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Wenn sich Berlin über Weihnachten leert

Die sonst so lebendigen Szeneviertel Berlins verwandeln sich zur Weihnachtszeit zu geisterstadtähnlichen Gegenden. In Berlin betrifft das die Innenstadtbezirke. Prenzlauer Berg, Mitte, Kreuzberg. Die Kieze, in denen sich vor allem Schwaben niedergelassen haben. Die packen pünktlich zum Fest ihre Koffer und fahren zurück ins Ländle.

Von Gesine Kühne |
    Wenn der 24. Dezember naht, reibt sich der Berliner erst die Augen, denn es gibt wieder Parkplätze, dann die Hände. Denn der Feind, der des Berliners natürlichen Lebensraum besetzt hat, ist ausgeflogen. Hat in Richtung Süden die Stadt verlassen. Der gemeine Schwabe ist weg.

    Er hat aber nicht nur sein Auto mit dem Stuttgarter Kennzeichen aus der Stadt gefahren, es sieht so aus als hätte er die wuselige Café- und Barkultur der Innenstadt auch gleich mitgenommen. Zum Beispiel ist die beliebte Bar 103 in Berlin Prenzlauer Berg, Anlaufstätte für jeden, der im Sommer gern eine große Sonnenbrille trägt, für DJs, die auch nachmittags noch gerne frühstücken, seit Anfang der Woche geschlossen. Die Rollläden sind heruntergelassen.

    Die "Yuppies Raus"-Kritzelei wirkt für den Moment wie eine Prophezeiung, doch es ist nur die übliche, einwöchige Weihnachtspause erklärt Barchef Matthias Kirsche.

    "Renovieren, was im Jahr versäumt wird, weil immer geöffnet."

    Angst um Verluste hat der Inhaber, ein gebürtiger Freiburger, nicht, denn er weiß, dass seine jungen Gäste ihr Essen und dann eben nur einen profanen Filterkaffee in den nächsten Tagen bei Mutti bestellen.

    Dass die Edelkneipe zu hat, stimmt den Berliner nicht traurig, auch nicht, dass sein Lieblingsburgerladen für eine Woche keine Burger serviert. Der Berliner ist einfach dankbar Platz zu haben. Platz für Weihnachten in seiner Stadt ohne Hindernisse und Ablenkungen. Gut erzogen, wie der Berliner ist, begann er vor sechs Jahren ungefähr sich bei den Zugezogenen für ihren Abzug zu bedanken. Mit Postern, die er in den Szenevierteln aufhängte: Ostberlin sagt Danke, hieß es auf dem Plakat, auf dem leere Parkplätze im Prenzlauer Berg zu sehen waren.

    Ostberlin sagt Danke Tübingen, Danke Heidelberg und natürlich Danke Stuttgart-Sindelfingen. So nett ist der Berliner aber auch nur, wenn der Zugezogene für eine Weile verduftet. Das stellte auch die Medienwissenschaftlerin Natalia Zieleniecki aus dem Sauerland ganz schnell fest:

    "Viele Berliner, die ich kennenlerne, sind einfach übersättigt von den Zugezogenen, besonders denen aus dem Schwabenländle. Aber auch das kann man einfach nicht mehr hören. Das ist immer wieder die gleiche Diskussion."

    Diese immer gleiche Diskussion beginnt meist mit den Worten: Früher war alles besser und endet mit Gentrifikation. Der Satz, der meist als gemeingültige Erklärung für die Abneigung gegenüber Zugezogener fällt: "Die Schwaben verderben den Mietpreis und vertreiben die Alteingesessenen und deshalb finden wir sie doof!"

    Die Berliner haben Angst vor den Schwaben sagt Christopf von Guaita, ein Wahlberliner, und geht mit seiner These noch einen Schritt weiter:

    "Der Berliner ist ja ein bisschen faul und er glaubt wir mache ihm den Akkord kaputt. Ich glaub echt, mir sind zu fleißig. Und des können die halt nicht leiden."

    Der Berliner ist also faul. Das erklärt auch seine Sehnsucht nach der Berliner Weihnacht:

    Der Berliner findet zu Weihnachten schneller einen Parkplatz.
    Lange rumsuchen ist auch echt zu anstrengend.
    Der Berliner freut sich über geschlossene Lokale.
    Das bedeutet kein Zugzwang noch aus dem Haus zu müssen, hat ja eh alles zu.

    Das ist Besinnlichkeit á la Berlin: Bloß nicht zu viel machen. Allerdings müssen die Berliner auf der Hut sein, denn die ersten Zugezogenen haben diese Berliner Besinnlichkeit auch schon für sich entdeckt. Nicht, dass den Hauptstädtern auch noch ihre Weihnacht weggenommen wird wie im restlichen Jahr die Parkplätze.

    "Letztes Jahr bin ich zum ersten Mal Weihnachten in Berlin gewesen und fand das ganz krass, das war total angenehm. Die Stadt war leer. Das war total schön. Und es ging auch nur zwei Tage, aber ich hatte das Gefühl, dass Weihnachten mal das wirkliche Berlin da war."