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Wenn schon, denn schon

Halbe Sachen sind nichts für Eric Le Sage. Der französische Pianist attestierte sich selbst einmal in einem Interview eine "zyklische Ader". Wenn er einen Autor lese, so Le Sage, dann am liebsten alle seine Werke. Das gilt offensichtlich auch für die Musik.

Von Maja Ellmenreich |
    Ein gewaltiges Schumann-Projekt hat Eric Le Sage über Jahre beschäftigt. Er hat mit Musikerfreunden die Klavierwerke und die Kammermusik mit Klavierbeteiligung für das französische Label Alpha eingespielt und wurde dafür mit Auszeichnungen überhäuft. Wenige Monate nur, nachdem im vergangenen Jahr die elfte und letzte Schumann-Folge auf den Plattenmarkt kam, hat Eric Le Sage das nächste Komplettprojekt in Angriff genommen: die gesamte klavierbegleitete Kammermusik von Gabriel Fauré. Die erste von eines Tages fünf CDs ist jetzt erschienen - mit Werken für Cello und Klavier. Eric Le Sage musiziert mit dem Cellisten François Salque.

    Papillon, op. 77

    Bisweilen nervös, mit flattrigen Flügelschlägen, aber auch mit großer Eleganz bewegt er sich durch die Luft: der Schmetterling, "Papillon", op. 77 - das wohl bekannteste Werk für Cello und Klavier von Gabriel Fauré. Mit ihm hatte der 1845 geborene Komponist allerdings nichts als Ärger gehabt: Sein Verleger hatte das kurze Virtuosenstück bei Fauré in Auftrag gegeben und auch schon klare Vorstellungen von der Namensgebung gehabt. Ein Insekt sollte seiner Meinung nach Pate stehen. Fauré sah das anders, es kam zum Streit. "Schmetterling oder Schmeißfliege - schreiben Sie, was Sie wollen!"
    So wird Fauré in dem überaus informativen Begleitheft der neuen CD zitiert. Und nicht nur die drei Hauptwerke darauf, sondern auch die fünf kurzen Cello-Klavier-Stücke, die sie umrahmen, werden aufschlussreich erläutert. Musik pur? Das ist nicht das Anliegen des französischen Labels Alpha, das seine CD-Reihe "ut musica poesis" getauft hat: Musik - auf der CD - und Lyrik - im beiliegenden Booklet - sollen miteinander in Beziehung treten. In diesem Fall ist es ein Gedicht aus dem 16. Jahrhundert, von dem Franzosen Pierre de Ronsard, das Fauré einst vertont hat. Dazu ein feuilletonistischer Text über den alten und fast ertaubten Komponisten. Eine willkommene Beigabe, diese zusätzlichen Einblicke. Man liest sie gerne, vielleicht auch ein zweites Mal - aber auch ohne sie wäre "Gabriel Fauré Volume I" ein Meisterwerk.

    Wie schon für sein Schumann-Projekt hat Eric Le Sage auch für Fauré ganz hervorragende Mitmusiker gewinnen können. Im Fokus der ersten Folge: der Cellist François Salque, kaum bekannt im deutschen Konzert- und Festivalbetrieb, im französischen aber durchaus. Er war einige Jahre lang Mitglied im Quatuor Ysaÿe, unterrichtet an den Konservatorien in Paris und Lausanne und ist fester Duopartner von Eric Le Sage. Salques Cellospiel ist energiegeladen, sein Ton klar, schlank und beweglich; sein Spiel von langem Atem. Von Näseln keine Spur. Auch wenn François Salque, wie im Finale von Faurés erster Cellosonate, laut Notentext nur mit halber Kraft ins musikalische Geschehen einsteigen soll - ist er von Anfang an deutlich präsent.

    III. Finale. Allegro commodo
    aus: Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1 d-Moll, op. 109


    Wie ein endloser, immer wieder gewundener Fluss strömt die Musik im Sonatenfinale dahin. Und genau das ist charakteristisch für die Musik von Gabriel Fauré: Harmonisch wechselvoll ist sie, rhythmisch flexibel und geprägt von weiten melodischen Bögen. Sie kommt ohne Knalleffekte aus, ohne scharfe Kontraste, jede Veränderung bahnt sich an und vollzieht sich graduell. Meint man, ein Muster, eine Struktur, einen Bezugspunkt ausgemacht zu haben, ist er, ist sie auch schon passé. Oft erinnert Faurés Musik an die gesprochene Sprache: Jedes Instrument erzählt eine Geschichte. Aber die Musik fällt dadurch nicht auseinander - das ist die große Kunst, auf die sich Gabriel Fauré verstand. Bis sein Können allerdings von einem größeren Kreis erkannt wurde, brauchte es einige Zeit, denn der Sohn eines Schullehrers aus Südfrankreich hatte nicht den für einen französischen Komponisten typischen Ausbildungsweg absolviert. Er war nicht aufs Pariser Konservatorium geschickt worden, sondern hatte die École Niedermeyer besucht, wo Kirchenmusiker ihr Handwerk erlernten. Faurés Karriere mag das verlangsamt haben, die Findung eines eigenen, ganz persönlichen Stils allerdings begünstigt. Er hat sein Wissen über alte Kirchenmusik ebenso in seine Musiksprache eingebracht wie seine Begeisterung für die deutsche Klassik und Romantik.

