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Wenn wachsender Wohlstand Umwege macht

Im Wirtschaftswunderland China gärt es. Nicht erst seit gestern, aber dennoch von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Nach Jahren des Booms kommen nun verstärkt soziale Konflikte ans Licht, die zeigen, welche Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern entstanden ist. Diese Konflikte verlaufen auch entlang ethnischer und religiöser Grenzen. In Chinas Westen kämpfen buddhistische Tibeter und moslemische Uiguren gegen die kommunistische Herrschaft, die sie als Besatzung empfinden. Aber dass Han-Chinesen gegen ganze Dörfer der moslemischen Hui-Volksgruppe losgingen, wie kürzlich in Henan in Zentralchina, schien eine ganz neue Entwicklung. Die Hintergründe sind bis heute unklar, weil die chinesische Regierung sofort eine Nachrichtensperre verhängte und in den umkämpften Dörfern praktisch Ausnahmezustand herrschte. Sie waren wochenlang vom Militär abgeriegelt und nur telefonisch erreichbar.

Von Eva Corell | 12.11.2004
    Tausende von Soldaten lagerten am Rande seines Dorfes, berichtete der Imam der Mosche von Nanren, wo die Gewalt begonnen hatte:

    Ich schätze, es sind noch mindestens 10-tausend hier, darunter Militärpolizei und Armee. Außerdem haben sich Funktionäre der Regierung bei uns einquartiert. Sie haben auch 7 oder 8 unserer Mitbürger als Unruhestifter verhaftet. Darüber sind hier viele erbost, denn schließlich waren wir die Opfer der Gewalt.

    Der Imam, der seinen Namen nicht nennen will, weil er Angst vor Repressalien hat, verneint jeden religiösen Streit. Jahrzehntelang habe es keinerlei Spannungen zwischen der Hui-Minderheit und den Han-Leuten gegeben. Daran habe auch die internationale Stimmungsmache gegen Muslime nichts geändert. Vielmehr stecke ein wirtschaftlicher Konflikt hinter den Auseinandersetzungen. Sie seien von einigen Han-Chinesen provoziert worden, um konkurrierende Fuhrunternehmer auszubooten, die zum großen Teil der Hui-Minderheit angehören:

    Wir in Nanren vermuten, dass die Han sich schon lange gezielt mit Benzinbomben und anderen Waffen ausgerüstet haben. Sie haben sogar Wanderarbeiter aus Sichuan angeheuert, um ihnen zu helfen. Unterstützt wurden sie von lokalen Beamten, die mit uns in Nanren wohl noch eine Rechnung offen hatten. Aber grundsätzlich kommen wir Hui mit den Han gut aus. Wir sind wie zwei Brüder aus einer Familie.

    Die Hui sind tatsächlich Chinesen, sowohl in Sprache als auch Kultur, nur eben muslimischen Glaubens. Einige stammen von arabischen Händlern ab, die sich seit dem 9.Jahrhundert in China ansiedelten, mit der einheimischen Bevölkerung vermischten und ihre Religion beibehielten. Andere kamen mit den mongolischen Horden und ihrem Eroberer Dschingis Khan bis in den Süden Chinas. Etwa 9 Millionen Hui-Moslems leben heute in der Autonomen Region Ningxia und in Xinjiang, aber auch in den Inlandsprovinzen - allein in Henan etwa eine Million. Bisher relativ friedlich, weiß Michael Dillon, der Chinas Nationalitätenprobleme an der britischen Uni Durham erforscht:

    Die Hui sind bislang die am stärksten integrierte Minderheit. Vor allem streben sie nicht nach nationaler Unabhängigkeit wie Tibeter und Uiguren, sie sind keine Separatisten. Aber die jüngsten Unruhen sind nicht die ersten ihrer Art. Es gab ähnliche Zusammenstöße im Dezember 2000, nach demselben Muster: Spannungen innerhalb der Gemeinden, die sich an einem kleinen Streit entzündeten.

