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Wenn Pillen krank machen

Pharmazie. - Wer sein Rezept in der Apotheke einlöst, erwartet, zu bekommen, was der Arzt verschrieben hat. In Zeiten des Internets muss das aber nicht sein, denn die Zahl gefälschter Medikamente aus dem Ausland steige bedenklich, warnen deutsche Pharmazeuten.

Monika Seynsche im Gespräch mit Hellmuth Nordwig |
    Monika Seynsche: Stellen Sie sich vor, Sie kaufen ein Kopfschmerzmittel, und darin ist überhaupt nicht der Wirkstoff, der darin sein sollte. Oder noch schlimmer: es ist ein falscher Wirkstoff darin. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass bis zu 30 Prozent aller Medikamente, die in Asien, Afrika und Lateinamerika verkauft werden, gefälscht sind. Auch hierzulande tauchen immer wieder Medikamentenpackungen auf, die nicht das enthalten, was sie sollten. Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft hat heute deshalb eine Pressekonferenz gegeben. Wie groß ist denn das Problem in Deutschland?

    Hellmuth Nordwig: Dazu gibt es eigentlich keine zuverlässigen Zahlen. Die Dunkelziffer ist hier wohl sehr hoch. Das Bundeskriminalamt spricht von wenigen Fällen pro Jahr. Nun könnte man denken, nichts Aufregendes, allerdings stecken dahinter jeweils tausende von Schachteln - es sollen 1,5 Millionen Tabletten im Jahr 2006 gewesen seien, die in ganz regulären Handel, also in normalen Apotheken aufgetaucht sind. Wenn man Arzneimittel aus dem Ausland bezieht, dann ist das Risiko viel größer. Der Zoll hat im vergangenen Jahr 3200 Sendungen mit Arzneimitteln beschlagnahmt. Das sind überwiegend diese diskret verpackten Lifestyle-Präparate, die an Privatpersonen gehen, Potenzmittel sind dabei, Haarwuchsmittel, Bodybuilding-Präparate. Einige sind hier gar nicht zugelassen, viele sind wirklich gefälscht. In anderen Ländern, etwa in Afrika, sondern bis zu 60 Prozent Fälschungen auf dem Markt sein.

    Seynsche: Was heißt denn überhaupt gefälscht bei Medikamenten?

    Nordwig: In dem größten Teil der Fälle, nämlich in 60 Prozent, so sagt die Weltgesundheitsorganisation, ist einfach kein Wirkstoff in der Tablette. Das ist also das klassische Placebo, da kann man Milchzucker nehmen oder was auch immer. Das schadet der Industrie, denn es wird unter ihrem guten Namen etwas verkauft, was nicht wirkt. Aber für den Patienten ist es letztendlich harmlos, jedenfalls dann, wenn es nicht um ein echtes Medikament geht, dass er eigentlich bräuchte, sondern um so eine Lifestyle-Geschichte. Viel gefährlicher ist dagegen eine andere Gruppe, die macht 16 Prozent aus: da ist ein falscher Wirkstoff drin. Und dann gibt es noch eine weitere, genauso große Gruppe, die hat die richtige Substanz im Prinzip, aber die Menge stimmt nicht - es ist zu wenig darin, oder zu viel. Da kann es dann zu schweren Nebenwirkungen kommen. Das Potenzmittel Viagra, wenn wir uns das anschauen, das ist ja sehr bekannt: wer herzkrank ist oder ein Spray gegen Angina pectoris bekommt, der darf es nicht nehmen, das kann dann nämlich tödlich ausgehen. In so einem Fall würde er in Deutschland auch gar kein Rezept bekommen, aber bei vielen Internet-Apotheken braucht man das gar nicht, da gibt es dann so pro forma ein Online-Rezept. Und da ist natürlich die Gefahr einer Fälschung viel größer. Dann gibt es weitere Fälschungen, bei denen das Medikament im Ausland produziert wird auf ganz billige Weise und verunreinigt ist. Dazu sollte man sagen, das ist nicht selten, dass Medikamente im Ausland hergestellt werden, 80 Prozent der ganz legalen Medikamente in Deutschland werden in China und Indien hergestellt. Aber gelegentlich werden die eben doch stark verunreinigt. Zum Beispiel gab es da mal Glycerin, mehrere Dutzend Tote in Panama im vergangenen Jahr, weil das Präparat verunreinigt war mit dem giftigen Diethylenglykol.

    Seynsche: Sie haben eine ganze Reihe von Fälschungen angesprochen. Wie erkennt man denn solche Fälschungen?

    Nordwig: Letztlich kann man das erst im Labor nachweisen. Denn es ist hinterlegt zu jedem Präparat, was genau darin enthalten sein muss. Man kann nun auch nicht grundsätzlich sagen, wer da in einer Internet-Apotheke bestellt, ist selber schuld. Wenn aber behauptet wird, der Patentschutz sei abgelaufen, bei Viagra zum Beispiel, das stimmt einfach nicht, oder wenn die Webseite gar kein Impressum hat - ich habe heute Nachmittag noch einmal geschaut, in den Niederlanden gibt es solche Online-Apotheken, da weiß man noch nicht einmal, wo die genau sich befinden, es gibt nicht einmal eine Telefonnummer - dann muss man auf jeden Fall misstrauisch werden. Genauso wenn der Beipackzettel fehlt oder wenn die Tabletten gleich zerbröseln, wenn man sie herausnimmt, dann Finger weg von Präparaten, die ganz ohne Rezept aus dem Ausland bezogen werden können. Dann kann man ziemlich sicher sein, dass man es mit einer Fälschung zu tun hat.

    Seynsche: Gibt es denn irgendwelche Hinweise, wie die Hersteller darauf reagieren? Wie verhindern sie solche Fälschungen?

    Nordwig: Durch Aufklärung zunächst. Auf der Webseite von Bayer etwa kann man genau sehen, wie ein Original und eine Fälschung aussehen. Dann gibt es aber auch fälschungssichere Merkmale für die Verpackungen, eine Tinte, die die Farbe wechselt, ist jetzt hier der letzte Schrei. Aber das wird alles meistens recht schnell nachgeahmt, das sind so Techniken, die man vom Geld her kennt, oder von Reisepässen und ähnlichem. Es gibt da noch die Markierung mit Funkchips, den so genannten RFID, da setzt man in den USA drauf. Eigentlich sollten die im letzten Jahr überall, wo gefährdete Präparate im Umlauf sind, installiert sein. Aber da ist noch nichts draus geworden, also am besten den gesunden Menschenverstand gebrauchen und Finger weg von Präparaten aus dem Internet, die besonders günstig sind.