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Wenn Krankheit zur Kunst wird

Der australische Künstler John A. Douglas konfrontiert Menschen mit seinem Nierenleiden. In einer zehnstündigen Performance unterzieht er sich einer Dialyse. Er will damit mit dem Tabu brechen, über Krankheiten zu reden.

Von Gesine Kühne | 01.07.2013
    Samstagnachmittag in der Galerie "Carriage Works" in Sydney. In der alten Werkstatt für Eisenbahnen, heute ein Ausstellungsort,, steht ein untersetzter Mann. Er bewegt sich langsam zu atmosphärischen Klängen durch den Raum, fast wie in Zeitlupe. Hinter ihm drei Leinwände mit verschiedenen Landschaften. Einöden.

    Er ist komplett eingehüllt in eine Art goldene Ganzkörperstrumpfhose. Auch das Gesicht verbirgt er hinter dem glänzenden, eng anliegenden Stoff. Nur an seinem runden Bauch ist ein bisschen Haut zu sehen. Die Stelle, an dem der Schlauch hängt, der direkt zu einem weißen Kasten führt. Zur Dialysemaschine.

    Zuschauer betreten den dunklen Raum, werden sofort still und beobachten. So wie Belinda Dipalo, Grafikdesignerin aus Sydney:

    "Er macht seine Behandlung zu Performance Kunst. Das live in einer Galerie zu machen, das ist schon ganz schön heftig. Auch das anzuschauen - ganz schön herausfordernd."

    Was genau ist aber die Herausforderung, jemandem bei der Dialyse zuzuschauen? Jemanden zu beobachten, der sich ganz langsam, fast schön tänzerisch bewegt? Räumlich eingeschränkt von der Länge eines Katheters. Die Antwort ist ganz eindeutig, sagt der Künstler John A. Douglas: Die Maschine schränkt ihn nicht nur ein, ohne dieses Gerät würde er nicht überleben.
    John A. Douglas:

    "Das ist ein Tabu. Wir weigern uns, uns mit dem Tod auseinanderzusetzen. Wir können damit nicht umgehen. Wenn jemand stirbt, reagieren viele Leute fast überrascht: "Oh mein Gott, jemand ist gestorben?" Ich denke, besonders in westlichen Kulturen haben wir uns von Krankheit und Tod abgewandt."

    John A. Douglas ist 53 Jahre alt, ein Ex-Junkie mit Hepatitis C. Seine Nieren haben vor knapp zehn Jahren aufgehört zu funktionieren. Gerade als der gelernte Koch seine Abschlussarbeit für die Kunstuniversität machte, kam die Diagnose. Seitdem muss er jeden Tag zehn Stunden ans Dialysegerät. Er hat gelernt, es in sein Leben zu integrieren. Auf kurzen Arbeitsreisen packt der Künstler nicht nur die Kamera ein, sondern auch den weißen Kasten und die unzähligen Liter Dialyseflüssigkeit:

    "Die Alternative wäre keine Kunst zu machen. Das fände ich unglaublich deprimierend. Tatsächlich hat meine Arbeit einen heilenden Effekt, denn sie stimmt mich positiv, und ich bleibe konzentriert. Ohne diese Arbeit würde ich mich garantiert schlechter fühlen."

    Zurück in dem großen Raum in der Galerie, in dem der goldene Mann ohne Gesicht gerade einen langsamen Walzer mit dem Dialysegerät tanzt. Grafikdesignerin Belinda Dipalo glaubt zu verstehen, was in dem Künstler vorgeht, was er mit seiner Performance erreichen möchte:

    "Für mich ist das eine Einladung in seinen Kopf, denn die drei Leinwände hinter ihm zeigen eine Wüste, einen Berg mit Schnee und eine Art Salzfeld. Ich glaube, dass er sich die ganze Zeit auf seinen Körper konzentriert und deshalb hat er diese externen Landschaften, um sich abzulenken."

    Douglas lenkt sich aber weder mit den Landschaften ab, noch denkt er die ganze Zeit über seinen Körper nach. Er hat eine Art meditative Choreografie entwickelt, in der er jeden Moment intensiv erlebt. Ganz nach Marina Abramovic, der Performancekünstlerin. So kommt er durch die zehn Stunden Performance, die er nicht für sich, sondern für die Zuschauer macht:

    "Die Zuschauer sollen über ihren eigenen Körper nachdenken. Auch über Krankheiten, es ist aber kein morbides Stück, das ich aufführe. Es soll zeigen, wie unglaublich der menschliche Körper ist."