    Die Staatsmedien haben den Vorfall heruntergespielt, die amtliche Nachrichtenagentur berichtete mit 5 dürren Zeilen über den Konflikt. Auch im Pekinger Ministerium für Nationale Minderheiten bemüht man sich, Zweifel über das friedliche Zusammenleben der insgesamt 56 Nationalitäten in China zu zerstreuen. Han-Chinesen, die überwältigende Mehrheit, machen über 90 Prozent der Bevölkerung aus. Unter den 55 Minderheiten sind die Hui die zweitgrößte Gruppe, gefolgt von Mandschus und Uiguren. Letztere sind ebenfalls Moslems, ihre Identität ist aber vor allem von einer eigenen Kultur geprägt. Seit 20 Jahren macht Chinas kommunistische Regierung ihnen Zugeständnisse: regionale Selbstverwaltung, Sonderquoten für den Zugang zu Universitäten und Ausnahmen von der Ein-Kind-Politik. Doch von den wirtschaftlichen Reformen haben diese Völker am wenigsten profitiert. Von den gut 85 Millionen Menschen, die in China unter der Armutsgrenze leben, sind vier Fünftel Nicht-Chinesen. Deshalb habe man die Strategie zum "Aufbau West" entworfen, sagt Mao Gongning, Direktor im Amt für nationale Minderheiten:

    Chinas Politik zur Entwicklung des Westens ist streng genommen eine ethnische Entwicklungspolitik, weil die meisten Minderheiten im Westen des Landes leben. Die Regierung hat 70 Milliarden Euro dafür bereit gestellt und wichtige Projekte in Auftrag gegeben. Unter anderen den 3-Schluchten-Staudamm, die Gas-Pipeline von West nach Ost und die Tibet-Eisenbahn. Sie spielen eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung des Westens.

    Doch diese Entwicklung kam bisher kaum den Einheimischen zugute, sondern spülte eine Welle von Han-Chinesen in den Westen, die zunächst als Saisonarbeiter anheuerten. Allein nach Xinjiang strömen jährlich über eine halbe Million. "Han-hua" heißt diese Politik, Sinisierung, die Peking durchaus unterstützt. Zuerst schickte es Soldaten, später Händler und Wanderarbeiter. In der uigurischen Provinzhauptstadt Urumqi als auch im tibetischen Lhasa ist dies deutlich sichtbar: mehr als die Hälfte der jeweiligen Stadtbevölkerung sind ethnische Chinesen. Die Eisenbahn nach Tibet werde vor allem zur Ausbeutung der Bodenschätze dienen, befürchtet Alison Reynolds vom Internationalen Tibet-Netzwerk:

    Die Tibeter selbst sind sehr besorgt, welchen Einfluss die Eisenbahn haben wird. Die Stadt Golmud, Endstation in Qinghai, ist geradezu explodiert unter dem Zustrom von Wanderarbeitern. Und Medienberichte enthüllten, dass nur ein kleiner Prozentsatz der Eisenbahn-Arbeiter tatsächlich Tibeter sind. Jobs gehen fast ausschließlich an Han-Chinesen. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass die Tibeter kaum vom wirtschaftlichen Boom profitieren.

    Chinas wirtschaftliche Modernisierung wird zunehmend zum Kolonisierungs-Instrument. Denn gerade Tibeter und Uiguren sehen durch die Dominanz der Han-Chinesen auch ihre Kultur bedroht. Die kommunistischen Behörden beschränken die Ausübung religiöser und kultureller Aktivitäten, weil sie deren Identität stiftende Wirkung fürchten, meint Nicholas Becquelin von der Menschenrechts-Organisation "Human Rights in China":

    Gerade in Tibet und Xinjiang zeigt sich beispielhaft, dass es eine systematische Politik gibt, die kulturellen Besonderheiten und damit die Identität dieser Völker auszuradieren. Denn ihre Identität prägende Kultur gilt der Regierung als Nährboden für Bestrebungen nach mehr Autonomie oder sogar Unabhängigkeit. Deshalb strengt sie sich so an, diese Völker zu kolonisieren und ihre Kultur der chinesischen unterzuordnen.

