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Wenn Papa depressiv wird

Medizin.- In Deutschland leben etwa drei Millionen Kinder bei psychisch kranken Eltern. Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Berlin wurden Projekte vorgestellt, die diesen Kindern helfen sollen.

Von Volkart Wildermuth |
    Drei Millionen Kinder leben in Deutschland in Familien mit einem psychisch kranken Elternteil. Drei Millionen Kinder, die selbst ein erhöhtes Risiko haben, depressiv zu werden, zur Flasche zu greifen oder Wahnvorstellungen zu entwickeln. Beispiel Schizophrenie:

    "Also, das Risiko der Gesamtbevölkerung beträgt ein Prozent und das Risiko von Kindern schizophren erkrankter Eltern beträgt 13 Prozent, nur um ein Beispiel zu nennen, es gibt eine mehrfach erhöhte Auffälligkeits- und Krankheitsrate."

    Die Familientherapeutin Dr. Silke Wiegand-Grefe von der Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf erklärt das durch einen Teufelskreis aus drei Faktoren. Erstens erben diese Kinder von ihren Eltern ein genetisches Risiko. Zweitens fehlt ihnen im Babyalter eine verlässliche Bindungsperson, die ihnen Sicherheit vermittelt. Und drittens haben diese durch die ersten beiden Faktoren besonders verletzlichen Kinder oft mit sehr großen Belastungen zu kämpfen. Scheidung, Isolation, Arbeitslosigkeit, Armut setzen die Familien psychisch Kranker unter Druck. Erster Ansatz für den Schutz der Kinder ist die Behandlung der Eltern, aber das reicht oft nicht aus. So erlebt jede zehnte Mutter nach der Geburt eine Phase der Depression, wenn sie in diesen wichtigen Monaten aber kaum auf ihr Neugeborenes reagiert, verändert sich auch das Baby.

    "Häufig sehen wir dann auch Kinder, die sich zurückziehen, die den Blickkontakt meiden, die nicht lautieren, die sich von der Mutter abwenden und die sozusagen, was ihre Körperspannung betrifft, die erschlaffen und sich sozusagen zurückziehen."

    Die Psychologin Dr. Brigitte Ramsauer kann solche Mütter in einer Tagesklinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf aufnehmen und unterstützen. Gemeinsam mit der Therapeutin lernt die Mutter, die Signale ihres Kindes zu deuten und auf sie zu reagieren. Und das Baby erfährt, dass seine Kontaktversuche Erfolg haben können. Fast genauso wichtig wie die Therapien sind konkrete Hilfen, angefangen bei Kochtipps bis hin zu einem strukturierten Tagesablauf mit dem Baby. Die Depression der Mutter an sich lässt sich auch anders behandeln, in dieser umfassenden Betreuung gelingt es aber vielen Müttern, trotz ihrer psychischen Krankheit eine stabile Beziehung zu ihrem Baby aufzubauen. Bei Kleinkindern steht die sichere Bindung im Mittelpunkt, bei älteren Kindern spielen andere Faktoren eine Rolle.

    "Wenn ein Elternteil im Wahnsystem lebt, sich verfolgt fühlt, fremdgesteuert fühlt und so weiter, dass ein Kind das nicht einordnen kann und da Probleme hat, das zu verstehen, das ist ganz plausibel und ganz nachvollziehbar."

    In vielen Familien ist die psychische Krankheit aber ein Tabuthema. Deshalb ist Krankheitsbewältigung ein wichtiges Thema, dass Silke Wiegand-Grefe mit den Eltern und den Kindern zunächst in Einzelsitzungen und dann in der Familienrunde durchspricht. Ein besseres gegenseitiges Verständnis verändert oft auch die Beziehungen. In den Familien kommt es oft zu einem Rollentausch, weil die Eltern oft ausfallen, müssen gerade ältere Geschwister zu viel Verantwortung übernehmen, schlüpfen quasi in die Elternrolle. Oft ist es aber möglich, Hilfe von außen zu organisieren und die Kinder so zu entlasten.

    "Und da spielen oftmals einfach auch Hemmschwellen und Ängste eine Rolle, und wenn wir die motivieren und sagen: Natürlich, warum nicht, sprechen Sie sie an, fragen Sie doch die Freundin mal, ob sich das Kind an sie wenden kann, oder ähnliches, in so einer Situation da erfordert das oftmals nur so einen kleinen Motivationsschub und dann ist da einiges möglich. Also wir machen die Erfahrung, dass wir mit sehr wenigen Gesprächen einiges in Bewegung bringen können."

    Eine Studie aus Boston zeigt, dass die Hilfe für die ganze Familie die Kinder schützt. In den vier Jahren Nachbeobachtung wussten die Kinder nicht nur mehr über die psychische Krankheit ihrer Eltern, sie hatten auch weniger Angst und vor allem, sie entwickelten selbst weniger Verhaltensauffälligkeiten und Depressionen.