Die größte britische Boulevardzeitung ist verschwunden, Manager von Rupert Murdochs britischem Verlagsimperium haben abgedankt. Der alte Rupert selbst musste sich seinen Kritikern stellen. Eine riesige Medienfusion ist geplatzt, die beiden wichtigsten Polizeioffiziere Londons sind zurückgetreten: Das sind die vorläufigen, handfesten Konsequenzen der britischen Abhör- und Korruptionsaffäre.
"There is a firestorm, if you like, that is engulfing parts of the media, parts of the police, and, indeed, our political system's ability to respond."
Premierminister David Cameron spricht von einem Feuersturm, der Teile der Medien, der Polizei und des politischen Systems erfasst habe. - Nüchtern fasst der Labourabgeordnete Keith Vaz, der Vorsitzende des Innen-Ausschusses des Unterhauses, die Ergebnisse seiner Anhörungen zusammen:
"The Home Affairs Select Committee published a unanimous report which pointed out the fact that we believe there were serious misjudgments in the police investigation, as well as that News International had deliberately thwarted the police investigation."
Die Untersuchungen der Polizei seien von ernsthaften Fehlurteilen geprägt, und der britische Arm des Medienkonglomerates von Rupert Murdoch habe diese Untersuchungen sabotiert. - Der Labourabgeordnete Jim Sheridan fragt den 80-jährigen Medienzaren Murdoch, weshalb er denn unmittelbar nach der Wahl von David Cameron dessen neuen Amtssitz an der Downing Street Number 10 durch die Hintertür betreten habe?
"Because I was asked to. - You were asked to go in the backdoor of number 10? - Yes."
Weil er darum gebeten worden sei, antwortet Rupert brav und fügt hinzu:
"I had been asked also by Mr Brown, many times. - Through the back door? - Yes." (leises Gelächter).
Auch Camerons Vorgänger, Gordon Brown von der Labourpartei, habe ihn oft darum gebeten, die Hintertür zu benutzen. - Soweit also die Aufnahme des Tatbestandes: Die britische Politik ist kompromittiert, die Polizei korrupt, und der dominante Medienkonzern des Königreichs zieht im Hintergrund an den Marionettenfäden.
Es begann mit Prinz Williams Knie. Ende 2005 druckte die größte Boulevardzeitung des Landes, die sonntäglich erscheinenden "News of the World", eine belanglose Geschichte über eine Knieverletzung des Prinzen ab. Höflinge erkannten schon bald, dass diese Informationen nur von den Anrufbeantwortern von Mobiltelefonen des Hofes stammen konnten. 2007 wurden daraufhin der Hofberichterstatter des Blattes, Clive Goodman und der fürstlich besoldete Tüftler Glen Mulcaire zu kurzen Haftstrafen verurteilt. Im Zuge ihrer Ermittlungen hatte die Polizei das gesamte Archiv des Privatdetektivs Mulcaire beschlagnahmt. In diesen 11.000 Seiten waren das Ausmaß und die Systematik des Lauschangriffs auf Prominente und Politiker enthalten, aber die Polizei sichtete das Material nie gründlich. Der britische Presseverlag Murdochs, "News International", führte 2007 eigene Ermittlungen durch und übergab rund zweieinhalbtausend E-Mails einem Anwaltsbüro. Heute ist bekannt, dass ein routinierter Staatsanwalt nur etwa fünf Minuten brauchte, um in dieser Dokumentation eine Fülle von kriminellen Straftaten zu finden. Doch der Konzern und die Anwälte schwiegen. 2008 zahlte "News International" sechsstellige Schweigegelder an einen Funktionär des Fußballerverbandes und einen Medienberater, um Prozesse wegen illegaler Abhörpraktiken zu vermeiden. Trotzdem beharrte der Verlag darauf, der verurteilte Hofberichterstatter und sein technischer Helfer hätten auf eigene Faust gehandelt - ohne Wissen ihrer Vorgesetzten. Und die Polizei verteidigte diese Lesart willfährig - wider besseres Wissen, muss man unterstellen.
Als der inzwischen zurückgetretene Paul Stephenson im Januar 2009 an die Spitze der Metropolitan Police, der Londoner Polizei, trat, sah er keinen Handlungsbedarf:
"I never, for one moment, asked a question about phone hacking. I had no reason to suspect it wasn't a successful operation, I had no reason to think it wasn't finished."
