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Wenn's klimpert, ist noch was da

Der Volkswirtschaftler Birger Priddat huldigt dem Kleingeld. Und zwar nicht nur dem in Form von Münzen, sondern auch den Einkaufswagenchips, den Biermärkchen und den Garderobenzetteln. Sogar von ganz neuen Berufen wie dem Parkplatzbroker ist die Rede.

Von Florian Felix Weyh | 11.02.2011
    Es klimpert. Bei Männern vornehmlich in der Hosen-, bei Frauen in der Handtasche. Wird es zuviel, folgt in den meisten Fällen eine Entsorgungsaktion. Früher diente der "Brautschuh" als Auffangbehältnis für Kleingeldmünzen, heute sind es leere Kaffeedosen, Gurkengläser oder Riesensparschweine.

    Denn Kleingeld ist zwar Geld - und als solches Ziel unserer Träume -, aber irgendwie auch eine Last, derer man sich regelmäßig entledigen muss. Etliche Völker in Europa haben die Ein- und Zwei-Cent-Münzen gleich ganz abgeschafft, andere - eigentlich alle außer den Deutschen - würden sich nie für ein Fünf-Cent-Stück im Straßenstaub bücken. Kleingeld ist eine zur Materie erstarrte Verrechnungseinheit, um krumme Kampfpreise in den Läden zu ermöglichen, aber einen Eigenwert besitzt es kaum.

    So denken viele. Außer dem Volkswirtschaftler Birger Priddat, der zwar auch schon mal ein Manifest zur Abschaffung des Kleingelds verfasst hat - zentraler Satz: "Kleingeld sollte verboten werden, weil es die Kaufakte unsäglich verlängert" -, nun aber das schiere Gegenteil als Buch vorlegt. Eine Huldigung, die deutlich zeigt: Ohne Kleingeld geht es gar nicht! Vor allem aber zeigt Priddat, dass Kleingeld beileibe nicht nur in ausgeprägter metallischer Form vorkommt, sondern ein ganzes Universum umfasst: Bonbons, Einkaufswagenchips, Briefmarken, Fahrkarten, Notgeldscheine, Garderobenzettel, Essensmarken, Gutscheine, Parkbons und dergleichen mehr.

    Statt auf den Wert des Tauschmittels kommt es nämlich nur auf dessen Funktion an, und die kann vielfältig ausfallen: "Der Garderobenschein ist ein Inhaberpapier", sagt Priddat beispielsweise. Um ihn zu erhalten, muss man sehr wenig Kleingeld investieren - etwa in der Oper ein, zwei Euro -, doch dann kann er mit einem sehr teuren Pelzmantel quasi "gedeckt" sein. Als "Inhaberpapier" fällt demjenigen der Pelzmantel zu, der im Besitz des Garderobenscheins ist. Gelänge ihm ein betrügerisches Manöver, Schein A (jeansjackengedeckt) gegen Schein B (pelzmantelbesichert) auszutauschen, hätte das Kleingeld wundersam an Wert gewonnen.

    Man merkt: Hier ist ein Aufklärer mit bisweilen humoristischem Ansatz unterwegs. Doch der scheinbare Unernst hat Methode. Sehr ausführlich rechnet Birger Priddat etwa ein System durch, in dem die Restzeiten nicht voll ausgenutzter Parkscheine als eine Art Zeitkleingeld weitergehandelt werden. Dabei kommt er auf einen auskömmlichen Verdienst des "Parkplatzbrokers" - mehr als nur ein Nebenjob für Hartz-IV-Empfänger. Als Einziger erlitte dabei der kommunale Parkplatzbetreiber einen Schaden, weil er die "Luxusrente" der überschüssigen Zeit nicht mehr einkassieren könnte. Das aber, sagt Priddat, sei durchaus im Sinne des Kunden: "Hier lohnt sich eine private brokerage, um die Wohlfahrtseffekte herzustellen, die herzustellen die Kommune nicht mehr in der Lage oder willens ist. Denn es ging ja darum, das Parken zu rationieren, nicht aber, die Einnahmen für die Kommune zu erhöhen."

    Der Blick auf Kleingeldsysteme - echte wie substituierende - kann also sehr erhellend sein, und Birger Priddat ist eine Art Vilém Flusser der Ökonomie - ein vor Ideen sprudelnder, nicht immer konsequent denkender, aber stets anregender Kobold seiner Zunft. Wenn er über "Warteschlangenmärkte" philosophiert, die entstehen könnten, wo Wartemarken ausgegeben werden, eröffnet er einen Exkurs über unser Gerechtigkeitsempfinden - das eben jene Warteschlangenmärkte unmöglich macht: Wir wollen nicht, dass Zeitvorteile beim Anstehen erkauft werden können. Und anhand von Wurst- und Biermarken auf Gemeindefesten erklärt er das Wesen von "institutionellen Renten", nämlich jener Gelder, die der Veranstalter einstreicht, indem er Gutscheine ausgibt, die niemals zu 100 Prozent eingelöst werden.

    Das ist über weite Strecken unterhaltsam und belehrend zugleich, und da der manische Kleingeldsammler Priddat auch reichhaltiges Bildmaterial besitzt, kann man das Buch sogar ohne Lektüre genussvoll durchblättern. An irgendeiner Bildunterschrift wird man sich dann doch festlesen, zum Beispiel bei den nicht mal fingerbreiten Schnippselchen "Kantinengeld", denen der Sammler attestiert, "eher kleine Geld-Beruhigungs-Pastillen als wirkliches Geld" zu sein. Was es auch nicht alles gibt! Notgeld nach dem Ersten Weltkrieg war zwar meistens wenig wert, aber schon damals bei Sammlern so begehrt, dass es zu Editionen völlig fiktiver Kommunen kam. Nicht gefälscht, aber in ihrer Materialzusammensetzung täuschend dem Papiergeld ähnlich, sind Testnoten, mit denen Geldautomatenhersteller ihre Maschinen auf Messen vorführen: Echtes Geld wäre da ziemlich riskant, man denke nur an die vielen gestohlenen Bücher auf der Frankfurter Buchmesse!

    Das alles könnte natürlich bald der Vergangenheit angehören, wenn Geld - auch in kleiner Münze - endgültig komplett virtualisiert worden ist. Doch auch diesen Fall hat Priddat schon bedacht und stößt auf ein Paradox: "Geldkarten enthalten endliche Mengen, die nicht abzählbar sind", warnt er vor Leichtsinn. "Ihre psychologische Menge ist elastisch erweiterbar." Genau deswegen sollten wir das klimpernde Kleingeld in der Hosen- oder Handtasche nicht niedrig achten: Es gewährt uns eine sichere Einschätzung unserer Verhältnisse. Auch wenn es dann beim Abzählen an der Kasse mal ein bisschen lange dauert.

    Birger P. Priddat: "Kleingeld", Kulturverlag Kadmos, 270 Seiten, 19,90 Euro.