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"Wer nicht arbeitet, soll nicht essen"

Wer nicht arbeitet, ist wenig wert - das scheint zumindest unsere heutige Gesellschaft zu vermitteln. Doch dieser Ansicht widersprach schon Friedrich Nietzsche. Der müßige Mensch sei immer noch der bessere Mensch als der tätige, so der Philosoph. Doch was gilt in unserer heutigen Gesellschaft als Müßiggang, was als Arbeit? Darüber diskutierten Kulturwissenschaftler bei einem Workshop in Weimar.

Von Hilde Weeg | 23.01.2009
    Auf dem Plakat zum Workshop ist ein Holzschuh zu sehen. So ein Holzschuh war zu Zeiten der industriellen Revolution ein Symbol für den Kampf gegen die Mechanisierung der Arbeit. Holzschuhe - französisch Sabot - wurden in die Mahlwerke von Mäh- und Dreschmaschinen geworfen, um die Maschinen zu stoppen. So kam die Sabotage in die Arbeitswelt. Einer, der verbale Holzschuhe gegen stupide Industrie- und Lohnarbeit geworfen hat, war der Philosoph Friedrich Nietzsche:

    "Er sagt, der tätige Mensch ist faul, denn er orientiert sich nicht an sich selbst, sondern an der Dummheit der Maschinen. Und dem setzt Nietzsche entgegen das Ideal des schöpferischen Müßiggängers","

    erklärt Martin Jörg Schäfer, einer der Organisatoren und Literaturwissenschaftler an der Universität Erfurt. "Der müßige Mensch sei immer noch der bessere Mensch als der tätige", hat Nietzsche vor mehr als 100 Jahren formuliert. Dabei ist Müßiggang auch eine Tätigkeit und keineswegs eine unproduktive. Was aber zählt heute zur Arbeit, was zur Nicht-Arbeit? Entscheidet das Arbeitsverhältnis und das Verhältnis zur Arbeit über Sinn und Unsinn des Lebens? Fragen, die auch für die Teilnehmer selbst wichtig sind:

    ""Es sind zum größten Teil Teilnehmer und Teilnehmerinnen im Workshop in der Mitte ihrer akademischen Karriere - falls es denn weitergeht. Es sind alles prekäre Arbeitsbedingungen, Zeitverträge. Wir fragen uns alle schon, was wir mit Ende 30, Anfang 40 irgendwann mit unserem weiteren Leben tun."

    Außerdem sehen sich gerade Kulturwissenschaftler häufiger als andere Akademiker mit der Frage konfrontiert, was sie denn eigentlich tun, was unterschwellig den Vorwurf beinhaltet, ihre Arbeit sei wertlos.

    "Deswegen immer die Frage: Wer bestimmt eigentlich, was Arbeit ist? In welchen Institutionen wird das entschieden, wer arbeitet und wer nicht arbeitet?"

    Der Druck ist hoch - ob man nun an sich oder für die Gesellschaft arbeiten soll. Denn: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen", so heißt es im durch die Jahrhunderte hindurch viel zitierten zweiten Brief von Paulus an die Tessalonicher - zitiert von Stalin wie jüngst von Müntefering in der Diskussion von Hartz IV. Darin steckt auch die Drohung, dass, wer nicht arbeitet, auch von der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Was aber, wenn die Arbeit selbst sinnlos ist? Und was, wenn etwas mühelos und gern geleistet wird? Ist das keine Arbeit? Der Erfurter Literaturwissenschaftler Rudolf Helmstetter erinnert an eine Passage in Mark Twains Geschichte von Tom Sawyer:

    "Tom Sawyer muss den Zaun seiner Großmutter streichen, hat keine Lust dazu. Er schafft es aber, seine Spielkameraden dazu zu bringen, dass sie das für etwas ganz Tolles halten, den Zaun zu streichen. Also hier macht etwas Spaß zu tun, was eigentlich eine Arbeit ist."

    Ist es dann noch Arbeit? Nach der ponografischen Definition nicht, mit der sich Helmstetter beschäftigt hat. Das hat mit Pornografie nichts zu tun:

    "Ponografie ist eine Grundbestimmung von Arbeit, die man in ganz vielen soziologischen, philosophischen Bestimmungen findet: die Definition von Arbeit als Mühsal, als etwas, das Unlust bereitet."

    Kann denn dieser Mühsal niemand entkommen?

    "Es gibt die Möglichkeit zu erben, zu stehlen oder im Lotto zu gewinnen. Und es ist dann interessant zu gucken, wie füllen die Leute die Zeit? Ich glaube, dass hier auch ein Punkt ist, um Kunst- und Arbeitswissenschaften zu verbinden."

    Um sich Gedanken über die Dummheit der Arbeit und die Grenzen der Nicht-Arbeit zu machen, haben die Wissenschaftler einen idealen Ort gefunden: Nietzsches letztes Wohnhaus in Weimar, wo er in der Obhut seiner Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche seine letzten drei Lebensjahre verbrachte.