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Wer ist D.B.C. Pierre?

Der renommierte britische Booker Prize für englischsprachige Literatur geht in diesem Jahr an den Australier D.B.C. Pierre. Der 42-jährige Autor heißt richtig Peter Finlay. Er erhielt die Auszeichnung für sein Erstlingswerk "vernon God Little." Autor und Buch, Mensch und Stoff geben allein schon eine Mischung für ein Magazin ab. Der vormals drogenabhängige, draufgängerische Außenseiter Pierre hat einen satirischen Roman über ein texanisches Schulmassaker geschrieben, ein Werk über Gewalt in Amerika.

Eva Kötting im Gespräch |
    Michael Köhler: Eva Kötting in London, das klingt alles ziemlich reißerisch. Rechnet man noch hinzu, insofern es glaubwürdig ist, dass Herr Pierre mit dem Preisgeld sein Spiel- und Drogenschulden bezahlen will, fragt man sich ob das eine literarische Auszeichnung ist? Tun das andere auch?

    Eva Kötting: Ja, das fragen sich andere auch. Es ist so, dass heute nicht wirklich alle davon überzeugt sind, dass der diesjährige Preisträger des Booker-Prize nun auch wirklich ein würdiger Preisträger ist. Die Zeitung Times schreibt ganz klipp und klar, dies ist in diesem Jahr kein würdiger Sieger. Sie bemängeln, dass er in einer sehr derben Sprache schreibt, dass sein Buch "Vernon God Little" eine dumpfe Satire sei, und dann heißt es noch sehr süffisant, der Autor denkt wohl, er sei clever, wenn er seine Figuren fluchen lässt, und, vernichtendes Fazit, dieses Buch sagt uns nichts neues über Amerika und nur die Klischees werden bedient. Die Literaturkritiker der BBC waren ebenfalls nicht sehr überzeugt. Sie bemängeln, dass die Geschichte, die Logik des Buches nicht sehr schlüssig ist. John Carey, der Jury-Vorsitzender hat gesagt, das war eine sehr aufregende Sprache, sehr lebendig erzählt, aber der BBC-Literaturkritiker sagt, den Humor habe er sehr langweilig gefunden und ihn habe die Geschichte einfach kalt gelassen. Also man muss sagen, das Echo ist sehr gespalten heute, es wird sehr viel über die Vergangenheit, über die schillernde Biographie von DBC Pierre geredet, und sagt vielleicht auch einiges über die Qualität des Buches aus, dass nicht über das Buch selbst geredet wird, sondern über die Person, und insgesamt hieß es in diesem Jahr auch, dass es eine sehr schwache Shortlist, eine sehr schwache Endauswahl, und dass die literarischen Schwergewichte in diesem Jahr keine wirklich guten Bücher geschrieben haben.

    Köhler: Sie weisen damit schon auf ein Problem hin, über das wir sprechen sollten. Der Preis wurde zum 35. Mal vergeben. Große Autoren wurden bislang geehrt, sind auch oft im Rennen. Schriftsteller aus dem Commonwealth können sich bewerben. Macht es Sinn, eigentlich diesen Preis an ein Erstlingswerk zu vergeben? Um mal den Vergleich zu bemühen, Thomas Mann hat den Nobelpreis 20 Jahre nach den Buddenbrooks bekommen, da war er aber schon bekannt als großer Autor des Zauberbergs.

    Kötting: Diese Frage wird hier auch diskutiert. Es ist ja so, diese Shortlist war ja wirklich außergewöhnlich in diesem Jahr, nicht nur dass vier Frauen nominiert worden sind, sondern auch drei Erstlingswerke, und viele fragen sich, ist es denn wirklich sinnvoll, dass man einem Autor, der gerade erst angefangen hat, der ein erstes Buch veröffentlicht hat, gleich mit einem derart renommierten Literaturpreis ehrt? Das ist ja auch ein Bürde. Wir haben es gesehen bei anderen Autoren, die hier sehr gefeiert worden sind. Zadie Smith zum Beispiel hat ein viel gefeiertes erstes Buch geliefert, das zweite Buch hat sehr lange auf sich warten lassen, und die Kritiker waren nicht begeistert. Bei DBC Pierre, der eigentlich ein bisschen durch Zufall, muss man fast sagen, zur Schriftstellerei gekommen ist – er hat, das sagt er über sich selbst, geschrieben, um im Grunde sich selbst nicht umbringen zu müssen, weil er so unter seine Drogen- und Spielsucht gelitten hat -, ist die Frage, wie wird es weitergehen mit diesem Autor? Kann er nochmals ein zweites Buch schreiben unter diesem großen Druck, unter dem er jetzt steht, unter der Erwartungshaltung, das ähnlich erfolgreich ist wie dieses erste Buch?

    Köhler: Man hat, abschließend gefragt, vielleicht den Eindruck, dass die jungen Wilden, die Krawall machen, vielleicht am Ende in der Mediengesellschaft um Aufmerksamkeit erfolgreicher davonziehen als jene, die vielleicht literarische Klasse vorlegen, nicht?

    Kötting: Auf jeden Fall. In diesem Buch geht es um ein Schulmassaker in Texas. Es erinnert sehr an Columbine. Es erinnert sehr an Bücher und Filme, die im Moment sehr im Trend liegen, Stichwort Michael Moore, der in Deutschland auch große Erfolge feiert, und ein bisschen hat man das Gefühl, dass in diesem Jahr der Booker-Preis auf einen sehr modernen Trend aufgesprungen ist, ein bisschen über Amerika herziehen, das kommt immer gut, und das steigert vielleicht auch die Verkaufszahlen. Ich würde sagen, in diesem Jahr hat der Booker-Prize vielleicht seine Wahl nach sehr populären Gesichtspunkten getroffen.