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Wer hoch hinaus will, muss auf ein gutes Fundament achten

Es muss nicht gleich Lothar sein, der Orkan der 1999 erhebliche Teile des Waldbestandes in Westeuropa verwüstete. Auch bei geringen Belastungen können als gesund geltende Bäume umstürzen - Biomechaniker des Forschungszentrums Karlsruhe haben das in unfangreichen Fallstudien herausgefunden. Dazu untersuchten sie fast 3000 Bäume auf mehreren Kontinenten. Ergebnis: was für den Menschen als Ideal gilt, ist für einen Baum nicht immer das Richtige: Ein schlanker, hoher Baum mit geringem Stammdurchmesser ist gefährdet, dem nächsten Sturm zum Opfer zu fallen. Mit solchen Problemen beschäftigen sich die Biomechaniker.

von Gerhard Trey |
    Zu diesen zählt auch Professor Claus Matthek, Wissenschaftler am Karlsruher Forschungszentrum. Er leitet dort die Abteilung Biomechanik innerhalb des Instituts für Materialforschung.

    So wie die Maschinebauingenieure Maschinenbaukonstruktionen berechnen, so berechnen und vermessen wir Biochaniker die biologischen Strukturen, das können sein die Bäume, die Knochen, die Tigerkralle oder die Muschelschale.

    "Bäume wachsen nicht in den Himmel", sagt eine Redewendung. Wäre eigentlich gar nicht so schlimm, wenn die Maße stimmen. Zurück zur Wirklichkeit: Freistehende Bäume haben wenig Probleme mit dem Längenwachstum.

    Höhe ist also für sich alleine kein Problem, solange der Schlankheitsgrad nicht zu groß wird. Das Versagenskriterium ist das Verhältnis aus Höhe zu Durchmesser am Stammfuß gemessen, und 50 ist die Bruchgrenze so z.B. sind die Sequoias ja mit die höchsten Bäume und sie sind vergleichsweise sicher. Sie sind aus diesem Grunde auch sehr alt geworden, sie haben ein Höhen-Durchmesserverhältnis von ungefähr 30.

    Bei Bäumen ist es wie bei den Menschen. Die Jungen dürfen auch mal über die Stränge schlagen, ohne dass sie dafür büßen müssen oder gar um ihr Leben fürchten.

    Also, junge Bäume können schlanker sein als sehr alte Bäume, sie können größere Höhen zu Durchmesserverhältnisse haben, 60 oder 70 sind da kein Problem. Sie werden nicht heruntergezogen, weil sie leicht sind und flexibel, nur Schneelast ist dort ein Problem.

    Der Mensch sucht die Gemeinschaft, die Geselligkeit - aber wenn es zu eng wird, dann beginnen die Probleme, bei den Menschen wie bei den Bäumen.

    Wenn die Bäume sehr dicht stehen, wachsen sie phototrop, dem Lichthunger folgend nach oben, und sie lassen quasi untere Äste sterben, so dass der Kronenansatz immer weiter nach oben wandert, und sie werden immer kopflastiger, weil nur die oberen Stammbereiche noch mit Assimilaten versorgt werden, die unteren aber verhungern.

    Wer einmal in Gemeinschaft gelebt hat, tut sich mit der späteren Einsamkeit schwer. Sie kann sogar zum Risiko werden. Nicht anders bei Bäumen.

    Sehr bedenklich sind insbesondere Situationen, wo sehr dichte Bestände mit vielen schlanken Bäumen, die sich aber untereinander noch stabilisieren durch Reibung der Krone usw., wenn die durchbrochen werden, freigestellt werden oder Kulturbauten in den Fallbereich der Bäume gelegt werden, also Häuser zu nahe an Wälder gebaut werden oder Stromleitungen usw. durch den Wald gezogen werden, wo also schlanke Bäume auf einmal freigestellt werden.

    Freie Entfaltung bietet die beste Voraussetzung, eine Persönlichkeit zu werden. Und wahre Persönlichkeiten können sich, wenn es darauf ankommt, sich auch mal zurücknehmen. Auch Bäumen bekommt es, wenn sie zumindest im Alter nicht mehr all zu hoch hinaus wollen.

    Solitäre, freistehende Bäume werden mit zunehmenden Alter immer dicker, sie werden aber auch immer kürzer, sie sterben also von oben nach unten zurück und wachsen somit in kleinere Höhen zu Durchmesserverhältnisse hinein.

    Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Anhand des Verhältnisses von Höhe und Stammdicke lässt sich voraussagen, welcher Baum schon bei geringer Belastung gefährdet ist. Wichtig auch für rechtliche Regelungen.

    Mit diesem neuen Versagenskriterium, Höhe zu Durchmesser gleich 50, leisten wir auch einen Beitrag für die Rechtssprechung, weil nicht vorhersehbare Schadensfälle klar von Vorhersehbaren getrennt werden und damit begründete Schadensersatzforderung leichter begründet werden können.

    Welche Schlüsse gilt es nun nach Meinung des Biomechanikers zu ziehen?

    Schlechte, also zu hohe Höhe zu Durchmesserverhältnisse werden leider auch heute noch erzeugt durch zu dichtes Pflanzen von Bäumen, phototroper Wettbewerb, durch das Wegsägen unterer Äste, wo es nicht nötig ist, aber auch durch zu straffe Kronensicherung, die die Schwingungen so sehr unterdrücken, dass der Baum nicht mehr genug in die Dicke wächst. Solche Bäume sollten dann zurückgeschnitten werden, um Neuaustrieb unten zu stimulieren.