Selbst konservative Deutsche - und die offiziellen Vertreter, die zur Tätigkeit nach Bulgarien abgeordnet werden, sind oft konservativ - zucken zusammen, wenn sie ranghohe Vertreter des bulgarischen Geisteslebens immer wieder lautstark nach dem Staat rufen hören.
Das ginge dann in Ordnung, wenn man sich das Recht zum Staat hinzudenkt und einen Rechtsstaat daraus macht, ein Gebilde also, das die gesetzliche Oberhoheit nicht nur über verbrecherische Auswüchse garantiert, sondern auch kulturelle Traditionen, ethnische Unterschiede und sprachliche Differenzen gleichbehandelt. Doch bulgarische Intellektuelle, die "die Abwesenheit des Staates" in der Bekämpfung von Mafia und organisierter Kriminalität, in der Sozialfürsorge oder in der immens wichtigen Bildungspolitik beklagen, gehen häufig nahtlos dazu über, Vorschläge zu machen, was dieser Staat endlich alles verbieten sollte. Und hier beginnt die Verstörung: Wie soll man dies deuten?
Westeuropäische Beobachter haben sich ja oft und gern für eigene Liberalitätsdefizite am Osten und Südosten Europas schadlos gehalten: was die Kulturwissenschaft seit langem mit "Orientalismus" und "Balkanismus" auf den Begriff bringt. Da ist es ein kulturelles Ereignis von großer Bedeutung, wenn die Kritik an solchen Machtansprüchen der Intellektuellen, die mit ihrem Bedeutungsverlust nach der Wende nur schlecht fertig werden, aus dem Lande selbst kommt.
Vladimir Trendafilov, Literaturwissenschaftler und Vertreter jener tragisch gezeichneten Wende-Generation, die vor 1989 für eine Gesellschaft ausgebildet wurden, die es nachher nicht mehr gab, hat sich in seinen tiefgründig analysierenden Essays und Artikeln mit dem seltsamen Phänomen befasst. Und es dank profunder Insider-Kenntnis schärfer kritisiert, als es ein Außenstehender je könnte.
Er legt den Finger vor allem in zwei Wunden. Erstens - Stichwort "Sprachverfall": Einzug des Straßenjargons und der Sprache der kleinen Leute in Medien, Film, bulgarische Rap- oder Popfolk-Schlager und Literatur... Statt sich zu freuen, dass es mit der staatlich verordneten Bildungssprache und dem für ein sozialistisches Land geradezu paradoxen Elitismus ein Ende hat, hörten Intellektuelle nicht auf, sich darüber zu beklagen, dass im großen Versuchslabor der Wende auch die Vulgärsprache nach ihrem Recht auf Partizipation verlangte. Der Versuch, solchen Sprachwandel zu unterbinden, so Trendafilov, zeige, dass die Demokratie noch keineswegs in den Köpfen angekommen sei.
Zweites Beispiel: Freigabe der vierten Macht im Staate, der Medien: Statt die Entwicklung einer staatsunabhängigen Medienlandschaft zu begrüßen, würden, so Trendafilov, Intellektuelle im Aufsichtsrat für elektronische Medien noch immer darauf bestehen, der Staat müsse ein letztes Wort bei der Entwicklung und Freigabe von Sendungen behalten, die das Wort "Niveau" voll krass mit "flach" oder "platt" übersetzen. In der "Pleiten, Pech und Pannen"-Sendung "Herren des Äthers" zum Beispiel, die in einem marktführenden Privatsender zur besten Sendezeit läuft und immens populär ist, erheben sich statt Zeigefingern schöne junge Damen auf Schreibtischen, um dort ihre Rundungen zu schwenken. Das verletzt klassisch erzogene Geistesmenschen zutiefst in ihrem idealistischen Verständnis von pädagogischem Eros.
Es wäre sicher falsch, die Verwirrung der Alt-Intellektuellen darüber, dass Demokratie leider nicht nur von Eliten gemacht wird, als "typisch östlichen Autokratismus" zu diffamieren. Man muss bedenken, dass bei der schweren Geburt der bulgarischen Nation im 19. Jahrhundert die Intellektuellen eine immense Bedeutung hatten. Da ein praktisch denkendes und handelndes Unternehmer-Bürgertum fehlte, das dem Staat eine gesunde ökonomische Grundlage gab, lag die Entwicklung des bulgarischen Staates buchstäblich in den Händen von Mönchen, Lehrern und Schriftstellern. Sie schufen die offizielle staatliche Verkehrssprache, aber auch jene pathetischen historischen Gründungsmythen, die sich heute überlebt haben. Dass sich die Intellektuellen nur schwer von ihnen verabschieden können, ist klar: Illustrieren diese Mythen doch die Bedeutung ihrer Zunft!