Er habe sich nie nach dem Stand der Abhöraffäre erkundigt, weil er annehmen durfte, da sei alles in bester Ordnung und abgeschlossen.
"Don't forget: I heard senior "News International" people say that this was a tiny few. They said nobody senior was aware of this."
Die Führungsetage des Verlags habe behauptet, es handle sich nur um ein paar wenige Übeltäter, und deren Vorgesetzte hätten nichts davon gewusst. Die linksliberale Tageszeitung "The Guardian", deren Verdienste bei der Offenlegung dieser Affäre inzwischen allgemein anerkannt werden, fuhr tapfer fort, neue Einzelheiten zu enthüllen. Im Gefolge der hohen Entschädigungszahlungen von News International an vereinzelte Abhöropfer zeichnete sich das Ausmaß des Lauschangriffs ab. Doch der neue Polizeichef nahm dies nicht etwa zum Anlass die ganze Sache neu zu überdenken, sondern schimpfte mit den Redakteuren des "Guardian":
"What I can tell you: In going to the Guardian, I wanted to have an exchange with them, I wanted to understand what they were saying, I wanted to say "I am receiving these assurances, I don't understand why you don't accept these assurances”".
Er habe bloß herausfinden wollen, weshalb die Zeitung die Unschuldsbeteuerungen des Verlagskonzerns nicht glaube. - Ein führender Offizier von Scotland Yard, John Yates, studierte die Akten der früheren Polizeiuntersuchung gerade mal acht Stunden lang, um erneut zu dem Schluss zu kommen, es gebe keinen Handlungsbedarf. Anschließend, im Herbst 2009, stellten Yates und Stephenson einen Medienberater ein.
Ihre Wahl fiel ausgerechnet auf einen führenden Journalisten der "News of the World", Neil Wallis. Der hatte 2005, als Williams Knie in die Schlagzeilen geriet, als stellvertretender Chefredakteur gedient, unter Andy Coulson, der in der Zwischenzeit zum Kommunikationschef des damaligen Oppositionsführers, David Cameron, aufgerückt war. So saßen Murdochs Männer überall gleich eine Handbreit von der Macht entfernt. Dass dieser Wallis, der polizeiliche Medienberater mit einem Tageslohn von tausend Pfund, gerade auch noch ein Kurhotel beriet, das dem Polizeichef kostenlos einen fünfwöchigen Aufenthalt schenkte, brachte dann am letzten Sonntag das Fass zum Überlaufen:
""Sir Paul Stephenson resigns as Metropolitan Police Commissioner over the phone hacking scandal…"
Stephenson nahm seinen Hut wegen der Verbandelung hoher Polizeioffiziere mit Murdochs Verlagshaus und weil Neil Wallis nun verhaftet worden sei.
"I've taken this decision as a consequence of the ongoing speculation and accusations relating to the Met's links with News International at a senior level, and in particular in relation to Mr Neil Wallis who, as you know, was arrested in connection with operation Wheeting, last week."
Tags darauf folgte ihm sein Kollege John Yates.
"The Metropolitan Police Force has lost another of its most senior police officers because of the ongoing phone hacking scandal. Assistant Commissioner John Yates has stepped down ... "
Ein weiterer führender Polizeioffizier sei über die Abhöraffäre gestrauchelt. Allein, Yates beharrte trotzig darauf, er habe ein reines Gewissen. Aber leider würden immer wieder falsche und bösartige Gerüchte über ihn veröffentlicht.
Der konservative Bürgermeister von London, Boris Johnson, sprach ominös von einem Nexus zwischen der Polizei und dem Verlagshaus. Diese Fragen seien den Vorbereitungen für die Olympischen Spiele in London hinderlich.
Ken Livingston, der frühere Bürgermeister, nahm den abgetretenen Polizeichef in Schutz:
"He relied on dishonest coppers who deceived him, and therefore, his resignation is just the first of several, I suspect."
Er habe sich auf verlogene Polizisten verlassen, die ihn täuschten. Es werde weitere Rücktritte geben. Und so wurde allmählich das ominöse Wort Korruption im selben Satz wie Polizei verwendet. Innenministerin Theresa May sprach unlängst im Unterhaus von Korruption und Vetternwirtschaft bei der Polizei. Der amtierende Bürgermeister, Johnson, erinnerte sich an ein Gespräch mit Polizeichef Stephenson:
"This was the dog that hadn't barked. I said: What about corruption?..."
