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Wenn Kinder Schmerzen haben

Bereits jedes zehnte Kind leidet an chronischen Schmerzen. Welche Probleme bei der Therapie der kleinen Patienten auftreten und welche Lösungen es gibt, diskutierten Ende letzter Woche über 800 Kinderärzte, Psychologen, Kinderkrankenschwestern und Therapeuten.

Von Julia Bidder | 08.02.2011
    Eine Spritze tut weh, bei Mittelohrentzündungen schmerzen die Ohren und nach Blinddarmoperationen zwickt der Bauch: Das gilt gleichermaßen für Erwachsene und Kinder. Doch auch schon Kinder können an immer wiederkehrenden Schmerzen wie Migräne leiden. Über 1000 betroffene junge Patienten kommen jedes Jahr in die Kinderschmerzambulanz der Vestischen Kinderklinik in Datteln. Christine Wamsler arbeitet dort als Ärztin. Häufig kann ihr Team nicht klären, woher die Beschwerden kommen.

    "Da gibt es keine Erkrankung sozusagen, die dahinter steckt, nichts, was man wegoperieren könnte, nichts was man sozusagen, wie eine Entzündung, mit Medikamenten behandelt dann ist es weg und die Kopfschmerzen kommen nie wieder. Sondern die Kopfschmerzen selber sind das Problem."

    Während ältere Jugendliche häufiger von Kopfschmerzen geplagt werden, leiden jüngere Kinder unter elf Jahren eher an chronischen Bauchschmerzen, Etwa 200.000 bis 300.000 Kinder in Deutschland haben dauerhaft starke oder immer wiederkehrende Schmerzen. Und ihre Zahl wächst. Ein Grund dafür sei Überforderung, sagt Professor Dr. Boris Zernikow, Chefarzt der Abteilung für Kinderschmerztherapie an der Vestischen Kinderklinik:

    "Wir überfordern unsere Kinder, weil wir das Beste für sie wollen - also eine Überforderung aus Liebe ist etwas, wo ich glaube, dass das dazu führt, dass immer mehr Kinder psychosomatische Krankheiten und damit auch chronischen Schmerz bekommen."

    Eltern, Lehrer, aber auch Kinderärzte und Therapeuten stehen diesen Schmerzen oft hilflos gegenüber. Doch wer sein schmerzkrankes Kind zu Hause lässt, statt es in die Schule zu schicken, der begeht möglicherweise einen Fehler: Statt sich zu schonen, sollen die jungen Patienten lieber lernen, mit den Schmerzen zu leben.

    "Ein Ziel unserer Therapie ist, dass nicht der Schmerz die Kinder im Griff hat, sondern dass die Kinder den Schmerz im Griff haben. Und das ist das alleroberste Gebot."

    Dabei helfen Entspannungstrainings und Verhaltenstherapien, aber natürlich auch Medikamente. Allerdings sind die meisten Schmerzmittel nur für Erwachsene zugelassen. Häufig fehlen Studien zur Wirksamkeit und Nebenwirkungen bei jungen Patienten. Triptane zum Beispiel, das sind spezielle Wirkstoffe gegen Migräne. Für Kinder ist nur ein einziges Triptan als Nasenspray zugelassen, und zwar für Kinder ab zwölf Jahren. Im Einzelfall geben Ärzte diese Substanz aber auch schon Fünfjährigen. Ärzte und Eltern müssen dann gemeinsam entscheiden, ob das Kind das Medikament nehmen soll. Christine Wamlser:

    "Wir haben natürlich eine gewisse Erfahrung in den letzten Jahren gesammelt, wir fühlen uns eigentlich bei der Verordnung dieser Medikamente sicher. Und wir klären einfach sehr genau auf über mögliche Nebenwirkungen, über die Zulassungssituation. Dass die Eltern sozusagen sich dann auch trauen, das Medikament dann auch zu Hause einzusetzen und dann auch in den richtigen Situationen einzusetzen und es nicht aus doch Sorge oder Angst mit etwas anderem probieren und oder unserem Rat nicht folgen."

    Solche Unsicherheiten bei Ärzten und Eltern werden vermutlich bleiben, denn es gibt noch viele unbekannte Faktoren beim Kinderschmerz. Mädchen zum Beispiel reagieren meist empfindlicher auf Schmerzen als Jungen und sprechen auf Medikamente schlechter an. Ähnliche Phänomene kennen Mediziner auch von Erwachsenen, doch die Gründe sind noch unklar. Es fehlt an großen Studien und an neuen Therapieoptionen. Doch neue Schmerzmittel für Kinder sind nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Experten auf den Dattelner Kinderschmerztagen kritisieren, dass sich die Forschung anderen Schwerpunkten zuwendet. Professor Boris Zernikow hat Sorge, dass sich daran nicht viel ändern wird ...

    "... sondern die Kinder, die chronisch krank sind, die Schmerzen haben, die unsere Fürsorge eigentlich brauchen, dass die nicht gesehen werden mehr, sondern in Zukunft der Blick nur noch gerichtet ist auf die große Zahl von alten Menschen, die eine Herausforderung sein werden für unsere Gesellschaft. Und diese große Herausforderung wirft die Schatten voraus, und im Schatten stehen chronisch kranke Kinder, und das ist etwas, das hier heißt diskutiert wird."

    Damit die chronisch kranken Kinder nicht in diesem Schatten stehen bleiben, wird die Vestische Kinderklinik in zwei Jahren wieder zu den Kinderschmerztagen laden - und hoffen, dass sie bis dahin neue Erfolge vermelden kann.