    Rund um den Jokhang-Tempel im Herzen von Lhasa wirkt die tibetische Kultur auf Besucher noch intakt. Tausende von Pilgern umrunden das Zentrum des tibetischen Buddhismus, im Uhrzeigersinn, wie es der Brauch gebietet. Alle, die anders herum gehen, sind leicht als Fremde auszumachen: Han-Chinesen. Die Pilger kommen aus den Nachbarprovinzen, aus Qinghai, Gansu oder Sichuan, Gegenden, die früher einmal zu Tibet gehörten, im Zuge einer Gebietsreform aber abgetrennt wurden. Teile von Kham etwa, wo tibetische Kampas schon zu Beginn der 50er Jahre gegen die kommunistische Unterdrückung rebellierten. In Tibet war die Auflehnung gegen die Sinisierung immer am stärksten. Auch nachdem kommunistische Truppen den Aufstand von 1959 niedergeschlagen und den Dalai Lama ins Exil getrieben hatten, blieben die Klöster Zentren des Widerstands. Seit den blutigen Unruhen von 1989 stehen Tibets Klöster unter scharfer Kontrolle der kommunistischen Obrigkeit:

    "Unser Verwaltungs-Komitee wird von einem Mitglied der Kommunistischen Partei geleitet", bestätigt der Mönch Nyima Tsering, gerade zurück von einer Politschulung. Im Jokhang-Tempel und im Potala-Palast, dem Sitz des Dalai Lama, sind Hunderte von Überwachungs-Kameras installiert.

    "Die Regierung bestimmt, wie viele Mönche wir aufnehmen dürfen," verrät Lopsang Chophel, Verwaltungsmitglied im Kloster Sera. 500 Mönche sind es heute, 7-tausend waren es hier vor der kommunistischen Machtübernahme. Viele sind über den Himalaya nach Indien geflohen; auch, um der kommunistischen Umerziehung zu entgehen, meint Tibet-Aktivistin Alison Reynolds:

    Die patriotische Umerziehungs-Kampagne begann 1996 zuerst in den Klöstern, wurde dann auf politische Gefangene ausgedehnt und später auch auf Schulen und Krankenhäuser. Ihr Verlauf ist unklar. Einige chinesische Funktionäre behaupten, sie sei beendet, aber wir hören im Gegenteil, dass sie sporadisch in ganz Tibet weitergeht. Die Zahl der Mönche und Nonnen, die geflohen sind, weil sie sich nicht umerziehen lassen wollten, ist daraufhin geradezu explodiert. Sie überstieg einige tausend pro Jahr.

    Der internationale Kampf gegen den Terrorismus hat Peking einen neuen Deckmantel geliefert. So wurden der Lama Tenzin Delek Rinpoche und der buddhistische Laienbruder Lopsang Dhondup im Dezember 2002 zum Tode verurteilt, weil sie Bomben in chinesischen Verwaltungsgebäuden gezündet hätten. Angebliche Beweise hält die chinesische Geheimpolizei bis heute unter Verschluss. Lopsang Dhondup wurde sofort hingerichtet, das Urteil gegen Tensin Delek bis Dezember dieses Jahres ausgesetzt. Kritiker wie Reynolds befürchten, dass internationale Proteste gegen sein Todesurteil vergebens bleiben:

    Die Hinrichtung von Lopsang Dhondup im Januar 2003 war, soweit wir wissen, die erste politisch motivierte Exekution eines Tibeters seit mindestens 10 Jahren. Human Rights Watch berichtete zudem von mehr als 60 Verhaftungen. Diese sehr weit reichende Säuberungsaktion bereitet uns große Sorgen.

    China fürchtet die Integrationsfähigkeit der buddhistischen Religion ebenso wie die ihrer wichtigsten Symbolfigur, des Dalai Lama. Doch mit Blick auf die Austragung der Olympischen Spiele betreibt Peking verstärkt Image-Pflege. Sogar Kontakte mit dem Dalai lehnt es nicht mehr rundheraus ab. Abgesandte des Gottkönigs durften bereits drei Mal Tibet bereisen, aber ein echter Dialog ist bisher nicht in Gang gekommen. Das bemängelte auch Bundes-Außenminister Joschka Fischer beim Treffen mit Chinas Außenminister im Juli in Peking. Li Zhaoxing wollte davon nichts hören:

    China kann nicht akzeptieren, dass der Dalai Lama sich separatistisch betätigt und bezeichnet ihn deshalb als politischen Mönch. Erst wenn der Dalai öffentlich anerkennt, dass Tibet und Taiwan untrennbare Teile Chinas sind, dann stehen ihm unsere Türen offen!

