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Wenn Umwelteinflüsse schon vor der Geburt krank machen

In Nürnberg haben in der vergangenen Woche die deutschen Kinder- und Jugendärzte getagt. Ein Thema dort: Wie äußere Faktoren bereits im Mutterleib wirksam werden. Die Fachleute sprechen von "fetaler Programmierung". Praktisch heißt das beispielsweise: Wenn eine Schwangere mangelernährt ist oder deutlich übergewichtig, hat das bereits Auswirkungen auf das ungeborene Kind.

Von Hellmuth Nordwig |
    Höchstens 800 Kilokalorien täglich. Soviel bekam jeder Niederländer in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs zu essen. Normalerweise braucht ein Erwachsener mehr als das Doppelte. Die Hungersnot hatte Folgen für diejenigen, die in dieser Zeit im Mutterleib heranwuchsen.

    Bei der Geburt brachten diese Kinder keine zweieinhalb Kilogramm auf die Waage. Das konnten sie schnell aufholen, denn nach dem Krieg gab es wieder genug zu essen. Doch als Erwachsene leiden überdurchschnittlich viele Niederländer des Geburtsjahrgangs 1945 an Krankheiten, zum Beispiel Diabetes und hohem Blutdruck. Wolfgang Rascher, Direktor der Kinderklinik der Universität Erlangen:

    " Am Anfang hat das keiner geglaubt, aber jetzt wissen wir vor allem aus Tierversuchen, dass dieser Mechanismus wirklich greift. Beispielsweise dass man den Eiweißgehalt in der Nahrung reduziert, dann werden zum Beispiel die Ratten zu klein geboren, und diese Ratten entwickeln, wenn man sie gut füttert, einen Bluthochdruck."

    Inzwischen wissen Forscher: Die Mangelernährung im Mutterleib führt dazu, dass bestimmte Gene umprogrammiert werden. Zum Beispiel Abschnitte des Erbguts, die an der Regulierung des Blutdrucks beteiligt sind. Die Umprogrammierung lässt sich aber rückgängig machen - jedenfalls in einigen Tierversuchen. Jörg Dötsch, ebenfalls Professor an der Erlanger Uni-Klinik:

    " Aber man muss sehr vorsichtig sein und darf das nicht in jedem Fall auf den Menschen übertragen. Wir können zeigen, dass der Einsatz bestimmter Medikamente Folgekrankheiten verhindern kann."

    Trotz aller Vorsicht lässt diese Erkenntnis Kinderärzte aufhorchen. Denn auch heutzutage kommen nicht nur zu früh geborene Kinder viel zu klein auf die Welt: Nach einer neunmonatigen Schwangerschaft wiegt mindestens jedes zwanzigste Neugeborene weniger als 2500 Gramm. Vor allem Kinder von Raucherinnen. Doch auch wenn eine werdende Mutter meint, sie müsse für zwei essen, tut sie ihrem Nachwuchs keinen Gefallen. Denn der entwickelt dann unter Umständen Bluthochdruck.

    " Wir wissen heute, dass ein großer Teil der Jugendlichen schon Bluthochdruck hat. Wir müssen annehmen, dass es etwa fünf Prozent sind, und wir müssen diese Patienten behandeln. Früher haben wir gedacht, der hohe Blutdruck kann sich noch "verwachsen". Heute wissen wir durch sehr saubere Untersuchungen, dass frühzeitig schon bei Jugendlichen Gefäßschäden da sind."

    Immer mehr jüngere Menschen leiden auch an der Zuckerkrankheit. Oft wissen sie nichts davon. Schwangere bilden da keine Ausnahme. Inzwischen ist bekannt, dass die Kinder von Diabetikerinnen ebenfalls gefährdet sind, zuckerkrank zu werden - auch deshalb, weil ihre Gene umprogrammiert werden. Dennoch gehört ein Diabetestest nicht zu den Vorsorgeuntersuchungen bei werdenden Müttern. Dabei wäre es am sinnvollsten, die Fehlprogrammierung des Erbguts von vornherein zu verhindern. Denn für eine spätere Behandlung reichen die Erkenntnisse der Forscher noch nicht aus, sagt Jörg Dötsch.

    " Wir wissen erst bei wenigen Genen, dass sie verändert werden können. Wir wissen aber noch nicht, welches die entscheidenden Gene sind, die verändert werden. Wir sind also mit der Forschung noch ganz am Anfang. Erst wenn wir wissen, welche Gene verändert werden, werden wir auch in der Lage sein, diese fehlerhaften Veränderungen wieder rückgängig zu machen. "