Es ist daher gut und wichtig, dass es Kopfarbeiter wie Trendafilov gibt, die zur geistigen Elite gehören und dennoch begriffen haben, dass nicht nur Pädagogik, sondern auch Selbstkritik zum Geschäft der Intellektuellen gehört.
Das ginge dann in Ordnung, wenn man sich das Recht zum Staat hinzudenkt und einen Rechtsstaat daraus macht, ein Gebilde also, das die gesetzliche Oberhoheit nicht nur über verbrecherische Auswüchse garantiert, sondern auch kulturelle Traditionen, ethnische Unterschiede und sprachliche Differenzen gleichbehandelt. Doch bulgarische Intellektuelle, die "die Abwesenheit des Staates" in der Bekämpfung von Mafia und organisierter Kriminalität, in der Sozialfürsorge oder in der immens wichtigen Bildungspolitik beklagen, gehen häufig nahtlos dazu über, Vorschläge zu machen, was dieser Staat endlich alles verbieten sollte. Und hier beginnt die Verstörung: Wie soll man dies deuten?
Westeuropäische Beobachter haben sich ja oft und gern für eigene Liberalitätsdefizite am Osten und Südosten Europas schadlos gehalten: was die Kulturwissenschaft seit langem mit "Orientalismus" und "Balkanismus" auf den Begriff bringt. Da ist es ein kulturelles Ereignis von großer Bedeutung, wenn die Kritik an solchen Machtansprüchen der Intellektuellen, die mit ihrem Bedeutungsverlust nach der Wende nur schlecht fertig werden, aus dem Lande selbst kommt.
Vladimir Trendafilov, Literaturwissenschaftler und Vertreter jener tragisch gezeichneten Wende-Generation, die vor 1989 für eine Gesellschaft ausgebildet wurden, die es nachher nicht mehr gab, hat sich in seinen tiefgründig analysierenden Essays und Artikeln mit dem seltsamen Phänomen befasst. Und es dank profunder Insider-Kenntnis schärfer kritisiert, als es ein Außenstehender je könnte.
Er legt den Finger vor allem in zwei Wunden. Erstens - Stichwort "Sprachverfall": Einzug des Straßenjargons und der Sprache der kleinen Leute in Medien, Film, bulgarische Rap- oder Popfolk-Schlager und Literatur... Statt sich zu freuen, dass es mit der staatlich verordneten Bildungssprache und dem für ein sozialistisches Land geradezu paradoxen Elitismus ein Ende hat, hörten Intellektuelle nicht auf, sich darüber zu beklagen, dass im großen Versuchslabor der Wende auch die Vulgärsprache nach ihrem Recht auf Partizipation verlangte. Der Versuch, solchen Sprachwandel zu unterbinden, so Trendafilov, zeige, dass die Demokratie noch keineswegs in den Köpfen angekommen sei.
Zweites Beispiel: Freigabe der vierten Macht im Staate, der Medien: Statt die Entwicklung einer staatsunabhängigen Medienlandschaft zu begrüßen, würden, so Trendafilov, Intellektuelle im Aufsichtsrat für elektronische Medien noch immer darauf bestehen, der Staat müsse ein letztes Wort bei der Entwicklung und Freigabe von Sendungen behalten, die das Wort "Niveau" voll krass mit "flach" oder "platt" übersetzen. In der "Pleiten, Pech und Pannen"-Sendung "Herren des Äthers" zum Beispiel, die in einem marktführenden Privatsender zur besten Sendezeit läuft und immens populär ist, erheben sich statt Zeigefingern schöne junge Damen auf Schreibtischen, um dort ihre Rundungen zu schwenken. Das verletzt klassisch erzogene Geistesmenschen zutiefst in ihrem idealistischen Verständnis von pädagogischem Eros.
Es wäre sicher falsch, die Verwirrung der Alt-Intellektuellen darüber, dass Demokratie leider nicht nur von Eliten gemacht wird, als "typisch östlichen Autokratismus" zu diffamieren. Man muss bedenken, dass bei der schweren Geburt der bulgarischen Nation im 19. Jahrhundert die Intellektuellen eine immense Bedeutung hatten. Da ein praktisch denkendes und handelndes Unternehmer-Bürgertum fehlte, das dem Staat eine gesunde ökonomische Grundlage gab, lag die Entwicklung des bulgarischen Staates buchstäblich in den Händen von Mönchen, Lehrern und Schriftstellern. Sie schufen die offizielle staatliche Verkehrssprache, aber auch jene pathetischen historischen Gründungsmythen, die sich heute überlebt haben. Dass sich die Intellektuellen nur schwer von ihnen verabschieden können, ist klar: Illustrieren diese Mythen doch die Bedeutung ihrer Zunft!
Es ist daher gut und wichtig, dass es Kopfarbeiter wie Trendafilov gibt, die zur geistigen Elite gehören und dennoch begriffen haben, dass nicht nur Pädagogik, sondern auch Selbstkritik zum Geschäft der Intellektuellen gehört.