    Kritiker befürchten, dass das kommunistische Regime das Problem einfach aussitzt: Noch ist der 69-jährige topfit, wie seine Anhänger versichern, und der beste Werbebotschafter für sein Land. Doch mit seinem Tod wird das stärkste Bindeglied der tibetischen Buddhisten zerreißen. Nur dem Dalai Lama ist es zu verdanken, dass der Ruf der Tibeter nach mehr Autonomie und ihr Kampf gegen Pekings Dominanz mehr Gehör findet als der ihrer Nachbarn im Norden: der Uiguren.

    Der Muezzin in der Altstadt von Kashgar muss sich auf die Kraft seiner eigenen Stimme verlassen, Lautsprecher sind behördlich verboten. "Xinjiang - neue Grenze" nennen die Chinesen ihre nordwestlichste Provinz, wo mehrheitlich uigurische Moslems leben. Ihre Vorfahren waren turkstämmige Nomaden, die im 10.Jahrhundert zum Islam übertraten. Etwa 8 Millionen Uiguren leben in Xinjiang, die meisten davon in den Oasen im Süden, Kashgar und Hotan. Deren Moscheen waren immer ein Hort des Widerstands, früher gegen Chinas Kaiser, heute gegen die Kommunisten. 1944 bestand für kurze Zeit eine unabhängige Republik Ost-Turkestan. Danach wurden die Uiguren ins kommunistische Reich eingegliedert. Erst der Zerfall der Sowjetunion gab ihrem Unabhängigkeits-Streben neuen Aufwind, weiß Historiker Michael Dillon:

    Als die Sowjetunion 1991 zerfiel und die Uiguren sahen, wie Uzbekistan und Kasachstan unabhängig wurden, fühlten sie sich bestärkt, dass es ebenso ein unabhängiges Ost-Turkestan oder Ujgurstan geben sollte. Doch diese Bestrebungen wurden zunichte gemacht und führten zu der Gewaltwelle, die Ende der 90er Jahre ihren Höhepunkt erreichte. Das war die blutigste Phase.

    Nur einmal richtete sich die Gewalt auch gegen Zivilisten: 1997 explodierten in der Provinzhauptstadt Urumqi zwei Bomben in öffentlichen Bussen und töteten 9 Menschen. Die chinesischen Behörden starteten daraufhin die Kampagne: "Hart durchgreifen" und erstickten jeden Aufruhr. Trotzdem betrachtet die Kommunistische Partei Xinjiang weiterhin als gefährlichsten Unruheherd und größte Bedrohung ihrer Herrschaft.

    Die Stadt Kashgar ist sozusagen der westlichste Außenposten im kommunistischen Reich, nördlich führt die Landstraße nach Kirgistan, südlich nach Pakistan. Dazwischen liegt ein schmaler Grenzstreifen mit Afghanistan, der seit dem Krieg gegen die Taliban für Peking an Bedeutung gewonnen hat. Nicht geografisch, sondern politisch. Denn er lieferte dem Regime international eine Rechtfertigung für seinen Feldzug gegen uigurische Befreiungsbewegungen. Exil-Organisationen wie die Islamische Bewegung für Ost-Turkestan, wurden als Terror-Gruppen gebrandmarkt. Der kommunistische Provinzfürst Wang Lequan führte Beweise ins Feld, die nie irgend jemand zu Gesicht bekam:

    Wir haben überwältigende Beweise, dass die Islamische Bewegung für Ost-Turkestan an terroristischen Aktivitäten beteiligt war. Während des Afghanistan-Krieges schloss sie sich dem Al-Qaida-Netzwerk an, fast 1.000 ihrer Mitglieder wurden von den Taliban trainiert und kämpften mit ihnen Seite an Seite. Andere wurden nach China zurück geschickt und verübten dort Terrorakte.
    Pekings Eifer beim Entlarven von Terroristen wurde selbst den USA unheimlich. Zwar war US-Präsident George Bush froh über die unerwartete Rückendeckung von China, weigerte sich aber, in Guantanamo internierte Uiguren auszuliefern. Im Februar 2002 warnte er seinen chinesischen Kollegen Jiang Zemin:

    Wir waren uns einig, dass der Krieg gegen den Terror keine Ausrede für die Verfolgung von Minderheiten sein darf.

