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Wer nicht hören kann, muss testen

Biologie. - "Wie hört Deutschland?" Diese Frage haben sich Wissenschaftler aus Aalen zu Beginn einer gleichnamigen Studie gestellt. Zweieinhalb Jahre ist das inzwischen her, Zeit für Ergebnisse. Manche davon sind unerwartet, andere eher weniger.

Von Martina Preiner |
    "Manchmal halten es junge Leute für einen guten Scherz, einen Böller anzuzünden und so zu werfen, dass er möglichst in Ohrnähe explodiert. Durch so einen explodierenden Böller kann in einer Tausendstel Sekunde das Ohr um 50 Jahre altern. Wir haben bei uns in unserer Datenbank Beispiele von 20-Jährigen, die dann auf dem betroffenen Ohr die Hörfähigkeit eines 70-Jährigen haben."

    Eckhard Hoffmann ist Mediziner und Professor für Hörakustik an der Hochschule Aalen. Seit Juni 2008 stellt er das Gehör der Deutschen auf die Probe.

    "Für unsere Studie haben wir nach einer repräsentativen Stadt gesucht, und sind in Aalen, unserer Hochschulstadt auch schon fündig geworden. Repräsentativ in Bezug auf die typischen Schallbelastungen. Hier in Aalen gibt es zum einen einige Firmen im Bereich der Dienstleistungen, aber auch viel metallverarbeitendes Gewerbe. So dass wir hier sowohl viele Berufe haben, bei denen es eher leise ist, aber auch Berufe mit hoher Schallbelastung."

    1107 Aalener aller Altersgruppen beteiligten sich an Hoffmanns Studie. Zunächst mussten sie einen schriftlichen Test ausfüllen, der den Wissenschaftlern helfen sollte, die Lärmbelastung jedes Einzelnen einzuschätzen. Dann ging es ans Eingemachte. Die Studienteilnehmer bekamen durch einen Kopfhörer nacheinander Töne unterschiedlicher Frequenz vorgespielt. Die Lautstärke wurde nach und nach erhöht, bis der Proband nach eigener Aussage die Töne wahrnehmen konnte. Dadurch ergab sich die individuelle Hörschwelle der Testperson für eine bestimmte Tonhöhe. Eines der Ergebnisse dürfte exzessiven Disko- und Konzertgängern sehr entgegenkommen. Hoffmann:

    "Der Effekt von Musik auf die Hörfähigkeit wird meistens überschätzt. Das Ganze begann schon in der 60er-Jahren, als die elektronisch verstärkte Musik aufkam, wo man dann gesagt hat: Das wird doch eine Generation an Schwerhörigen hervorbringen! Das Ganze hat sich nicht bewahrheitet. Und wenn man sich die Musik aus den 60er-Jahren einmal anhört, zum Beispiel die Beatles in der Grugahalle 1966, da hört man eher die kreischenden Frauen und weniger die Musik."

    Auch die folgende Entwicklung vom Walkman bis hin zum MP3-Player hatte keinen nennenswerten Effekt auf die durchschnittliche Hörfähigkeit der Deutschen. Tatsächlich liegt diese in der Norm, die Experten schon in den 1960er Jahren als Sollwert für die Bevölkerung veranschlagt hatten.

    "Es ist aber so, dass wir langfristig schon mehr Leute in Deutschland mit Schwerhörigkeit haben werden. Einfach, weil die Bevölkerung aufgrund der demographischen Entwicklung älter wird, und es dadurch natürlich auch mehr ältere Leute mit einem schlechteren Hörvermögen geben wird. Aber nicht, weil die jungen Leute heute schon alle so schlecht hören."

    Der Hörtest birgt aber nicht nur gute Nachrichten für musiksüchtige Jugendliche, sondern auch für Männer. Die Aalener Studie belegt nämlich schwarz auf weiß, dass sie nicht nur so tun, als könnten sie ihre Frauen nicht hören.

    "Frauen hören zumindest ab 40 besser als Männer, im Bereich der hohen Frequenzen. Es ist so, dass ein 50jähriger Mann ungefähr so hört, wie eine 65jährige Frau."

    Das liegt laut Hoffmann daran, dass Männer öfter in Lärmberufen tätig sind. Aber auch die generellen Unterschiede im Alterungsprozess bei Männern und Frauen spielen eine Rolle. Bei beiden Geschlechtern lässt in den meisten Fällen zuerst die Hörfähigkeit für hohe Frequenzen nach. Warum, ist noch ungeklärt. Aber man weiß, dass es unter anderem deswegen älteren Leuten schwer fällt, Unterhaltungen in einem lauten Restaurant zu verfolgen. Das Gesprochene ist ohne die höheren Töne nur mühsam vom Hintergrundlärm zu unterscheiden, da vor allem die sinntragenden Konsonanten im hochfrequenten Bereich angesiedelt sind. Oft merkt man aber erst gar nicht, dass das Gehör nachlässt. Es fehlt der objektive Vergleich. Und wenn man dann irgendwann einmal einen Hörtest durchführt, ist das Problem,...

    "dass man rückwirkend nie sagen kann, woran die Ursache lag. Deswegen ist es auch wichtig, dass man ab und zu mal einen Hörtest macht. So dass man dann einfach die Entwicklung der eigenen Hörfähigkeit beobachten kann."

    Hoffmanns Ansicht nach ist das einzige adäquate Mittel, die Hörfähigkeit zu schützen, Prävention. Also bevor man das Gehör eines 50 Jahre älteren Menschen riskiert, sollte man an Silvester besser einmal mit Gehörschutz zum Böllerschießen gehen. Dafür muss man keine Angst vor der Musik auf der anschließenden Neujahrsfeier haben.