Das war der Hund, bemerkte Johnson in Anlehnung an Sherlock Holmes, der niemals bellte. Haben wir ein Korruptionsproblem? Habe er den Polizeichef gefragt. Der Polizeichef winkte damals ab. Falls es ein Problem gebe, dann sei es winzig. - Die Bestechlichkeit der Londoner Polizei ist noch nicht schlüssig nachgewiesen, aber höchst plausibel. Bisher beschuldigt niemand die zurückgetretenen Offiziere persönlich. Das Krebsgeschwür wuchert wohl weiter unten in der Pyramide: Britische Boulevardjournalisten bezahlten routinemäßig Polizeibeamte für saftige Einzelheiten aus laufenden Untersuchungen. Aus diesen Abhängigkeiten und Befangenheiten erwuchs ein Muster. - Bei der Schilderung der kleinen Götterdämmerung bei Scotland Yard sind wir indessen den Ereignissen vorausgeeilt. Gehen wir zurück ins vergangene Jahr. Im September veröffentlichte die New York Times eine umfangreiche Recherche über den Abhörskandal. Darin wurden erstmals namentlich Zeugen genannt, die behaupteten, Premierminister Camerons Sprecher, Andy Coulson, habe als Chefredakteur der "News of the World" den Lauschangriff förmlich dirigiert. Etwa gleichzeitig häuften sich die Zivilklagen mutmaßlicher Abhöropfer gegen die Zeitung. Die Kläger zwangen die Polizei, lange vertuschtes Beweismaterial an die Gerichte weiterzugeben. Selbst der Murdoch-Verlag News International ging noch einmal über die Bücher und entdeckte wundersamerweise die belastenden E-Mails bei seinen Anwälten. Schritt um Schritt kapitulierte der Verlag vor den Zivilklägern, in der Hoffnung, mit außergerichtlichen Entschädigungen die Diskretion wahren zu können. Vermutlich hätte das sogar erneut funktioniert, wären da nicht vor drei Wochen höchst unappetitliche Einzelheiten zum Vorschein gekommen: Schon 2002, als die temperamentvolle Rebekah Brooks die Geschicke der "News of the World" leitete, war das Mobiltelefon eines verschwundenen Mädchens abgehört worden. Die 13-jährige Millie Dowler war schon ermordet, als die Tüftler der "News of the World" nicht bloß ihre Combox abhörten, sondern das Gehörte löschten, um für weiteres Material Platz zu schaffen. Die Angehörigen des Mädchens schlossen daraus irrtümlich, das Kind lebe noch. Nun war der Skandal plötzlich nicht mehr zu vertuschen. Unter der Maske des harmlosen Klatschjournalismus offenbarte sich eine kriminelle, menschenverachtende Fratze. Das reinigende Gewitter nahm seinen Lauf.
"We did spend too much time, frankly, trying to get on with media companies, to get our message across, and as a result, we put on the backburner the issues on how to regulate the media."
Premierminister Cameron räumte ein, britische Regierungen hätten sich derart darauf konzentriert, die Medien zu umschmeicheln, dass darüber die Aufsicht über die Presse auf der Strecke blieb. - Nach den Rücktritten an der Spitze der Polizei und dem Abgang der inzwischen zur Verlagsleiterin aufgestiegenen Rebekah Brooks bündelte sich die Aufmerksamkeit auf den Premierminister persönlich, wie Oppositionsführer Ed Milliband ominös feststellte.
"So, we are beginning to see answers given and responsibility taken. And that is right. But the Prime Minister knows that he must do the same if the country is to move forward." (Protestgeheul)
Auch Cameron müsse sich seiner Verantwortung stellen - worauf die konservative Fraktion empört protestierte. Allein, Camerons Befangenheit ließ sich nicht durch forsche Zugeständnisse beseitigen. Er hatte engsten geselligen Umgang mit Rebekah Brooks und den Murdochs gepflegt. Und er hatte an seinem Kommunikationschef Andy Coulson trotz zahlreicher Warnungen festgehalten.