    Danach hörte man international nur noch wenig Proteste über Pekings Unterdrückungs-Methoden. Praktisch jede Parteinahme für die uigurische Kultur und Religion werden als "Separatismus" abgestempelt und in der Folge als "terroristischer Akt" bestraft. Chinas Kontrolle greift tief in Alltag und Religionsausübung der Moslems ein:

    Wer zur Koran-Klasse im Islam-College von Urumqi zugelassen wird, entscheiden die kommunistischen Behörden. Die Universität ist vom Pekinger Staatsrat finanziert und die einzige weiterführende Religionsschule ihrer Art. Sie bildet die Imame aus, die später in Moscheen im ganzen Land praktizieren sollen. Und zwar nach kommunistischem Lehrplan, erläutert Schuldirektor Ma Hongcan:

    Ein Drittel unseres Unterrichts besteht aus politischen Lektionen. Dazu gehören die Theorien Deng Xiaopings ebenso wie die nationale Religions- und Minderheitenpolitik. Als Religionsschule betrachten wir es als unsere Aufgabe, die Schüler zu Gläubigen zu erziehen, die ihr Vaterland lieben und nichts tun, um seine Stabilität zu gefährden.

    Uiguren haben nur die Wahl, sich dem chinesisch-dominierten System anzupassen oder alle Chancen auf eine Karriere aufzugeben. Chinesisch ist Pflichtfach ab der 3.Klasse, doch nicht nur in Kashgar weigern sich viele, die Sprache der Besatzer zu lernen. Das treibt sie in eine selbst auferlegte Isolation und mindert ihre Chancen, Arbeit zu finden.

    Muhammad, der uns in sein Haus in der Altstadt von Kashgar eingeladen hat, spricht nur uigurisch. Er war Bauarbeiter und wurde arbeitslos, seit Han-chinesische Bau-Unternehmer in Kashgar Einzug hielten und ihre eigenen Leute mitbrachten. Der gläubige Moslem geht jeden Freitag zum Gebet in die nahe liegende Id-Kah-Moschee. Die Stimmung im Raum wird sehr gespannt, als das Gespräch auf die Religion kommt.

    "Fragen Sie besser nicht!" zischt der Übersetzer nervös. Die Angst vor chinesischen Spitzeln ist förmlich greifbar. Wer sich beschwert, landet schnell im Knast. Ele, Englischstudent und nach eigenen Worten ein "moderner Moslem", sieht den wirtschaftlichen Fortschritt mit gemischten Gefühlen:

    Ich bin Moslem, aber nicht sehr religiös. Für Gläubige ist dies kein gutes Umfeld, die Religion bringt uns nicht weiter. Aber ich hasse es, dass sie unsere Stadt zerstören. Hochhäuser, Autobahnen, wo bleibt das traditionelle Kashgar? Mit Geld machen sie allmählich unsere Kultur kaputt.

    Doch für eine echte Autonomie fehlt dem kommunistischen Regime das Vertrauen in seine Minderheiten. Die Partei hat Angst, dass jede Lockerung ihrer strengen Kontrolle neue Separatismus-Bestrebungen wachrufen könnte. Getreu ihrer eigenen Domino-Theorie geht die nationale Einheit über alles, meint Experte Michael Dillon:

    Ich habe das Gefühl, das sich das Xinjiang - Problem nicht einfach abtrennen lässt. Während der 80er Jahre wurde in China interessanterweise über eine föderale Lösung diskutiert. Eine, die auch Han-chinesischen Gebieten eine regionale Autonomie gewähren würde. Außerdem echte Autonomie für Tibet und Xinjiang. Vielleicht wäre eine Chinesische Union nach dem Vorbild der Europäischen Union ein Schritt nach vorn. Aber ich glaube kaum, dass Chinas Führung diese Idee akzeptieren würde.