohengrin im Olympiajahr 1936. Hitler hatte ein Vielfaches der üblichen Ausstattungssumme ausgespuckt. Preetorius durfte aus dem Vollen schöpfen. Wilhelm Furtwängler, sonst meist im Clinch mit der Festspiel-Leiterin, dirigierte. Tietjen inszenierte.

    Bis ins Kriegsjahr ’44 mussten auch die Festspiele "durchhalten". Hitler ordnete es an; er selbst kam 1940 zum letzten Mal. Danach blieb er, der sich sonst mit der Bayreuthchefin so schmückte, auf Distanz. Die Hilfegesuche, die sie ihm hätte vortragen wollen, häuften sich. Ihr reger Einsatz für Menschen bewahrte sie bei der Entnazifizierung vor dem Arbeitslager.

    Das Wagnersche Werk in einer Stiftung zu sichern, sah sie als Aufgabe nun. Wieland hatte vor seinem frühen Tod 1966 noch versucht, das Tristan-Autograph zu versilbern. 1973 wurde der Staatsvertrag signiert. Die Familie bekam endlich Bargeld. Zuletzt reiste die leidenschaftliche Autofahrerin Winnie viel, spann eifrig das Netz der "Ehemaligen", sandte "Gesinnungs"-Grüße an NPD-Größen. Das moderne Regie-Theater verachtete sie, freute sich, dass Sohn Wolfgang ihm nicht frönte.

    Winifred Wagner starb am 5. März 1980 in Überlingen, 82-jährig. Zu verdanken hat Bayreuth ihrem organisatorischen Geschick, dass es zwischen den Kriegen nicht unterging, auch wenn der Preis dafür sehr hoch war.


    Literatur:
    Brigitte Hamann
    "Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth",
    München (Piper) 2002
    688 Seiten