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Wenn Videospielfiguren in Rente gehen

Was treiben eigentlich Terroristen und Polizisten aus Computerspielen, wenn sie zu alt für den ewigen Kampf Gute gegen Böse sind? Sie setzen sich in einem Hotel zur Ruhe, das von einem Huhn bewacht wird, vermutet der französische Künstler Benjamin Nuel. Das ist zumindest das Ausgangsszenario seines crossmedialen Projekts "Hotel" für den TV-Sender Arte.

Von Nico Nowarra |
    Weit ab von allem digitalen Trubel, irgendwo im Videospiele-Niemandsland steht ein altes Haus - drum herum grüne Wiese und ein paar Bäume. Ein Kiespfad führt vom Gebäude weg, vielleicht zu einem weit entfernten Eingangstor. An diesem idyllischen Ort spielt "Hotel", ein crossmediales Projekt des Künstlers Benjamin Nuel. Es besteht zum einen aus Kurzfilmen, in denen Nuel die Handlung weiter spinnt und die vollständig im Computer animiert werden. Als zusätzliches Medium steht die Welt von "Hotel" für virtuelle Rundgänge im Netz bereit. Der Besucher kann so das Gelände erkunden und die Figuren der Serie besuchen - interagieren kann er mit ihnen allerdings nicht.

    Seinen Ansatz erklärt Nuel so:

    ""Im Vergleich zu den üblichen Praktiken im Internet bin ich dabei genau umgekehrt verfahren. Normalerweise sind alle Inhalte immer jederzeit verfügbar. Ich hingegen lade den User zu einem wöchentlichen Besuch ein und jedes Mal sieht das Hotel anders aus: Man kann also wirklich etwas verpassen, da etwas, was in der vorherigen Woche noch existiert hat, verschwunden sein wird.""

    Die digitale Welt verändert sich also ständig. Und da es nicht möglich ist in der Zeit zurückzureisen, muss sich der Zuschauer ohnehin mit dem Status quo abfinden.

    Das könnte sich in der Zukunft allerdings ändern. Nach Ende des Projektes soll das Hotel zum Archiv werden, in dem alle Zustände der Welt abgerufen werden können. Ergänzt werden soll das durch Beiträge der Zuschauer als Text, Video oder Bild - digitale Archäologie nennen die Verantwortlichen das - ob die Arte-Zuschauer eine Affinität für das Hochladen ihrer Daten entwickeln, bleibt aber abzuwarten.

    Wer sich jetzt schon zum Besuch des Hotels aufmacht, sollte allerdings nicht hoffen auf echte Videospielhelden zu treffen, denn um die geht es Nuel eigentlich gar nicht. Seine Helden sind Figuren aus dem bekannten First-Person-Shooter Counter-Strike. Hier im Hotel leben die Terroristen und Polizisten, die sich noch vor ein paar Jahren waffenstarrend gegenüberstanden, friedlich miteinander.

    Bewacht werden die abgehalfterten Spielfiguren von einem übergroßen, knallbunten Huhn. Der merkwürdige Vogel weiß mehr über die Welt von Hotel als alle anderen, das wird bald klar - doch auf wessen Seite er steht, ob er den Bewohnern des Hotels wohl gesonnen ist oder nicht - bleibt ein Geheimnis.

    Und dann beginnt die abgeschottete Welt, sich aufzulösen.

    Schwarze Löcher entstehen und die Angst macht sich breit. Doch zwei Männer, einer von jeder Fraktion, machen sich auf, das Geheimnis um die schwarzen Löcher zu lüften. Und bald stellen die beiden überrascht fest, dass sie viel gemeinsam haben.

    Auch wenn das sehr spannend klingt, beim näheren Hinsehen entpuppt sich Hotel doch als ein verkopftes Kunstexperiment. Es sind nicht die gealterten Videospielfiguren, die im Mittelpunkt stehen, sondern es ist die Dekonstruktion der Spielwelt. Nuel nutzt zwar die 3D-Technik moderner Videospiele, mit deren Hilfe er die Handlung zum Leben erweckt, doch das spielerische Element kommt dabei zu kurz. In erster Linie ist man eben doch nur Zuschauer und muss sich auf die Ideen des Künstlers einlassen. Interaktive Elemente, wie sie gerade Videospiele versprechen, gibt es kaum.

    Offen bleibt leider auch die eine Frage, die doch so spannend ist: Was wird aus Computerspielhelden, wenn sie alt werden?