"Ich bin doch nicht verrückt, ich werfe mich doch nicht den Medien zum Fraß vor" - diese oder eine ähnliche Reaktion erntet, wer einen einstigen Inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit fragt, ob dieser seine Erlebnisse mit dem Geheimdienst in der Öffentlichkeit preiszugeben bereit wäre. Christhard Läpple kommt das große Verdienst zu, tatsächlich Menschen zum Sprechen gebracht zu haben. Der ZDF-Redakteur hatte sich zunächst in die Zeit des Kalten Krieges zurückversetzt und eine Fernsehdokumentation über den Mainzer Sender im Visier der Staatssicherheit erstellt: Die Feindzentrale hieß sein Thema. Die Recherche ließ Läpple nicht los, denn in den Akten der Gauckbehörde waren nicht allein abstrakte Maßnahmepläne gegen DDR-kritische Sendungen oder Hinweise auf skrupellose Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit zu finden. Vor allem traf Läpple unter dem Aktenstaub auf Spuren von Menschen, die sich dem Geheimdienst angedient hatten - Inoffizielle Mitarbeiter, deren facettenreiche Geschichten ihn neugierig machten. Da gab es Mitläufer und Überzeugungstäter, Tschekisten und geborene Geheimniskrämer, aber auch Getriebene, Verzweifelte oder Fatalisten. Christhard Läpple versuchte, mit ihnen in Kontakt zu kommen. Er bewies einen langen Atem und schließlich gelang es, Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi zum Erzählen zu bewegen - nicht vor der Kamera, wohlgemerkt. Und mit dem Versprechen, ihre wahren Namen in seiner Publikation zu anonymisieren.
"Der oberste Grundsatz war immer, die Akten zum Sprechen zu bringen. Ein großer Teil der Angesprochenen hat natürlich verständnislos reagiert bis aggressiv, einige davon haben sofort mit dem Anwalt gedroht, dieses dann auch gemacht, sodass dadurch schon eine Auswahl getroffen war, im Kern übriggeblieben sind die Menschen, die bereit waren, diesen Schritt zu unternehmen. Interessant ist, dass es auch zwischen Geschlechtern Unterschiede gibt, Frauen waren dann sehr viel offener und konsequenter auch in der Öffnung. Ich mache mir aber keine Illusionen, ich habe festgestellt, dass mir meine Helden wichtiger waren als ich ihnen. Es gab nur in ein oder zwei Fällen immer eine Rückmeldung, das heißt, immer ich musste mich melden, immer ich musste hinterher sein. Aber das liegt natürlich auch in der Sache begründet, wer redet schon gerne über Verrat."
Die große Mehrheit der IM versteckt sich bis heute, die Spitzel von einst wahren die Konspiration - ganz so, wie ihre Führungsoffiziere es ihnen einst abverlangten. Mit jedem Jahr, das seit dem Untergang des Mielke-Imperiums ins wiedervereinigte Land geht, wird ihre Sicherheit, nie entdeckt zu werden, größer. Aber: Verrat verjährt nicht. Dass Christhard Läpple seinen Band unter dieser Überschrift publiziert, führt in die Irre. Der Titel klingt wie eine Drohung, verheißt Strafe und juristische Verfolgung. Doch Läpple richtet nicht. Vielmehr möchte er den IMs ihre Geschichte abnehmen, sie ihre Biographie und ihre Verbindung zur Staatssicherheit selbst erklären lassen. So illustriert er die jüngere Zeitgeschichte, ergänzt die klassische akademische Geschichtsschreibung, die sich häufig mit der Erforschung der Strukturen der Diktatur, mit Aktenfunden und Statistiken zufriedengibt. Läpple stellt die Frage nach individuellen Motiven für die einstige Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst.
"Ich glaube, dass es so eine Art Verstaatlichung des Gewissens in der DDR gab. Man fühlte sich in einer Abwehrsituation, man fühlte sich vom Westen bedroht, das war die offizielle staatliche Doktrin, sodass jeder Bürger ja zur Wachsamkeit aufgerufen war. Sodass es eigentlich erstmal nichts schlimmes war, sich als Informant zur Verfügung zu stellen. Das heißt, man konnte somit eine individuelle Verantwortung an den Staat abgeben. Deswegen brauchen wir im Umkehrschluss wieder eine Privatisierung des Gewissens."
