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Wer führt die Union?

Dirk Müller: Am Telefon verbunden sind wir nun mit Professor Heinrich Oberreuther, Politikwissenschaftler an der Universität in Passau. Guten Morgen.

Moderation: Dirk Müller | 06.10.2004
    Heinrich Oberreuther: Guten Morgen.

    Müller: Herr Oberreuther, hat die Union im Moment diese Schwierigkeiten, diese Probleme auch, weil keiner in Wirklichkeit Tacheles redet?

    Oberreuther: Ich denke, dass hinter den Kulissen durchaus Tacheles geredet wird, leider Gottes zu wenig problemlösungsorientiert. Das Hauptproblem scheint ja auch zu sein, dass es offensichtlich nicht gelingt, ein wirklich gravierendes Sachproblem von persönlichen Interessen und Karriereplanungen gänzlich abzutrennen, wobei aber noch einige mehr beteiligt sind als diejenigen, die wir gerade im Beitrag gehört haben. Es geht nicht nur immer um Angela Merkel und Edmund Stoiber, sondern es geht in der Tat ja auch um die nie gänzlich geklärte Führungsfrage innerhalb der CDU.

    Müller: Da müssen Sie uns noch ein bisschen weiterhelfen. Wer spielt denn da alles eine Rolle?

    Oberreuther: Ich meine nach außen hin sieht es so aus, also ob Herr Koch und Herr Wulff die Linie der Parteivorsitzenden fahren, nach innen scheint es ja doch ein bisschen anders zu sein und es werden auch in der CDU im Augenblick die Reihen sortiert, um die Führungsfrage nicht abschließend zu regeln.

    Müller: Herr Oberreuther, wir sollten noch mal ganz kurz die Gelegenheit nutzen, wenn Sie schon so offen sind, über Personen zu reden. Ist Friedrich Merz eigentlich jetzt außen vor, ist der weg?

    Oberreuther: Er bemüht sich ja ganz offensichtlich, wie auch im Beitrag zu hören gewesen ist, den Eindruck zu erwecken, dass ein Schulterschluss zwischen ihm und der Parteivorsitzenden passiert ist, er möchte offensichtlich wohl auch nicht Schuld tragen an Spaltungstendenzen zur CSU, die ihn ja bisher immer ganz gut gestützt hat, er möchte wohl auch nicht die Schuld tragen an innerparteilichen Turbulenzen. Klar ist aber doch offensichtlich, dass beide Parteien sich in ihren Modellen eingeigelt haben und dass beide Parteien im Augenblick bei der Betonung, eine Lösung suchen zu wollen (wobei die Bevölkerung an Lösungen und nicht an Methoden wie man zu Lösungen kommt interessiert ist). Dass also beide Parteien in der Gefahr sind sich auf Feldherrenhügeln zu versammeln, von denen man dann nicht mehr runterkommt.

    Müller: Herr Oberreuther, warum machen es denn die anderen Parteiprominenten der Parteichefin so schwer, von verschiedenen Seiten, innerhalb der CDU wie aber auch aus der Münchner Richtung. Weil sie in Wirklichkeit von Angela Merkel gar nichts halten?

    Oberreuther: Ich denke nicht, dass man von Angela Merkel gar nichts hält, im Gegenteil, man ist unter allen Beteiligten sehr von ihrer Durchsetzungskraft oder von ihrem Durchsetzungswillen, der ja gelegentlich bis zur Rücksichtslosigkeit geht, überzeugt. Insofern hätte sie schon das politische Handwerkszeug, das man braucht, um Führungsämter zu besetzen. Sie hat aber auch eine Weile gebraucht im Parteiamt, um die Notwendigkeit der Führungskraft deutlich zu entdecken. Vor Jahren hat sie ja einmal gesagt, es wäre überhaupt nicht so wichtig, eine Partei zu führen, es wäre eigentlich wichtiger, sie zu präsidieren. Das ist mittlerweile vergessen. Dahinter steht natürlich schon auch eine tiefe Divergenz in Sachfragen, wir müssten ja vielleicht auch mal in manchen Fragestellungen die Sozialausschüsse, die christlichdemokratische Arbeitnehmerschaft mit ins Kalkül einbeziehen, die ja durchaus von manchen Gerechtigkeitsvorstellungen der Parteivorsitzenden nicht so überzeugt sind. Es geht auch, ich spitze jetzt einmal zu, um den Konflikt zwischen der klassischen katholischen und auch evangelischen Soziallehre mit deutlich liberalen Ansätzen.

