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Wenn Kinder nicht richtig rechnen können

Giovanni sitzt am Wohnzimmertisch. Vor ihm aufgeschlagen liegt das Matheheft. Doch der Achtjährige hat keinen Spaß an den Rechenaufgaben. Ein Motivationsproblem, das seine Mutter schon seit dem ersten Schuljahr kennt.

Von Armin Himmelrath |
    Er kommt durcheinander, Minus und Plus-Rechenaufgaben sowieso. Die hat er immer noch nicht begriffen in zwei Jahren. Und das haben wir gemerkt, dass er immer vergesslich ist. Vergesslich, keine Lust, lustlos, überhaupt die Tonne mal hochzunehmen: Der kommt aus der Schule, schmeißt die in die Ecke, fertig. Und dann muss man ihm sagen: So, jetzt hol mal deine Hausaufgaben raus. Und jetzt mach mal. Und jetzt tu mal.

    Giovanni, sagt seine Kinderärztin, leidet an Rechenschwäche, der so genannten Dyskalkulie. Die Mutter beschreibt, wie sich das schon bei den Grundrechenarten bemerkbar machen.

    Meistens vergisst er das. Er ist auch sehr langsam. Dann überlegt er: äh, äh, oh - ist Minus. Oh, dann überlegt er wieder: Ja, jetzt muss ich ja zurückzählen. Das fällt ihm dann wieder schwer. Klar, weil er ein paar Aufgaben mit Plus gemacht hat, und dann Minus, das fällt ihm dann wieder schwer. Hat er schon wieder vergessen, wie's geht. Dann muss man sich da hinsetzen und wieder erklären. Dann sitzen wir schon mal zwei, drei Stunden an den Hausaufgaben.

    Nicht nur die Mutter, auch der Achtjährige selbst empfindet seine Lernfortschritte als quälend langsam.

    Die erklärt mir zuerst. Und dann habe ich das noch mal nicht verstanden und dann noch mal erklären und dann habe ich das verstanden. Dann habe ich das ein bisschen alleine gemacht.

    Seine Mutter sagt:

    Das belastet uns schon seit über einem Jahr. Dann tut einem das Kind auch leid: In einer Hinsicht schreit man das Kind dann an: Du musst, oder sollst! Jetzt aber! Gewisse Regeln halt. Aber das kann man nicht. Man kann das Kind nicht von heute auf morgen: So, du musst jetzt büffeln, büffeln, büffeln! Ein kleines Kind versteht das nicht. Der ist nachher plem, plem. Der hat gestern auch deswegen geweint.

    Hinzu komme, dass sie von Seiten der Schule beim Umgang mit der Rechenschwäche kaum Unterstützung erfahren habe, sagt Giovannis Mutter:

    Die Lehrerin hat mich immer drauf angesprochen, dass er ein bisschen schwach ist, und so, der ist zwar ins Zweite gekommen. Dann habe ich sie darauf angesprochen, wie das mit Förderunterricht ist. Das ist dann nur einmal die Woche, in der fünften Stunde. Einmal die Woche, das ist für mich für ein Kind zu wenig. Die Kinder werden überhaupt nicht gefördert, gar nicht! Die werden mit Hausaufgaben bombardiert, dann muss das zuhause gemacht werden. Wer weiterkommt, kommt weiter, wer nicht, bleibt eben da hängen.

    Eltern sollten sich wegen solcher Erfahrungen nicht unbedingt nur auf das Urteil der Lehrer verlassen, rät deshalb der Berliner Kinderarzt Thomas Kuske. Denn häufig würden sie durch ihren täglichen Erfahrungen mit den Kindern eigentlich viel früher Bescheid wissen als die Lehrerinnen und Lehrer in der Schule:

    Ich glaube, dass die Eltern in der Regel schon vorher wissen oder spüren, dass ein Kind mit Mathe und Rechnen Schwierigkeiten hat. Bevor schulische Fertigkeiten erlangt werden, haben Eltern schon diskrete Hinweiszeichen, im besten Fall schon im Kindergarten. Es gibt ja jetzt seit einiger Zeit diese Schulfähigkeits-Beurteilungsbögen, die die Eltern freiwillig auch zur U8 oder U9, also bei vier und fünf Jahre alten Kindern, mitbringen können. Dort wird dann auch dieser Teilbereich der psychomotorischen beziehungsweise der geistigen Entwicklung mit abgefragt.

    Bei den Vorsorgeuntersuchungen, sagt Thomas Kuske, sei es auch Aufgabe der Kinderärzte, verstärkt auf eine so genannte auditive Verarbeitungsschwäche zu achten:

    Das sind Kinder, die zum Beispiel eine Aufforderung nicht befolgen können, die möglicherweise Schwierigkeiten haben, einen Rhythmus nachzuklatschen oder dicht beieinander liegende Töne zu unterscheiden. Oft hat man einen Hinweis, wenn die in der musikalischen Frühförderung sind, dass die dann halt völlig chaotisch und desorientiert sind.

    Solche Probleme, sagt der Arzt, hängen oft eng mit einer Rechenschwäche zusammen. Und in der Summe der Probleme führe das dann nicht selten dazu, dass sich die Kinder in der Grundschule überhaupt nicht mehr wohl fühlen. So wie Giovanni, der auf die Frage nach seinen Schulerfahrungen nur knapp antwortet:

    Klappt nicht so gut.