Unbeabsichtigt erreicht der sensibel auf seine Gesprächspartner eingehende Autor mit den allesamt autorisierten Geschichten dreierlei: Zum einen kratzt er am Mythos vom MfS als dem perfekten Geheimdienst, der erfolgreich die feindlich-negativen Kräfte unter den Bürgern der DDR in Schach hielt und Sand ins Getriebe der imperialistischen Bundesrepublik streute. Zum zweiten stellt der Autor den schöngefärbten und angeberischen Täterbiografien, die auf den Buchmarkt drängen, Geschichten aus dem Innern der Stasi entgegen, er zeigt Erbärmlichkeit und Perfidie der Arbeit der ach so gloriosen Geheimdienstler. Und drittens löst der Zuhörer Läpple eine psychologische Blockade: Bei dem einen oder anderen seiner Gesprächspartner spürt er Erleichterung, die Befreiung von einer bedrückenden Last - ohne dass sich der Autor in seinen Geschichten über den "Meisterspion", über die "Rebellin" oder auch die "Idealistin" jemals zum Seelsorger oder Psychologen aufspielen würde. Doch lassen ihn andererseits die Erzählungen der Spitzel von einst auch nicht unberührt, gesteht Läpple und nennt als Beispiel für Empathie die traurige Geschichte von Bruder und Schwester - Hans mit SED-Karriere, Helene in den Westen geflohen.
"Als ich die Beiden kennengelernt habe vor drei, vier Jahren, gab es, man kann es so sagen, kalten Krieg, es gab keinerlei Kommunikation. Sie wusste von ihm, dass er als Informant der Staatssicherheit sie jahrelang bespitzelt hatte, er fühlte sich wiederum von ihr bedroht, weil er der Meinung war, dass sie ihn nach der Wende angezeigt habe. Die Gespräche haben zumindest eine Annäherung der Beiden ermöglicht, die ich dann eingeleitet hatte, man hat über mich sozusagen stille Post gespielt. Und am Ende kam ein sehr tragischer Punkt noch hinzu, der Bruder ist durch eine sehr schwere Krankheit gezeichnet worden und jetzt gibt es wieder Kontakte zwischen den Beiden, das heißt, das Schicksal fügt sie vielleicht doch wieder zusammen."
Läpple kokettiert nicht damit, dass er Privates und Spionagegeschichten enthüllt. Vor allem respektiert er in den in kleine Kapitel gegliederten Nacherzählungen seine Protagonisten - womit er die oft verletzte oberste Bürgerpflicht im Umgang zwischen Ost und West beherzigt. Seine Hauptpersonen sind weder Monster noch Unschuldige, aber auch der Westmensch tritt weder als Richter, noch als Sieger der Geschichte auf. Vielmehr akzeptiert er sein jeweiliges Gegenüber - gleich ob es der machtbewusste Kunstprofessor oder die inzwischen desillusionierte Ex-Agentin sind - sie verdienen gehört zu werden.
"Da sind zwei Ebenen: Das eine ist der persönliche Bereich, was in Familien passiert ist und durch die Aktenöffnung entdeckt wird, es gibt ja über zweieinhalb Millionen Menschen, die jetzt privat in ihre Akte geschaut haben, das muss auch familiär gelöst werden, das ist ein Thema für Familiengespräche, für Küchentische und für Wohnzimmergespräche. Das andere ist der politische Verrat, der gewollt, und gefördert und gefordert war. Und da gibt es aus meiner Sicht dringend Bedarf. Ich glaube, dass wir nicht mehr so weitermachen können, wie in den letzten Jahren. Es gibt ein Ritual von Angriff und Abwehr, von Aggressivität auch. Und in der Regel ödet es die meisten an. Wir brauchen eine zweite Öffnung. Denn ich habe festgestellt, dass die Akten zwar offen sind, aber die Menschen, die darin vorkommen, verschlossen."
Christhard Läpple schreibt, dass das Gift des MfS, die Lügen und Denunziationen weiterwirken und er versucht, der infizierten Gesellschaft in Ost und West ein Gegengift zu verabreichen: das der Offenlegung von Akten und Lebensgeschichten.
"Das kann nur funktionieren, wenn die Menschen bereit sind zu reden. Ich glaube, wir haben einen sehr günstigen Zeitpunkt. Am 2. Oktober 2010 verjährt der Landesverrat, das heißt, das ist eigentlich eine Stufe, bis dahin man sich entscheiden kann. Wir brauchen die Öffnung deshalb, weil sonst die Macht des Geheimdienstes und vor allem auch der Staatssicherheit einfach weitergeht, dann ist die Macht ungebrochen."