    Müller: Ein Flügel, der immer sehr gewichtig war in der Union und der nun auch für die Wähler sehr wichtig war.

    Oberreuther: Ja, schauen Sie, es kann ja in dem Konflikt sein, dass Angela Merkel die bessere Lösung hat, dabei aber Wahlen verliert und die CSU weiß, wie man Wahlen gewinnt bei einer Lösung, die vielleicht nicht ganz so patentvoll ist. Aber auch darüber muss ja gestritten werden, denn im Grunde war ja schon beim Leipziger Parteitag klar, dass die Beschlüsse zur Gesundheitsreform und zur Steuerreform widersprüchlich sind und es ist also alles andere als klar, wie man bei unserer Steuerlage 40 Milliarden umverteilen kann vom Steuersystem ins Gesundheitssystem, was ja unabdingbarere Bestandteil der Merkelschen Konzeption ist. Die andere Frage, ob man den Wählern vermitteln kann, dass die Bezieher höchster Einkommen und die Bezieher niedrigster Einkommen den gleichen Beitrag in die Gesundheitskasse zahlen, diese Frage ist meines Erachtens beantwortet, indem man sie stellt.

    Müller: War das ein wirklich gravierender politischer Fehler von Angela Merkel?

    Oberreuther: Ich glaube, sie hat in ihrem Drang, neue Lösungen vorzutragen, modern zu sein und auch ehrlich zu sein was die Reformen des Sozialstaats betrifft. An dieser einzigen Stellen, an dieser einen wichtigen Stelle würde ich sagen, hat sie doch das Maß dessen verloren, was man dem Volk zumuten kann und da hat sie nun die CSU als ganz entschiedenes Korrektiv, deren Erfolgsgeheimnis ja immer gewesen ist, dass sie die Interessen des normalen Bürgers nicht aus den Augen verloren hat, was man als opportunistisch bezeichnen mag, aber man muss ja schließlich eben auch die Legitimität der Politik ins Auge fassen und man muss eben auch Wahlkämpfe und Wahlsiege mit ins Auge fassen.

    Müller: Und Edmund Stoiber kommt trotz seiner persönlichen Niederlage bei den vergangenen Wahlen wieder zurück auf die höchste politische Bühne?

    Oberreuther: Das ist eigentlich mit das Erstaunlichste, was im Moment zu geschehen scheint, denn nach alldem, was man weiß, hat er sich ja doch wohl damit abgefunden, dass die eine Kanzlerkandidatur von 2002 die einzige war. Aber auch dies ist eine Frage, die sich neu stellt. Wenn man in die Medien hineinschaut, wird ja schon wieder spekuliert auf einen neuen Kandidatenkonflikt zwischen Stoiber und Merkel und das ganz ohne ironische Untertöne auf dem Hintergrund der Frage, wer der Bevölkerung denn besser zu vermitteln sei. Was mich wundert ist, dass in dieser Diskussion bisher keiner darauf hingewiesen hat, dass es hier ein Großexperiment der Vermittelbarkeit des bayerischen Ministerpräsidenten schon gegeben hat. Er ist trotz, wie soll ich sagen, es war ja eine Art triumphale Wahlniederlage durch den Gleichstand, den er erzielt hat, trotz dieser triumphalen Wahlniederlage anscheinend erneut jemand, der Hoffnungen auf einen Wahlsieg auf sich zieht. Natürlich in Verbindung mit dem bis vor kurzem desaströsen Zustand der rot-grünen Koalition in den demoskopischen Umfragen.

    Müller: Wie wäre es mit einem lachenden Dritten?

    Oberreuther: Das sind die Spekulationen, die in der Union die ganze Zeit umlaufen, also die üblichen Verdächtigen, die in der Furche liegen, von Koch über Wulff, der ja auf leisen Sohlen sich immer mehr voranpirscht in der innenpolitischen Szene. Der erstens sein Land klammheimlich und ohne großes Aufsehen modernisiert, der in der Bildungspolitik den einen oder anderen Paukenschlag setzt, bis hin zu Koch, der nun vielleicht schon darunter leidet, zu lange als Kandidat gehandelt zu werden. Aber das ist ja eine Generation der Mittvierziger, um die manche anderen Parteien die Union vielleicht beneiden, deren Stunde irgendwann einmal kommt, ich glaube aber nicht bis 2006.

    Müller: Professor Heinrich Oberreuther war das, Politikwissenschaftler an der Universität in Passau.