Diesmal keine Videos, aber ganz ohne distanzierende Rahmenhandlung kommt Katie Mitchell nicht aus, sie ist Englands führende, oder eigentlich einzige Vertreterin dessen, was wir Regietheater nennen und so ist die Bühne, wenn das Stück beginnt, in Plastiktücher eingepackt, die erst einmal raschelnd, von einem fast militärisch gedrillten Team von Kulissenarbeitern abgenommen werden. Unter der Plane überm Kaffeetisch sitzt Marie, die Hauptperson im Stück.
Aber dabei bleibt es nicht. Jeder Kehrbesen, jede Teekanne, jedes Henkeltässchen, das Nachttischlämpchen aus der Dachwohnung und die oft benutzte Cognacflasche werden im Laufe des dreistündigen Abends zu den Klängen von Zwölftonmusik mehrfach in Klarplastik ein- und wieder aus getütet: Als werde Bruckners Klassiker aus dem Jahre 1926 an einem Abend gleich mehrfach vom Dachboden der Theatergeschichte herabgeholt und wieder eingemottet.
Bruckners Stück war die Bühnenanalyse einer Jugend, die die alten Wertordnungen, Ziele, gesellschaftlichen Orientierungen verloren hatte, vor neuen Herausforderungen wie Drogen, Sex, Frauenbefreiung stand und, zum ersten Mal vielleicht, um eine eigene geschichtliche Bestimmung kämpfen musste. Das Stück wurde ein Klassiker: Wenn sich die Jugend unwohl fühlt, und das ist eigentlich immer, kehrt es in die Spielpläne zurück.
In London wird eine Bearbeitung des Dramatiker Martin Crimp gespielt, in der klar auf den Nenner gebracht, was für Auswege es für die Krankheit der Jugend gibt: Nur zwei nämlich: bürgerliche Existenz oder Selbstmord. Die Frage ist, für welche dieser Katastrophen sich die Hauptperson entscheidet.
Marie, lebenstüchtig, aber willensschwach und fremdgesteuert, geht emotional den weitesten Weg, auch weil ihr die Rücksichtslosigkeit der anderen fehlt. Eine strebsame Medizinstudentin, die den verwöhnten Petrell aushält, von ihm verlassen wird, sich von der todessüchtigen Gräfin Desiree verführen lässt, die in der letzten Szene tot im Nebenzimmer liegt. Zum Schluss hat Marie nur noch Freder, den zynischen Möchtegern-Zuhälter, der in seiner Halt- und Orientierungslosigkeit wenigstens aktiv und lebensstark ist: Er war es, der Desiree die vom Chemiekonzern Bayer ganz neu auf den Markt gebrachten Schlaftabletten gegeben hat.
Bruckner hat zwei Schlüsse geschrieben. Interessant, dass sich Mitchell am Schluss ihrer eigenen Selbstmordtrilogie, die von Kroetz' Wunschkonzert über die Purcell-Oper Dido und Aeneas nun zu Bruckner reicht, nicht für die totale Katastrophenversion entscheidet, in der Marie Desiree in den Tod folgt. Freder entscheidet anders für sie.
Das Leben geht weiter. Selbstmord ist nichts für dich, du bist zu schwach. Besser eine bewusste Entscheidung für das bürgerliche Leben, sagt Freder. Die arbeitstüchtige, aber richtungslose Marie und er selbst, der willensstarke, aber faul-selbstsüchtige Freder könnten sogar ein exzellentes bürgerliches Paar abgeben, deutet er an.
Also doch ein Happy Ending? Oder hat sich Mitchell doch für die größte Katastrophe entschieden, die Prosa des Lebens, statt der Poesie des Todes?
Bruckners Jugenddebatten mit ihren abgehackten Dialogen können leicht zu einem neoexpressionistischen Theaterfeuerwerk werden, das an die Schmerzgrenze heranreicht. Aber durch das Verpackungsritual werden die Strudel der Selbstzerstörung immer wieder unterbrochen, die Handlung zum Stillstand gezwungen. Dieses Ordnen und Archivieren rahmt die Bühnenhandlung in der klinisch kalten Objektivität der Neuen Sachlichkeit, der diese Inszenierung verpflichtet ist.