Schon zu DDR-Zeiten fürchtete das Ministerium für Staatssicherheit nichts so sehr wie offene Worte, also die Dekonspiration: Wer sich offenbarte, hatte über die Stasi gesiegt, der musste fallen gelassen werden, war nicht länger tauglich für den Einsatz an der "unsichtbaren Front". Wollen wir heute eine wirkliche Entmachtung der Staatssicherheit, so hilft allein das Gespräch. Anders werden wir weder die Hybris der Täter entlarven, noch die Verletzungen der Opfer heilen.
Jacqueline Boysen über Christhard Läpple: "Verrat verjährt nicht. Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land." Veröffentlicht bei Hoffmann und Campe, 320 Seiten zum Preis von 19 Euro und 95 Cent.
"Der oberste Grundsatz war immer, die Akten zum Sprechen zu bringen. Ein großer Teil der Angesprochenen hat natürlich verständnislos reagiert bis aggressiv, einige davon haben sofort mit dem Anwalt gedroht, dieses dann auch gemacht, sodass dadurch schon eine Auswahl getroffen war, im Kern übriggeblieben sind die Menschen, die bereit waren, diesen Schritt zu unternehmen. Interessant ist, dass es auch zwischen Geschlechtern Unterschiede gibt, Frauen waren dann sehr viel offener und konsequenter auch in der Öffnung. Ich mache mir aber keine Illusionen, ich habe festgestellt, dass mir meine Helden wichtiger waren als ich ihnen. Es gab nur in ein oder zwei Fällen immer eine Rückmeldung, das heißt, immer ich musste mich melden, immer ich musste hinterher sein. Aber das liegt natürlich auch in der Sache begründet, wer redet schon gerne über Verrat."
Die große Mehrheit der IM versteckt sich bis heute, die Spitzel von einst wahren die Konspiration - ganz so, wie ihre Führungsoffiziere es ihnen einst abverlangten. Mit jedem Jahr, das seit dem Untergang des Mielke-Imperiums ins wiedervereinigte Land geht, wird ihre Sicherheit, nie entdeckt zu werden, größer. Aber: Verrat verjährt nicht. Dass Christhard Läpple seinen Band unter dieser Überschrift publiziert, führt in die Irre. Der Titel klingt wie eine Drohung, verheißt Strafe und juristische Verfolgung. Doch Läpple richtet nicht. Vielmehr möchte er den IMs ihre Geschichte abnehmen, sie ihre Biographie und ihre Verbindung zur Staatssicherheit selbst erklären lassen. So illustriert er die jüngere Zeitgeschichte, ergänzt die klassische akademische Geschichtsschreibung, die sich häufig mit der Erforschung der Strukturen der Diktatur, mit Aktenfunden und Statistiken zufriedengibt. Läpple stellt die Frage nach individuellen Motiven für die einstige Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst.
"Ich glaube, dass es so eine Art Verstaatlichung des Gewissens in der DDR gab. Man fühlte sich in einer Abwehrsituation, man fühlte sich vom Westen bedroht, das war die offizielle staatliche Doktrin, sodass jeder Bürger ja zur Wachsamkeit aufgerufen war. Sodass es eigentlich erstmal nichts schlimmes war, sich als Informant zur Verfügung zu stellen. Das heißt, man konnte somit eine individuelle Verantwortung an den Staat abgeben. Deswegen brauchen wir im Umkehrschluss wieder eine Privatisierung des Gewissens."
Unbeabsichtigt erreicht der sensibel auf seine Gesprächspartner eingehende Autor mit den allesamt autorisierten Geschichten dreierlei: Zum einen kratzt er am Mythos vom MfS als dem perfekten Geheimdienst, der erfolgreich die feindlich-negativen Kräfte unter den Bürgern der DDR in Schach hielt und Sand ins Getriebe der imperialistischen Bundesrepublik streute. Zum zweiten stellt der Autor den schöngefärbten und angeberischen Täterbiografien, die auf den Buchmarkt drängen, Geschichten aus dem Innern der Stasi entgegen, er zeigt Erbärmlichkeit und Perfidie der Arbeit der ach so gloriosen Geheimdienstler. Und drittens löst der Zuhörer Läpple eine psychologische Blockade: Bei dem einen oder anderen seiner Gesprächspartner spürt er Erleichterung, die Befreiung von einer bedrückenden Last - ohne dass sich der Autor in seinen Geschichten über den "Meisterspion", über die "Rebellin" oder auch die "Idealistin" jemals zum Seelsorger oder Psychologen aufspielen würde. Doch lassen ihn andererseits die Erzählungen der Spitzel von einst auch nicht unberührt, gesteht Läpple und nennt als Beispiel für Empathie die traurige Geschichte von Bruder und Schwester - Hans mit SED-Karriere, Helene in den Westen geflohen.
