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Wer den Pfennig nicht ehrt

Zu den kostbarsten Eigenschaften des Menschen zählt seine Fähigkeit zum rundenden Denken. Ja, das Ab- und Aufrunden ist eine wahre Gottesgabe, welche die schreckenvolle Präzision, die auch zum menschlichen Denken gehört, ein wenig mildert. Wer fünfe gerade sein lässt, ist einfach menschlicher als all die Pfennigfuchser, die bei einem Preis von 19,99 auch wirklich noch den roten Heller oder Cent einfordern.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Was für eine Großzügigkeit liegt in den Worten "Stimmt so" oder "Ist gut so", mit denen man sein Rundungsangebot artikuliert. Es gibt ganze Völker, die sich zu einem nationalen "Stimmt so" durchgerungen haben. Die Niederländer beispielsweise oder die Finnen oder die Schweizer, bei denen es schon seit Jahrzehnten keine Kupfermünzen mehr gibt. Rappenbeträge werden grundsätzlich nur in Fünferschritten verlangt und bezahlt, dazwischen wird auf- oder abgerundet, und wem dabei ums Kleingeld bange wird, für den bietet der Alltag die tröstliche Erkenntnis, dass sich die gewährten respektive erlittenen Auf- und Abrundungen in der Praxis ziemlich genau die Wage halten.

    Diese wunderbare Tatsache, die etwas geradezu buddhistisch Frohmachendes hat, soll nach dem Willen der Bundesbank auch über Deutschland kommen. Jedenfalls sorgte deren Zentralbereichsleiter Bargeld, ein Herr Wolfgang Söffner, gerade mit entsprechenden Andeutungen für Aufregung. Der Grund für diesen Vorstoß liegt freilich nicht in irgendwelchen Vorstellungen von das Seelenheil fördernder Generosität, sondern in der gefährlichen Konvergenz von Tauschwert und Materialwert dieser kleinen Metallscheiben. Wenn die Herstellung der Münzen schon teurer ist als der Geldbetrag, den sie repräsentieren, dann gerät die Ökonomie im wahrsten Sinne an der Basis aus den Fugen.

    Es erhebt sich aber die Frage, ob durch die radikale Abschaffung des Kleingelds nicht etwas anderes aus den Fugen geriete, etwas in der deutschen Psyche, das mit Exaktheit und Kleinteiligkeit und einer heroischen Neigung zur Unverhältnismäßigkeit zu tun hat. Klingt kompliziert, ist aber ganz leicht zu erklären: Deutsche Finanzämter zum Beispiel rechnen nicht nur bei der zu entrichtenden Steuer mit jedem einzelnen Cent, sondern auch bei den Umsätzen, die der Steuerforderung zugrunde liegen. Das heißt, eigentlich geht es um zehntel, ja um hundertstel Cent. Und wenn man den Aufwand in Betracht zieht, mit dem ein Finanzbeamter die Cent-Beträge nachrechnet, dann geht es im Endeffekt um tausendstel Cent.

    Hier tut sich das Gelduniversum der Zukunft auf, eine Mikroökonomie, die spätestens ab dem Zehntausendstel-Cent-Bereich für Vollbeschäftigung im Lande sorgen könnte, weil so viele Leute gebraucht würden, um alle Abrechnungen bis fünf Stellen hinter dem Komma zu bearbeiten. Nicht runden, sondern teilen wäre die Devise. Man sollte baldigst mit der Ausgabe von Halb- und Viertel-Cent-Stücken beginnen. Schon das würde eine beachtliche Zahl von Arbeitsplätzen schaffen. Die weitere Stückelung ist reine Nervensache.