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Wenn Mäuse schneller laufen lernen

Bei den Olympischen Spielen in London kämpfen die Analytiker wie schon in der Vergangenheit gegen die Betrüger. Dabei treffen die Wissenschaftler auf hochgerüstete Dopingnetzwerke.

Von Heinz Peter Kreuzer | 22.07.2012
    Neue Wundersubstanzen erwarten Dopingexperten bei den Olympischen Sommerspielen in London nicht. Sondern die üblichen Verdächtigen: Epo, Wachstumshormon, Testosteron. Trotzdem kein leichtes Spiel für die Dopinganalytiker. Diese Substanzen sind zwar nachweisbar, aber für ein gut organisiertes Dopingnetzwerk ist das kein Problem.
    Der Lübecker Epo-Experte Professor Horst Pagel:

    "Es gibt einmal die Möglichkeit der Mikrodosierung, dass man eben geringe Dosen einsetzt. Was man auch weiterhin machen kann, beispielsweise bezüglich Epo, das wäre da das Paradebeispiel. Da gibt es ja so 150, 160 verschiedene Präparate weltweit. Wenn man die geschickt mischt, das man eine Mischung hat im Organismus von verschiedenen Substanzen, die dann de facto nicht mehr nachweisbar sind."

    Dieses Vorgehen zeigt. Ein Teil der Doper hat ein regelrechtes Experten-Netzwerk hinter sich. Das wird deutlich, wenn Substanzen eingesetzt werden, die noch keine klassische Zulassung haben. Professor Pagel:

    "Da müssen also Leute sitzen, die die aktuellste wissenschaftliche Literatur studieren. Und wenn da irgendwelche Tierversuche beschrieben werden, wo irgendwelche Mäuse 40 Prozent schneller oder länger laufen. Dann wird die Substanz nachsynthetisiert und wird eingesetzt. Da müssen dann Leute am Werk sein, die das Know-how haben die Wissenschaftler sind oder Ärzte oder am besten beides, Und dann solche Dinge produzieren und anwenden."

    Professor Mario Thevis vom Kölner Forschungszentrum für Dopingprävention sieht es ähnlich. Zum einen gebe es ein laienhaftes Szenario, aber

    "… das andere ist professionell organisiert. So dass wir davon ausgehen müssen, dass medizinisch vorgebildetes Personal involviert ist, sowohl im Beschaffungsprozess als auch im Anwendungsprozess. Und es muss auf irgendeiner Ebene eine Kontrolle geben, damit sichergestellt werden kann, dass der Athlet im Falle einer Dopingkontrolle nicht positiv getestet wird. Und all das bedarf einer gewissen Struktur und Infrastruktur, die sicherlich nicht allein auf dem Gedankengut eines Athleten wächst, sondern mehrere betrifft."

    Das "Laienhafte" ist die bei den klassischen Substanzen möglich. Laut Professor Pagel werden viele Substanzen wie bei Diabetikern in die Hautfalte gespritzt. Anders beim Blutdoping, wo eine intravenöse Infusion gelegt werden muss.

    "Und da wird es den wenigsten gelingen, sich selber zu stechen. und mit der eigenen Nadel die eigene Vene zu treffen. Da brauchen sie in der Tat ärztliche oder medizinisch ausgebildete Hilfe."

    Beispiele dafür gab es in der Vergangenheit genug. Zum einen der spanische Arzt Eufemiano Fuentes, zum anderen die österreichische Firma Humanplasma. Und wenn jemand erwischt wird, dann kommen wieder andere, die an dem Millionengeschäft mit dem Doping teilhaben wollen. Medizinisch ausgebildetes Personal ist auch bei der Beschaffung der Präparate involviert, ist Professor Thevis überzeugt.

    "Sie können davon ausgehen, dass Leistungssportler und Spitzenathleten nicht unbedingt ihre Produkte vom Schwarzmarkt beziehen und erst pharmazeutisch geprüfte Präparate anwenden. Was sich in der Vergangenheit auch das eine oder andere mal gezeigt hat. Diese meist auch rezeptpflichtig sind und so dass diese über Mediziner zu beschaffen sind oder zumindest über Apotheken."

    Die andere Möglichkeit ist der Bezug über das Internet. Substanzen aller Art sind problemlos zu beziehen. Die Firma Sledgehammer beispielsweise führte als Nahrungsergänzungsmittel deklarierte Anabolika aus den USA nach Großbritannien ein. Von dort wurden die Präparate in andere EU-Länder verteilt und dann auf dem Postweg verschickt. Selbst eine Razzia in den Frachtzentren der Post konnte die Firma nicht stoppen. Am nächsten Tag war auf der Website zu lesen: "Wegen Problemen mit unserem Vertriebspartner liefern wir ab sofort nur mit UPS." Die kriminelle Energie wird auch an einem anderen Beispiel deutlich. Aus Russland und den baltischen Ländern wird Wachstumshormon, das aus der Hirnanhangdrüse von Leichen extrahiert wird, nach Deutschland geschmuggelt. Professor Horst Pagel:

    "Dieses Leichenwachstumshormon muss über andere Kanäle gehen, das sind mafiöse Strukturen. Schieberbanden, wo vor allem die Häfen von Kiel und Lübeck eine Rolle spielen. Das wird über die baltischen Länder eingeschleust und dann von Lübeck bzw. Kiel nach Europa verteilt, nach meiner Kenntnis."

    Für Olympia in London bleibt daher zu sagen: Medaillen sind erst 2020 sicher, so lange können die Dopingproben noch nachgetestet werden. Denn verbesserte Analysen können im Nachhinein noch den einen oder anderen Doper überführen. Gegen die kriminellen Strukturen jedoch kann nur der Staat helfen.