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Wer bin ich und warum?

Fensteraussichten, Naturphänomene, Porträtserien: In ihren Bildern versucht die amerikanische Fotografin Roni Horn immer wieder, den Blick herauszufordern - und erzielt dabei verblüffende Effekte.

Von Carsten Probst | 17.04.2011
    Krater sehen dich an. Von den kreisrunden, unruhigen Quellen und Tümpeln, die Roni Horn in ihrer Wahlheimat Island fotografiert hat und die auf ihren Bildern wie die erloschenen Augen von seltsamen Urtieren erscheinen, ist es fotografisch gesehen gar kein so großer Schritt zu den ernsten Augen eines jungen Mädchens, das einen unverwandt aus dem Bild heraus anblickt und dessen Gesicht sich in dieser Serie von Fotografien mehrfach wiederholt, so als wolle die Fotografin beglaubigen: Ja, es ist dieses Gesicht und kein anderes.

    Die Typologie des Blicks taucht in ständig neuen Motiven wieder auf: einmal als Fensterausblicke, einmal in Porträtserien, aber auch immer wieder in Naturphänomenen: Wolkenbildungen oder die unruhige Struktur von Wasseroberflächen erscheinen in Roni Horn Werk wie flüchtige gestische Vorgänge, etwas, das uns letztlich nicht anders ansieht als ein Mensch oder ein Tier.

    Die Fotoserie "You are the Weather" von 1994/95 trägt diese Gleichsetzung von Gesicht und Naturphänomen schon im Titel. Denn auf den 100 Aufnahmen, die in einer ununterbrochenen Reihe rund um einen großen Saal gehängt sind, ist immer dasselbe Gesicht einer jungen Frau in Nahaufnahme zu sehen. Es blickt den Betrachter direkt an und zeigt teilweise unterschiedliche Ausdrücke, mutmaßlich abhängig davon, welches Wetter gerade bei der Aufnahme herrschte. Das Gesicht ist das Wetter - und es gibt die Wetterstimmung an den Betrachter weiter, so als sei dieser dafür verantwortlich. Zugleich erscheint das Gesicht aber auch undurchdringlich und rätselhaft. In "Clowd and Cloun" ist immer wieder ein verschwommenes Clownsgesicht hinter einer Milchglasscheibe zu sehen. Die Gesichtszüge sind nur abstrakt erahnbar, geradezu gespenstisch und sind der sich wandelnden Form einer Regen- oder Schönwetterwolke gegenübergestellt, in denen man zufällig auch immer gewisse Formen zu erkennen glaubt.

    Im Umkehrschluss sagt Roni Horn: "Es bedarf fast nichts, um einen Unterschied zu schaffen. Die Wahrheit einer eindeutigen Identität ist utopisch, nicht real." In ihren Fotografien versucht Horn immer wieder, den Blick herauszufordern. Entweder führt sie ihm Bilder vor, die sich in fast nichts voneinander unterscheiden, sodass der Blick von sich aus beginnt, nach Unterschieden zu suchen, auch wenn diese vielleicht gar nicht sichtbar sind. Oder sie konfrontiert den Blick mit flüchtigen Ähnlichkeiten zwischen scheinbar völlig unterschiedlichen Motiven. Mitunter inszeniert sie ihre Fotoserien geradezu wie filmische Abläufe. Der Betrachter bewegt sich an den Wänden des Saales entlang und lässt dabei in rascher Folge die verschiedenen Variationen eines Motivs an sich vorbeiziehen. Sehr eindrucksvoll ist das bei der Auswahl aus der insgesamt 80 Aufnahmen umfassenden Serie "Some Thames" aus dem Jahr 2000 gelungen.

    Der Titel ist ein Wortspiel aus dem englischen Namen der Themse und "Sometimes" / "Manchmal". Die Serie zeigt den ständigen Wechsel von Farbe und Struktur der Wasseroberfläche des Flusses, die einerseits etwas völlig Undurchdringliches besitzt, andererseits aber auch "Stimmungen" und "Zeichen" zu erkennen zu geben scheint und sich unter dem menschlichen Blick personifiziert.

    Im Gegenzug spielt Roni Horn mit stets wiederholten Abbildungen ein- und desselben Gesichts, bei dem man sich mitunter nicht sicher ist, ob es tatsächlich noch derselben Person gehört oder nicht. Am bekanntesten ist hier Horns Serie über ihr eigenes Gesicht mit über 30 Porträtfotografien von sich selbst aus unterschiedlichen Zeiten. Der Effekt ist so simpel wie verblüffend: Von dem engelhaften, geradezu präraffaelitisch anmutenden Mädchen mit dunklen Locken und Herzkirschenmund hat sich die Künstlerin heute zu einer im Vergleich eher maskulin-strengen Persönlichkeit mit kurz geschorenen grauen Haaren und Brille gewandelt.

    Wer sich einbildet, einen Menschen bereits mit einem kurzen Blick ins Gesicht im Grundsatz beurteilen zu können, wird bei Roni Horn zumindest gezielt in die Irre geführt. So gewiss wie das Wiedererkennen ist zugleich der Irrtum über die Identifikation. Nirgends ist dieses Problem so gegenwärtig wie in der Fotografie, von der es ja weit verbreitet heißt, dass sie die Realität angeblich so zeige, wie sie ist.