Wenn Coulson tatsächlich über die Abhörpraktiken seiner Zeitung Bescheid wusste, dann hätte er nicht bloß Cameron belogen, sondern zahlreiche andere Behörden auch, und er hätte vor Gericht einen Meineid geschworen. - Dann, so versprach Cameron, wolle er sich entschuldigen. So bleibt Coulson, der im letzten Januar schon den Regierungsdienst verließ, ein Mühlstein um Camerons Hals, wie sein Gegner Milliband von der Labourpartei gerne unterstreicht.
Es gehe hier nicht um Inkompetenz, sondern um den kalkulierten Versuch, die Augen vor Coulsons Vergehen zu verschließen. - Millibands Spielraum bleibt indessen beschränkt, denn die Labour-Regierungen von Tony Blair und Gordon Brown hatten den Murdoch-Konzern ja mindestens ebenso innig umarmt. Der Abhörskandal wirkte trotzdem befreiend: die Politiker streiften ihre Fesseln beglückt ab und zwangen Murdoch sein Übernahme-Angebot für den lukrativen Privatsender BSkyB zurückzuziehen. In den Vereinigten Staaten begann das FBI eine Untersuchung, ob britische Boulevardzeitungen auch amerikanische Telefone abgehört hatten. Sollte sich überdies herausstellen, dass News International Londoner Polizeibeamte bestach, wäre das auch ein amerikanisches Delikt. Und schließlich laufen auch in Australien entsprechende Ermittlungen. Der einst allmächtige Rupert Murdoch wirkte konfus und verloren, als er schließlich vor dem Kulturausschuss des Unterhauses aussagen musste:
So demütig habe er sich noch nie in seinem Leben gefühlt. - Der Anlass war schon dramatisch genug - es hätte des Versuchs eines jungen Komödianten nicht bedurft, dem alten Pressezaren einen Teller Rasierschaum anzuwerfen.
Rupert blieb ungerührt. Es ging ja nicht um seine physische Sicherheit, sondern um sein Lebenswerk. Der Labour-Abgeordnete Tom Watson stellte die Gretchenfrage und erntete eine lange Pause.
Wann er denn herausgefunden habe, dass kriminelles Verhalten bei den "News of the World” gewohnheitsmäßig und systematisch verwurzelt, also endemisch sei? Worauf der Alte nur sagen konnte, endemisch sei ein hartes Wort. - So ist in diesem Juli eine parallele Regierung im Vereinigten Königreich entmachtet worden. Boulevard-Journalisten hatten unter dem enormen Konkurrenzdruck ihre Seelen verkauft, Polizisten ihre Ehre und ihr Urteilsvermögen, während Politiker um die Gunst der Medienfürsten buhlten, und darob das Gemeinwohl vernachlässigten. Das Schlusswort geht an den angeschlagenen James Murdoch, Sohn des Verlagsgründers und lange Zeit oberster Verantwortlicher der britischen Firmen. Ihm wurde seit der Anhörung vor dem Parlamentsausschuss vorgeworfen, dort die Unwahrheit gesagt zu haben. Er habe, so behaupten seine ehemaligen Untergebenen, spätestens im Jahre 2008 gewusst, dass der Lauschangriff systematisch war:
"We do need to think, I think, as well as a business as an industry, in this country more forcefully and more thoughtfully about our journalistic ethics. "
Als Firma und als Branche müssten sie ernsthafter über journalistische Ethik nachdenken. - Es dürfte allerdings noch eine ganze Weile dauern, bis ein Murdoch mit der Ausarbeitung moralischer Richtlinien betraut wird.
"There is a firestorm, if you like, that is engulfing parts of the media, parts of the police, and, indeed, our political system's ability to respond."
Premierminister David Cameron spricht von einem Feuersturm, der Teile der Medien, der Polizei und des politischen Systems erfasst habe. - Nüchtern fasst der Labourabgeordnete Keith Vaz, der Vorsitzende des Innen-Ausschusses des Unterhauses, die Ergebnisse seiner Anhörungen zusammen:
"The Home Affairs Select Committee published a unanimous report which pointed out the fact that we believe there were serious misjudgments in the police investigation, as well as that News International had deliberately thwarted the police investigation."
Die Untersuchungen der Polizei seien von ernsthaften Fehlurteilen geprägt, und der britische Arm des Medienkonglomerates von Rupert Murdoch habe diese Untersuchungen sabotiert. - Der Labourabgeordnete Jim Sheridan fragt den 80-jährigen Medienzaren Murdoch, weshalb er denn unmittelbar nach der Wahl von David Cameron dessen neuen Amtssitz an der Downing Street Number 10 durch die Hintertür betreten habe?
