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Wer einmal lügt...

Hieronymus von Münchhausen, der berühmte Lügenbaron. Alle kennen ihn, den Mann, der sich an seinen eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen hat, der auf einer Kanonenkugel ritt und von einem Walfisch verschlungen wurde. Aber war der Baron Münchhausen, der heute vor 285 Jahren geboren worden ist, tatsächlich so ein schrecklicher Aufschneider?

Von Xaver Frühbeis | 11.05.2005
    Was ist Wahrheit? Keine leichte Frage. Wie sollen wir sie erkennen? Hat sie abstehende Ohren? Oder Sommersprossen? Oder: Hat sie gar zwei Gesichter? Schön von vorne und hässlich von hinten? Ein irritierende Sache, das mit der Wahrheit. Wenden wir uns lieber ihrer Schwester zu, der Lüge.

    "Ich lüge niemals, mein Kind."

    Lügen sind einfach zu erkennen. Lügen haben kurze Beine. Deswegen kommen sie auch nicht so recht vorwärts. Die Lüge klebt an ihrem Erzeuger. Das merken wir uns, drehen uns ein paar Mal um uns selbst und wenden uns Herrn Raspe zu.

    Rudolf Erich Raspe, geboren 1737 in Thüringen, Bibliothekar, Professor, Autor gelehrter Schriften und Verwalter der Antiquitätensammlung des Landgrafen Friedrich von Hessen.

    Rudolf Erich Raspe verwaltet aber nicht nur, er verscherbelt auch: zu seinen eigenen Gunsten. Als der Landgraf dahinter kommt, ist er böse. Exverwalter Raspe muss das Land verlassen, wobei er als besonders schmerzlich empfin-det, dass keiner seiner adeligen Freunde bereit ist, ihn beim Grafen zu entlasten.

    Raspe flieht nach England und ist gezwungen, artfremde Arbeit anzunehmen, in den Kupferbergwerken von Schottland und Wales. Das ist kein angenehmer Zeitvertreib, Raspes Wut wächst stündlich, und er schreibt sie sich vom Leib. Raspe sammelt Schnurren, Grotesken, unverdauliche Aufschneidergeschichten, und die schiebt er dem verhassten deutschen Adel in die Schuhe.

    Nicht dem ganzen Adel, einen nur pickt sich Raspe heraus, einen, von dem er weiß, dass er im Kreise seiner Freunde gern Geschichten zum besten gibt. Und so kommt von dem Bergwerksaufseher Rudolf Erich Raspe anonym, ohne Angabe des Verfassers, ein Buch heraus, das Geschichte machen wird: Die "Wunderbaren Reisen zu Wasser und zu Lande des Freyherrn von Münchhausen".

    "Aber den Baron Münchhausen gibt's doch gar nicht."

    Aber nicht doch. Der Mann ist Realität.

    Carl Friedrich Hieronymus von Münchhausen, Russisch-Kaiserlicher und Großfürstlicher Husarenrittmeister, Erbherr auf Rintelen, Schwöbber und Bodenwerder sowie Gutsherr auf Huntzen, geboren am 11. Mai 1720.

    Als der Baron von dem Buch erfährt, ist er empört. Es stimmt schon, er ist ein begeisterter Erzähler vor dem Volke, aber wenn ihm hier angedichtet wird, er sei etwa auf einer Kanonenkugel geritten oder habe sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen, dann untergräbt das seinen Ruf, rückt ihn in die Nähe von Spaßmachern und Komödiendarstellern, ihn, den Spross eines hoch angesehenen deutschen Adelsgeschlechts.

    "Noch niemals habe ich eine so katastrophale Niederlage hinnehmen müs-sen."

    Und niemals je sollte der Baron dahinter kommen, wer der Autor der Ruf schädigenden Lügengeschichten gewesen ist. Raspes Rache allerdings wurde zu einem Bumerang für ihren Autor. Es dauerte nicht lange, und die Welt fing an, Münchhausen zu lesen und zu lieben.

    Jedermann und überall war er ein Begriff, in England als "Munchausen", in Frankreich als "Munikhouson", und nach so unwichtigen Dingen wie dem Leumund eines deutschen Gutsherrn krähte schon bald kein Hahn mehr.

    Der Exgelehrte Raspe hingegen, der ging an seinen Lügengeschichten zugrunde. Über den unverhofften Erfolg des Münchhausen hat er sich grün und blau geärgert, worauf er von dem Vorarbeiter seines Bergwerks für eine Kupfersulfatader gehalten und abgebaut wurde. Das ist die reine Wahrheit, und wer's nicht glauben will, dem ist nicht zu helfen.