Nach der Europawahl
Wer für die EU-Spitzenposten im Gespräch ist

Gut eine Woche nach der Europawahl beraten die EU-Staats- und Regierungschefs heute Abend über eine mögliche zweite Amtszeit für Kommissionspräsidentin von der Leyen. Vier Posten sind insgesamt zu vergeben.

    Die estnische Premierministerin Kaja Kallas steht in Brüssel neben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
    Estlands Premierministerin Kaja Kallas und Ursula von der Leyen könnten zwei der EU-Spitzenposten besetzen (Archivbild). (IMAGO / Belga / HATIM KAGHAT)
    Es geht um den Präsidenten des Europäischen Rates und den EU-Außenbeauftragten, den Parlamentspräsidenten und vor allem den Kommissionspräsidenten beziehungsweise die Kommissionspräsidentin. Hier hatte die EVP, die Parteienfamilie der europäischen Christdemokraten, unmittelbar nach ihrem Wahlsieg unmissverständlich ihre Ansprüche angemeldet, berichtet unser Brüssel-Korrespondent Peter Kapern.

    Europa-Experte: Keine echte Alternative zu von der Leyen

    Der Politikwissenschaftler Uwe Puetter von der Europa-Universität Flensburg sieht derzeit keine echte Alternative zu von der Leyen. Der Europäische Rat habe „immenses Interesse daran, dass eine mögliche Kommissionspräsidentin in der Lage ist, im Parlament Mehrheiten zu organisieren“, sagte Puetter im Deutschlandfunk.
    Der Professor für Europäische Politik rechnet nach eigenen Worten damit, dass die Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs über das Personalpaket „etwas weniger brutal“ werden als vor fünf Jahren. Einige Akteure, die für die Personalie von der Leyen einen politischen Preis fordern könnten, seien diesmal geschwächt. Dies gelte etwa für den französischen Präsidenten Macron angesichts des starken Abschneidens der Rechtspopulisten bei der Europawahl und den daraufhin ausgerufenen Neuwahlen in Frankreich.

    Scholz und Macron für von der Leyen?

    Bundeskanzler Scholz hatte erklärt, nach dem Ergebnis der Wahlen spreche alles dafür, dass es eine zweite Amtszeit von der Leyens geben könne. Vom französischen Staatspräsidenten gibt es allerdings bisher keinen vergleichbaren öffentlichen Hinweis, berichtet Brüssel-Korrespondent Kapern. Es gebe jedoch Signale aus Paris, dass auch Macron eine zweite Amtszeit unterstütze, wenn eine Reihe inhaltlicher Forderungen erfüllt werde. Dazu sollen, zitiert Kapern aus Medienberichten, eine starke Industriepolitik und gemeinsam finanzierte europäische Investitionsprogramme gehören.

    Costa als Ratspräsident im Gespräch, Kallas als Außenbeauftragte

    Für eine schnelle Einigung der Staats- und Regierungschefs spricht Kapern zufolge auch die Tatsache, dass auch für die anderen zu besetzenden Positionen Namen im Umlauf sind, die alle geforderten Kriterien erfüllten. Als Ratspräsident ist demnach der ehemalige portugiesische Ministerpräsident Costa im Gespräch, ein Sozialdemokrat aus dem Süden der EU. Und die estnische Regierungschefin Kallas, eine Liberale, könnte Außenbeauftragte werden, womit auch die Ansprüche der Osteuropäer auf einen wichtigen Posten erfüllt wären, so die Einschätzung unseres Korrespondenten. Und schließlich könnte die Christdemokratin Metsola für weitere zweieinhalb Jahre Parlamentspräsidentin bleiben.
    Käme es so, hätte von der Leyen die erste Hürde auf dem Weg in die zweite Amtszeit genommen, berichtet Kapern. Dann fehle noch die Zustimmung des Europaparlaments mit absoluter Mehrheit.

    EU-Parlament wird über Posten des Kommissionspräsidenten abstimmen

    Im EU-Parlament gibt es keinen Fraktionszwang. Deshalb wird erwartet, dass nicht alle Abgeordneten der bisherigen informellen Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen für von der Leyen stimmen. Für eine sichere Wiederwahl ist sie ist daher auf weitere Stimmen aus anderen Lagern angewiesen - etwa der Grünen oder von der postfaschistischen italienischen Regierungspartei Fratelli d'Italia.
    Diese Nachricht wurde am 17.06.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.