"Because I was asked to. - You were asked to go in the backdoor of number 10? - Yes."
Weil er darum gebeten worden sei, antwortet Rupert brav und fügt hinzu:
"I had been asked also by Mr Brown, many times. - Through the back door? - Yes." (leises Gelächter).
Auch Camerons Vorgänger, Gordon Brown von der Labourpartei, habe ihn oft darum gebeten, die Hintertür zu benutzen. - Soweit also die Aufnahme des Tatbestandes: Die britische Politik ist kompromittiert, die Polizei korrupt, und der dominante Medienkonzern des Königreichs zieht im Hintergrund an den Marionettenfäden.
Es begann mit Prinz Williams Knie. Ende 2005 druckte die größte Boulevardzeitung des Landes, die sonntäglich erscheinenden "News of the World", eine belanglose Geschichte über eine Knieverletzung des Prinzen ab. Höflinge erkannten schon bald, dass diese Informationen nur von den Anrufbeantwortern von Mobiltelefonen des Hofes stammen konnten. 2007 wurden daraufhin der Hofberichterstatter des Blattes, Clive Goodman und der fürstlich besoldete Tüftler Glen Mulcaire zu kurzen Haftstrafen verurteilt. Im Zuge ihrer Ermittlungen hatte die Polizei das gesamte Archiv des Privatdetektivs Mulcaire beschlagnahmt. In diesen 11.000 Seiten waren das Ausmaß und die Systematik des Lauschangriffs auf Prominente und Politiker enthalten, aber die Polizei sichtete das Material nie gründlich. Der britische Presseverlag Murdochs, "News International", führte 2007 eigene Ermittlungen durch und übergab rund zweieinhalbtausend E-Mails einem Anwaltsbüro. Heute ist bekannt, dass ein routinierter Staatsanwalt nur etwa fünf Minuten brauchte, um in dieser Dokumentation eine Fülle von kriminellen Straftaten zu finden. Doch der Konzern und die Anwälte schwiegen. 2008 zahlte "News International" sechsstellige Schweigegelder an einen Funktionär des Fußballerverbandes und einen Medienberater, um Prozesse wegen illegaler Abhörpraktiken zu vermeiden. Trotzdem beharrte der Verlag darauf, der verurteilte Hofberichterstatter und sein technischer Helfer hätten auf eigene Faust gehandelt - ohne Wissen ihrer Vorgesetzten. Und die Polizei verteidigte diese Lesart willfährig - wider besseres Wissen, muss man unterstellen.
Als der inzwischen zurückgetretene Paul Stephenson im Januar 2009 an die Spitze der Metropolitan Police, der Londoner Polizei, trat, sah er keinen Handlungsbedarf:
"I never, for one moment, asked a question about phone hacking. I had no reason to suspect it wasn't a successful operation, I had no reason to think it wasn't finished."
Er habe sich nie nach dem Stand der Abhöraffäre erkundigt, weil er annehmen durfte, da sei alles in bester Ordnung und abgeschlossen.
"Don't forget: I heard senior "News International" people say that this was a tiny few. They said nobody senior was aware of this."
Die Führungsetage des Verlags habe behauptet, es handle sich nur um ein paar wenige Übeltäter, und deren Vorgesetzte hätten nichts davon gewusst. Die linksliberale Tageszeitung "The Guardian", deren Verdienste bei der Offenlegung dieser Affäre inzwischen allgemein anerkannt werden, fuhr tapfer fort, neue Einzelheiten zu enthüllen. Im Gefolge der hohen Entschädigungszahlungen von News International an vereinzelte Abhöropfer zeichnete sich das Ausmaß des Lauschangriffs ab. Doch der neue Polizeichef nahm dies nicht etwa zum Anlass die ganze Sache neu zu überdenken, sondern schimpfte mit den Redakteuren des "Guardian":
"What I can tell you: In going to the Guardian, I wanted to have an exchange with them, I wanted to understand what they were saying, I wanted to say "I am receiving these assurances, I don't understand why you don't accept these assurances”".
