Die Aufdeckung von kaputten Beziehungen in Familie, Ehe und lockeren Partnerschaften ist nicht gerade ein seltenes Thema in der modernen europäischen Dramatik. Wenn das Meininger Theater das Stück "Der Unfall" aus dem Jahr 2004 vom in Israel populären Autor und Regisseur Hillel Mittelpunkt auf den Spielplan setzt, erwartet man einen besonderen Zugriff auf bekannte Probleme. Die aber bietet Mittelpunkt nicht. Es sei denn, man hält die Tatsache, dass sich bei ihm die Aufdeckung von Lebenslügen nach einem Unfall mit Todesfolge durch die Diskussion über das moralische Versagen von Unfallbeteiligten entwickelt, tatsächlich für einen neuen, schärfenden Blick. Als Entdeckung möchte ich das Stück nicht gerade bezeichnen.
Der Autor schrieb zwar eine israelische Geschichte, aber sie ist ohne Weiteres zeit- und ortlos zu verstehen. Das macht sie aber auch ein wenig, nun ja, vorhersehbar. Wir erkennen eine Gesellschaft, die ihre Moralbegriffe je nach gewünschter Lebensweise ändert.
Die Aufführung beginnt mit einem Film über einen Autounfall auf einsamer Landstraße am Neujahrsmorgen. Dann stehen die Fahrzeuginsassen auf der Bühne um den Toten herum und diskutieren. Der Fahrer, ein Werbeagent und Start-up-Unternehmer, muss am nächsten Morgen in Barcelona ein Projekt vorstellen. Er fuhr zu schnell und hatte getrunken, weshalb auch seine Frau Tami, die dazu Angst um ihre kurz vor der Vollendung stehende Adoption eines Babys zeigt, sich heftig fürs Weiterfahren einsetzt. Nur der Dokumentarfilm-Regisseur Adam, der als Eigentümer des Autos auf dem Rücksitz schlafend vom Unfall nichts mitbekommen hat, hat moralische Bedenken und will die Polizei rufen. Schließlich aber fährt man weiter, denn es war ja wohl nur ein chinesischer Arbeiter, für den auch die Polizei wenig Nachforschungen anstellen wird.
"- Adam: Es ist nicht so, dass ich keine Prinzipien hätte, ich habe welche, viele sogar. Aber mein Bedürfnis nach Bequemlichkeit ist häufig stärker. Ich weiß auch, dass meine Filme wahrscheinlich mutiger sind als ich selbst. Trotzdem habe ich geglaubt, ich könnte zwischen gut und böse unterscheiden. Ich habe mich als moralischen Menschen eingeschätzt. Und jetzt, nach dem Unfall ...
- Tami: Adam, du und Lior; ihr wart ein bisschen angeschickert ...
- Adam: Wir waren betrunken ...
-Tami: Der Chinese ist auf die Straße, direkt vor's Auto gesprungen, als hätte er es mit Absicht getan.
- Adam: (kichert) Ah, jetzt wollte er schon Selbstmord begehen, also ich bitte dich. Tami, schau mal. Es gibt ganz elementare Regeln und Grundsätze, die man in bestimmten Situationen einzuhalten hat."
So kehren alle in ihren Alltag zurück. Mittelpunkt konstruiert nun ein kompliziert-einfaches Beziehungskonstrukt. Die junge Tami und der Mittfünfziger Adam beginnen eine Affäre. Und Tamis Mann Lior trifft sich in Barcelona, wo seine berufliche Vorstellung misslingt, zu einer Affäre mit Shiri, einer Studentin und Tochter Adams. Während dessen Frau Nira, eine Universitätsbibliothekarin, durch Hochwasser in der Bibliothek watet, um literarische Nachlässe zu retten. Man merkt, alle Berufe und Handlungen haben hier beziehungsreiche Bedeutungen. Dazu stellt Hillel seine Hauptfiguren noch durch Monologe vor. Der Regisseur referiert über seinen geplanten Film, in dem es über eine Untat von israelischen Soldaten an einem Araber geht und in dem der einzige geständige Täter Selbstmord begeht. Tami arbeitet am Institut für strategisches Denken und Forschung und spricht über Bomben, während ihr Mann Lior in Günther Beelitz Inszenierung mit groteskem Werbesprech als albern überdreht und angepasst daherkommt.
Sie werden in einer Sofalandschaft, die von den Darstellern für jede Szene auf leerer Bühne neu geordnet wird, zu wechselnden Diskutiergruppen zusammengeführt. Hier wird unentwegt geredet. Und es offenbaren sich die Lügen und Fehltritte.
Auch, wenn Regisseur Beelitz die Konfliktsituationen spannungsreich zu arrangieren sucht, wirkt das doch alles recht vorhersehbar. Auch fehlt den Figuren, trotz der Souveränität der Darsteller, psychologische Tiefe und den Dialogen sowohl Leichtigkeit wie existentielle Schärfe. Wie Adam an seinem Fehlverhalten bei dem Unfall leidet und sich in die Liebe zur jungen Tami wirft, während seine Frau sich wohl vernachlässigt fühlt, die gemeinsame Tochter wiederum Probleme mit ihrer Mutter hat und Mutter und Vater ihre Probleme miteinander, das plätschert gut gemeint problembewusst dahin.
Man schaut sich das so an, freut sich an präzisen Schauspielern, wird aber nie hineingezogen in die Probleme des Abends. Wer hier mit wem und warum und weshalb diese Beziehung längst kaputt, die andere verlogen und die dritte vielleicht vorbei ist, das akzeptiert man eigentlich nur als Versatzstücke eines well-made-plays.
Das uns sagt - ja, was eigentlich? Dass Moral weh tun kann? Oder dass Menschen sich ihre moralischen Grundsätze nach privater Erfordernis einrichten?