    II. Andante
    aus: Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 2 g-Moll, op. 117


    Beschleunigt wird Faurés Aufstieg auch nicht gerade durch die Tatsache, dass er sich auf wenige, zu seiner Zeit in Frankreich nicht unbedingt populäre Gattungen beschränkt: Kunstlied, Klavier- und Kammermusik. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist Oper en vogue, so dass sich Gabriel Fauré mit einigen Kollegen gezwungen sieht, Lobbyarbeit für die eigene Sache zu betreiben. 1871 gründen sie mit der "Société Nationale de Musique" eine Art Förderverein für französische Kammer- und Orchestermusik. Bis Faurés Musik über Kennerkreise, insbesondere die aristokratischen Salons, hinaus bekannt wird, dauert es. Und es dauert, bis er Professor und schließlich sogar Direktor des berühmten Pariser Konservatoriums werden darf. 1905 übernimmt er die Leitung, da ist er bereits 60 Jahre alt.

    Seine großformatigen Kammermusikwerke für Cello entstehen erst, als Fauré die 70 überschritten hat: zwei Cellosonaten - die erste aufreibend, die zweite versöhnlicher - und sein Trio, op. 120. Diese drei Werke bilden den Kern der neuen CD aus dem Hause Alpha. Auch der Cellist Gautier Capuçon hat sie übrigens kürzlich eingespielt, auch er hat mit befreundeten Musikern jüngst sämtliche Kammermusikwerke mit Klavier von Gabriel Fauré aufgenommen - für das Label Virgin Classics. Eine Art Zwillingsprojekt also zu dem von Eric Le Sage: Hier wie dort spielen die Besten der französischen Musikszene fast identisches Repertoire. Wohlgemerkt: fast! Denn bei Faurés Klaviertrio, opus 120, haben sich die Musiker um Eric Le Sage für eine ganz besondere, äußerst seltene Besetzung entschieden. Fauré hatte 1922 angekündigt, ein Trio für Klarinette oder Violine, Violoncello und Klavier schreiben zu wollen. Letztendlich entschied er sich für die Violine, doch seine einst geäußerten Klarinettenpläne sind Eric Le Sage Ansporn, sie auch zu realisieren. Ansporn und Gelegenheit, wieder den formidablen Klarinettisten Paul Meyer mit ins Boot zu holen. Seit vielen Jahren arbeitet Le Sage eng mit ihm zusammen: Seit 1993 richten sie ein gemeinsames Kammermusikfestival in der Provence aus. Und nun also produzieren sie einen Trioklang, den Fauré selbst nie zu hören bekam. Der robuste Ton der Klarinette verleiht dem dreisätzigen Spätwerk einen vollkommen anderen Charakter. Durch das Blasinstrument kommt eine Dimension hinzu, eine Tiefe und Plastizität, die ihren ganz eigenen Zauber entfaltet. Denn François Salque und Paul Meyer wissen die Klänge von Cello und Klarinette verschmelzen zu lassen. Und dazu das feinsinnige Klavierspiel von Eric Le Sage, in bester französischer "clarté"-Manier. Da möchte man fast vergessen, dass die offizielle Trio-Besetzung eigentlich eine Geige vorsieht.

    I. Allegro, ma non troppo
    aus: Trio d-Moll, op. 120


    Faurés Trio, op. 120 - nicht mit Violine, sondern mit Klarinette, Violoncello und Klavier. Der vielversprechende Auftakt einer Gesamteinspielung des Fauréschen Klavier-Kammermusikschaffens, das der Pianist Eric Le Sage initiiert hat. Diese erste CD ist bei dem französischen Label Alpha erschienen und Ihnen ans Herz gelegt worden von Maja Ellmenreich.


    Interpret: Eric Le Sage, Klavier
    Label: Alpha / LC 00516;
    Bestell-Nr.: Alpha 600