Wenn ein Bühnenarbeiter kommt, das Giftfläschchen aus der Plastikhülle nimmt und auf einem Tablett der Schauspielerin reicht, dann wird die Szene eingefroren, der Strudel der Katastrophe gestoppt, ihre Elemente isoliert, seziert, unter die Lupe genommen, eiskalt.
Aber dabei bleibt es nicht. Jeder Kehrbesen, jede Teekanne, jedes Henkeltässchen, das Nachttischlämpchen aus der Dachwohnung und die oft benutzte Cognacflasche werden im Laufe des dreistündigen Abends zu den Klängen von Zwölftonmusik mehrfach in Klarplastik ein- und wieder aus getütet: Als werde Bruckners Klassiker aus dem Jahre 1926 an einem Abend gleich mehrfach vom Dachboden der Theatergeschichte herabgeholt und wieder eingemottet.
Bruckners Stück war die Bühnenanalyse einer Jugend, die die alten Wertordnungen, Ziele, gesellschaftlichen Orientierungen verloren hatte, vor neuen Herausforderungen wie Drogen, Sex, Frauenbefreiung stand und, zum ersten Mal vielleicht, um eine eigene geschichtliche Bestimmung kämpfen musste. Das Stück wurde ein Klassiker: Wenn sich die Jugend unwohl fühlt, und das ist eigentlich immer, kehrt es in die Spielpläne zurück.
In London wird eine Bearbeitung des Dramatiker Martin Crimp gespielt, in der klar auf den Nenner gebracht, was für Auswege es für die Krankheit der Jugend gibt: Nur zwei nämlich: bürgerliche Existenz oder Selbstmord. Die Frage ist, für welche dieser Katastrophen sich die Hauptperson entscheidet.
Marie, lebenstüchtig, aber willensschwach und fremdgesteuert, geht emotional den weitesten Weg, auch weil ihr die Rücksichtslosigkeit der anderen fehlt. Eine strebsame Medizinstudentin, die den verwöhnten Petrell aushält, von ihm verlassen wird, sich von der todessüchtigen Gräfin Desiree verführen lässt, die in der letzten Szene tot im Nebenzimmer liegt. Zum Schluss hat Marie nur noch Freder, den zynischen Möchtegern-Zuhälter, der in seiner Halt- und Orientierungslosigkeit wenigstens aktiv und lebensstark ist: Er war es, der Desiree die vom Chemiekonzern Bayer ganz neu auf den Markt gebrachten Schlaftabletten gegeben hat.
Bruckner hat zwei Schlüsse geschrieben. Interessant, dass sich Mitchell am Schluss ihrer eigenen Selbstmordtrilogie, die von Kroetz' Wunschkonzert über die Purcell-Oper Dido und Aeneas nun zu Bruckner reicht, nicht für die totale Katastrophenversion entscheidet, in der Marie Desiree in den Tod folgt. Freder entscheidet anders für sie.
Das Leben geht weiter. Selbstmord ist nichts für dich, du bist zu schwach. Besser eine bewusste Entscheidung für das bürgerliche Leben, sagt Freder. Die arbeitstüchtige, aber richtungslose Marie und er selbst, der willensstarke, aber faul-selbstsüchtige Freder könnten sogar ein exzellentes bürgerliches Paar abgeben, deutet er an.
Also doch ein Happy Ending? Oder hat sich Mitchell doch für die größte Katastrophe entschieden, die Prosa des Lebens, statt der Poesie des Todes?
Bruckners Jugenddebatten mit ihren abgehackten Dialogen können leicht zu einem neoexpressionistischen Theaterfeuerwerk werden, das an die Schmerzgrenze heranreicht. Aber durch das Verpackungsritual werden die Strudel der Selbstzerstörung immer wieder unterbrochen, die Handlung zum Stillstand gezwungen. Dieses Ordnen und Archivieren rahmt die Bühnenhandlung in der klinisch kalten Objektivität der Neuen Sachlichkeit, der diese Inszenierung verpflichtet ist.
Wenn ein Bühnenarbeiter kommt, das Giftfläschchen aus der Plastikhülle nimmt und auf einem Tablett der Schauspielerin reicht, dann wird die Szene eingefroren, der Strudel der Katastrophe gestoppt, ihre Elemente isoliert, seziert, unter die Lupe genommen, eiskalt.