Das Stück endet damit, dass alle sich Adams fertigen Film im Fernsehen anschauen. Dabei ruft Tochter Shiri aus China an: Sie hat die Identität des Unfallopfers herausbekommen, ist als Volontärin der UNO nach China gereist und hilft nun der Familie des Toten.
Da bleibt ihrem Vater nur, bitterlich zu weinen. Moral tut schließlich weh.
Der Autor schrieb zwar eine israelische Geschichte, aber sie ist ohne Weiteres zeit- und ortlos zu verstehen. Das macht sie aber auch ein wenig, nun ja, vorhersehbar. Wir erkennen eine Gesellschaft, die ihre Moralbegriffe je nach gewünschter Lebensweise ändert.
Die Aufführung beginnt mit einem Film über einen Autounfall auf einsamer Landstraße am Neujahrsmorgen. Dann stehen die Fahrzeuginsassen auf der Bühne um den Toten herum und diskutieren. Der Fahrer, ein Werbeagent und Start-up-Unternehmer, muss am nächsten Morgen in Barcelona ein Projekt vorstellen. Er fuhr zu schnell und hatte getrunken, weshalb auch seine Frau Tami, die dazu Angst um ihre kurz vor der Vollendung stehende Adoption eines Babys zeigt, sich heftig fürs Weiterfahren einsetzt. Nur der Dokumentarfilm-Regisseur Adam, der als Eigentümer des Autos auf dem Rücksitz schlafend vom Unfall nichts mitbekommen hat, hat moralische Bedenken und will die Polizei rufen. Schließlich aber fährt man weiter, denn es war ja wohl nur ein chinesischer Arbeiter, für den auch die Polizei wenig Nachforschungen anstellen wird.
"- Adam: Es ist nicht so, dass ich keine Prinzipien hätte, ich habe welche, viele sogar. Aber mein Bedürfnis nach Bequemlichkeit ist häufig stärker. Ich weiß auch, dass meine Filme wahrscheinlich mutiger sind als ich selbst. Trotzdem habe ich geglaubt, ich könnte zwischen gut und böse unterscheiden. Ich habe mich als moralischen Menschen eingeschätzt. Und jetzt, nach dem Unfall ...
- Tami: Adam, du und Lior; ihr wart ein bisschen angeschickert ...
- Adam: Wir waren betrunken ...
-Tami: Der Chinese ist auf die Straße, direkt vor's Auto gesprungen, als hätte er es mit Absicht getan.
- Adam: (kichert) Ah, jetzt wollte er schon Selbstmord begehen, also ich bitte dich. Tami, schau mal. Es gibt ganz elementare Regeln und Grundsätze, die man in bestimmten Situationen einzuhalten hat."
So kehren alle in ihren Alltag zurück. Mittelpunkt konstruiert nun ein kompliziert-einfaches Beziehungskonstrukt. Die junge Tami und der Mittfünfziger Adam beginnen eine Affäre. Und Tamis Mann Lior trifft sich in Barcelona, wo seine berufliche Vorstellung misslingt, zu einer Affäre mit Shiri, einer Studentin und Tochter Adams. Während dessen Frau Nira, eine Universitätsbibliothekarin, durch Hochwasser in der Bibliothek watet, um literarische Nachlässe zu retten. Man merkt, alle Berufe und Handlungen haben hier beziehungsreiche Bedeutungen. Dazu stellt Hillel seine Hauptfiguren noch durch Monologe vor. Der Regisseur referiert über seinen geplanten Film, in dem es über eine Untat von israelischen Soldaten an einem Araber geht und in dem der einzige geständige Täter Selbstmord begeht. Tami arbeitet am Institut für strategisches Denken und Forschung und spricht über Bomben, während ihr Mann Lior in Günther Beelitz Inszenierung mit groteskem Werbesprech als albern überdreht und angepasst daherkommt.
Sie werden in einer Sofalandschaft, die von den Darstellern für jede Szene auf leerer Bühne neu geordnet wird, zu wechselnden Diskutiergruppen zusammengeführt. Hier wird unentwegt geredet. Und es offenbaren sich die Lügen und Fehltritte.
Auch, wenn Regisseur Beelitz die Konfliktsituationen spannungsreich zu arrangieren sucht, wirkt das doch alles recht vorhersehbar. Auch fehlt den Figuren, trotz der Souveränität der Darsteller, psychologische Tiefe und den Dialogen sowohl Leichtigkeit wie existentielle Schärfe. Wie Adam an seinem Fehlverhalten bei dem Unfall leidet und sich in die Liebe zur jungen Tami wirft, während seine Frau sich wohl vernachlässigt fühlt, die gemeinsame Tochter wiederum Probleme mit ihrer Mutter hat und Mutter und Vater ihre Probleme miteinander, das plätschert gut gemeint problembewusst dahin.
Man schaut sich das so an, freut sich an präzisen Schauspielern, wird aber nie hineingezogen in die Probleme des Abends. Wer hier mit wem und warum und weshalb diese Beziehung längst kaputt, die andere verlogen und die dritte vielleicht vorbei ist, das akzeptiert man eigentlich nur als Versatzstücke eines well-made-plays.
Das uns sagt - ja, was eigentlich? Dass Moral weh tun kann? Oder dass Menschen sich ihre moralischen Grundsätze nach privater Erfordernis einrichten?
Das Stück endet damit, dass alle sich Adams fertigen Film im Fernsehen anschauen. Dabei ruft Tochter Shiri aus China an: Sie hat die Identität des Unfallopfers herausbekommen, ist als Volontärin der UNO nach China gereist und hilft nun der Familie des Toten.
Da bleibt ihrem Vater nur, bitterlich zu weinen. Moral tut schließlich weh.