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"Wer Opfer ist, macht keine Fortschritte"

Was machen Spitzensportler, etwa Fussballprofis, nach dem Ende ihrer aktiven Zeit? Sie wechseln ins Trainergeschäft, Management der Clubs oder schlagen ganz andere Wege ein, wie zum Beispiel Lilian Thuram. Der auf der Antilleninsel Guadeloupe geborene französische Fussballweltmeister von 1998 hat sich dem Kampf gegen Rassismus verschrieben.

Von Hans Woller | 17.12.2011
    Lilian Thuram, der 12 Jahre lang als Profi sein Geld in Italien verdient hat, seine Karriere mit 36 auf Grund eines spät entdeckten Herzfehlers beenden musste - fungiert derzeit im Pariser Museum für aussereuropäische Kunst, dem Museum am Quai Branly, als Kurator einer bemerkenswerten Ausstellung zum Thema "Menschenzoos". Die erste internationale Ausstellung darüber, wie der Westen zwischen 1800 und 1940 die Einwohner anderer Kontinente als Wilde und Kuriositäten einem Millionenpublikum präsentiert hat – in Tiergärten, auf Jahrmärkten oder im Panoptikum.

    Lilian Thuram gibt Interviews am Fliessband, auf spanisch, italienisch oder französisch - in den Ausstellungshallen des Museums am Pariser Quai Branly – ein umgänglicher, zurückhaltender, alles andere als eitler Ex - Fussballstar, der nicht vergessen hat, woher er kommt. Lilian Thuram sagt von sich, er sei erst im Alter von neun Jahren schwarz geworden, als seine alleinerziehende Mutter mit fünf Kindern aus Guadeloupe in eine südliche Pariser Vorstadt zog. 30 Jahre später erklärt der Autodidakt, der seit jeher Bücher verschlungen hat, diese Ausstellung über Menschenzoos, an deren Zustandekommen er zwei Jahre lang intensiv mitgearbeitet hat:

    "Die Idee war, die Vorurteile zu erklären, die es in unserer Gesellschaft bis heute gibt und zu zeigen, dass diese Vorurteile kein Zufall sind, sondern eine Geschichte haben."
    Zur Geschichte der öffentlichen Zurschaustellung aussereuropäischer Menschen hat Thuram eine fast persönliche Beziehung: ein anderer aus der französischen WM-Mannschaft von 1998, Christian Karambeu, stammt von der französischen Pazifikinsel Neukaledonien:

    "1931 noch hat man im Pariser "Jardin d'Aclimatation" die Urgrosseltern meines Freundes Christian Karambeu ausgestellt und sie als kanakische Menschenfresser präsentiert."

    Thuram, der in italienischen Fussballstadien selbst mehr als ein Mal die Affenschreie der pöbelnden Zuschauer ertragen musste, setzt bei seinem Engagement gegen Rassismus schon seit Jahren auf Pädagogik - daher auch seine Stiftung ""Erziehung gegen den Rassismus". Mit Blick auf die farbige französische Bevölkerung meint er:

    "Man kann einfach herum sitzen und warten oder aber man sagt sich: ich erziehe die Kinder, damit sie verstehen, wie man die Dinge ändern kann. Denn viele verharren in der Opferrolle. Wer Opfer ist, macht aber keine Fortschritte, gefällt sich manchmal sogar in der Rolle des Opfers. Denn wenn er nicht voran kommt, kann er immer noch sagen: man hat mir keine Chance gegeben. Wir müssen unsere Kinder dazu erziehen, dass sie keine Opfer mehr sind."

    Nicht immer ist es leicht für Thuram gegen tief sitzende Vorurteile anzureden:

    "Stichwort: die Schwarzen sind besser im Sport. Sag ich den Kindern, das stimmt nicht, antworten die natürlich: aber Monsieur Thuram, schaun sie sich doch selber an. Man muss Schluss machen mit diesen Klischees, auch mit dem, das da lautet: weil ich Fussballer war und also gut im Sport, sollte ich unfähig sein, meinen Intellekt einzusetzen."
    Um mit Klisches aufzuräumen, sie gerade den Kindern auszutreiben und den Farbigen unter ihnen mehr Selbstvertrauen zu geben, hat Lilian Thuram vor 18 Monaten ein Buch geschrieben - über bedeutende schwarze Persönlichkeiten, von Lucie bis Barrack Obama, mit dem Titel "Meine schwarzen Sterne" .

    "Für mich gab es früher viele Sterne, Platon, Sokrates, Mutter Teresa – irgendwann hab ich festgestellt, dass die alle weiss waren. Indem ich jetzt die schwarzen Persönlichkeiten vorstelle, die mir geholfen haben bei meiner Identitätsfindung und um aus der Opferrolle herauszukommen, hoffe ich dazu beizutragen, die Vorstellungswelten in den Köpfen der Menschen zu ändern, wie Obama das zum Beispiel geschafft hat."

    Thuram hat sich in den letzten fünf Jahren mehrmals mit dem Kandidaten und später mit dem Präsidenten Nicolas Sarkozy öffentlich angelegt – was Frankreichs Kolonialgeschichte angeht oder wegen Sarkozys Hang, den latenten Rassismus in der französischen Gesellschaft für seine politischen Zwecke zu nutzen, die Gesellschaft zu spalten. Trotzdem wollte der Präsident ihn als Vertreter der so genannten "sichtbaren Minderheit" zum Staatssekretär machen. Thuram hat das Angebot, eine Alibirolle zu spielen, höflich, aber bestimmt abgelehnt. Man darf sicher sein, dass seine Stimme auch im bevorstehenden französischen Präsidentschaftswahlkampf wieder zu hören sein wird.