"Als ich die Beiden kennengelernt habe vor drei, vier Jahren, gab es, man kann es so sagen, kalten Krieg, es gab keinerlei Kommunikation. Sie wusste von ihm, dass er als Informant der Staatssicherheit sie jahrelang bespitzelt hatte, er fühlte sich wiederum von ihr bedroht, weil er der Meinung war, dass sie ihn nach der Wende angezeigt habe. Die Gespräche haben zumindest eine Annäherung der Beiden ermöglicht, die ich dann eingeleitet hatte, man hat über mich sozusagen stille Post gespielt. Und am Ende kam ein sehr tragischer Punkt noch hinzu, der Bruder ist durch eine sehr schwere Krankheit gezeichnet worden und jetzt gibt es wieder Kontakte zwischen den Beiden, das heißt, das Schicksal fügt sie vielleicht doch wieder zusammen."
Läpple kokettiert nicht damit, dass er Privates und Spionagegeschichten enthüllt. Vor allem respektiert er in den in kleine Kapitel gegliederten Nacherzählungen seine Protagonisten - womit er die oft verletzte oberste Bürgerpflicht im Umgang zwischen Ost und West beherzigt. Seine Hauptpersonen sind weder Monster noch Unschuldige, aber auch der Westmensch tritt weder als Richter, noch als Sieger der Geschichte auf. Vielmehr akzeptiert er sein jeweiliges Gegenüber - gleich ob es der machtbewusste Kunstprofessor oder die inzwischen desillusionierte Ex-Agentin sind - sie verdienen gehört zu werden.
"Da sind zwei Ebenen: Das eine ist der persönliche Bereich, was in Familien passiert ist und durch die Aktenöffnung entdeckt wird, es gibt ja über zweieinhalb Millionen Menschen, die jetzt privat in ihre Akte geschaut haben, das muss auch familiär gelöst werden, das ist ein Thema für Familiengespräche, für Küchentische und für Wohnzimmergespräche. Das andere ist der politische Verrat, der gewollt, und gefördert und gefordert war. Und da gibt es aus meiner Sicht dringend Bedarf. Ich glaube, dass wir nicht mehr so weitermachen können, wie in den letzten Jahren. Es gibt ein Ritual von Angriff und Abwehr, von Aggressivität auch. Und in der Regel ödet es die meisten an. Wir brauchen eine zweite Öffnung. Denn ich habe festgestellt, dass die Akten zwar offen sind, aber die Menschen, die darin vorkommen, verschlossen."
Christhard Läpple schreibt, dass das Gift des MfS, die Lügen und Denunziationen weiterwirken und er versucht, der infizierten Gesellschaft in Ost und West ein Gegengift zu verabreichen: das der Offenlegung von Akten und Lebensgeschichten.
"Das kann nur funktionieren, wenn die Menschen bereit sind zu reden. Ich glaube, wir haben einen sehr günstigen Zeitpunkt. Am 2. Oktober 2010 verjährt der Landesverrat, das heißt, das ist eigentlich eine Stufe, bis dahin man sich entscheiden kann. Wir brauchen die Öffnung deshalb, weil sonst die Macht des Geheimdienstes und vor allem auch der Staatssicherheit einfach weitergeht, dann ist die Macht ungebrochen."
Schon zu DDR-Zeiten fürchtete das Ministerium für Staatssicherheit nichts so sehr wie offene Worte, also die Dekonspiration: Wer sich offenbarte, hatte über die Stasi gesiegt, der musste fallen gelassen werden, war nicht länger tauglich für den Einsatz an der "unsichtbaren Front". Wollen wir heute eine wirkliche Entmachtung der Staatssicherheit, so hilft allein das Gespräch. Anders werden wir weder die Hybris der Täter entlarven, noch die Verletzungen der Opfer heilen.
Jacqueline Boysen über Christhard Läpple: "Verrat verjährt nicht. Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land." Veröffentlicht bei Hoffmann und Campe, 320 Seiten zum Preis von 19 Euro und 95 Cent.