Er habe bloß herausfinden wollen, weshalb die Zeitung die Unschuldsbeteuerungen des Verlagskonzerns nicht glaube. - Ein führender Offizier von Scotland Yard, John Yates, studierte die Akten der früheren Polizeiuntersuchung gerade mal acht Stunden lang, um erneut zu dem Schluss zu kommen, es gebe keinen Handlungsbedarf. Anschließend, im Herbst 2009, stellten Yates und Stephenson einen Medienberater ein.
Ihre Wahl fiel ausgerechnet auf einen führenden Journalisten der "News of the World", Neil Wallis. Der hatte 2005, als Williams Knie in die Schlagzeilen geriet, als stellvertretender Chefredakteur gedient, unter Andy Coulson, der in der Zwischenzeit zum Kommunikationschef des damaligen Oppositionsführers, David Cameron, aufgerückt war. So saßen Murdochs Männer überall gleich eine Handbreit von der Macht entfernt. Dass dieser Wallis, der polizeiliche Medienberater mit einem Tageslohn von tausend Pfund, gerade auch noch ein Kurhotel beriet, das dem Polizeichef kostenlos einen fünfwöchigen Aufenthalt schenkte, brachte dann am letzten Sonntag das Fass zum Überlaufen:
""Sir Paul Stephenson resigns as Metropolitan Police Commissioner over the phone hacking scandal…"
Stephenson nahm seinen Hut wegen der Verbandelung hoher Polizeioffiziere mit Murdochs Verlagshaus und weil Neil Wallis nun verhaftet worden sei.
"I've taken this decision as a consequence of the ongoing speculation and accusations relating to the Met's links with News International at a senior level, and in particular in relation to Mr Neil Wallis who, as you know, was arrested in connection with operation Wheeting, last week."
Tags darauf folgte ihm sein Kollege John Yates.
"The Metropolitan Police Force has lost another of its most senior police officers because of the ongoing phone hacking scandal. Assistant Commissioner John Yates has stepped down ... "
Ein weiterer führender Polizeioffizier sei über die Abhöraffäre gestrauchelt. Allein, Yates beharrte trotzig darauf, er habe ein reines Gewissen. Aber leider würden immer wieder falsche und bösartige Gerüchte über ihn veröffentlicht.
Der konservative Bürgermeister von London, Boris Johnson, sprach ominös von einem Nexus zwischen der Polizei und dem Verlagshaus. Diese Fragen seien den Vorbereitungen für die Olympischen Spiele in London hinderlich.
Ken Livingston, der frühere Bürgermeister, nahm den abgetretenen Polizeichef in Schutz:
"He relied on dishonest coppers who deceived him, and therefore, his resignation is just the first of several, I suspect."
Er habe sich auf verlogene Polizisten verlassen, die ihn täuschten. Es werde weitere Rücktritte geben. Und so wurde allmählich das ominöse Wort Korruption im selben Satz wie Polizei verwendet. Innenministerin Theresa May sprach unlängst im Unterhaus von Korruption und Vetternwirtschaft bei der Polizei. Der amtierende Bürgermeister, Johnson, erinnerte sich an ein Gespräch mit Polizeichef Stephenson:
"This was the dog that hadn't barked. I said: What about corruption?..."
Das war der Hund, bemerkte Johnson in Anlehnung an Sherlock Holmes, der niemals bellte. Haben wir ein Korruptionsproblem? Habe er den Polizeichef gefragt. Der Polizeichef winkte damals ab. Falls es ein Problem gebe, dann sei es winzig. - Die Bestechlichkeit der Londoner Polizei ist noch nicht schlüssig nachgewiesen, aber höchst plausibel. Bisher beschuldigt niemand die zurückgetretenen Offiziere persönlich. Das Krebsgeschwür wuchert wohl weiter unten in der Pyramide: Britische Boulevardjournalisten bezahlten routinemäßig Polizeibeamte für saftige Einzelheiten aus laufenden Untersuchungen. Aus diesen Abhängigkeiten und Befangenheiten erwuchs ein Muster. - Bei der Schilderung der kleinen Götterdämmerung bei Scotland Yard sind wir indessen den Ereignissen vorausgeeilt. Gehen wir zurück ins vergangene Jahr. Im September veröffentlichte die New York Times eine umfangreiche Recherche über den Abhörskandal. Darin wurden erstmals namentlich Zeugen genannt, die behaupteten, Premierminister Camerons Sprecher, Andy Coulson, habe als Chefredakteur der "News of the World" den Lauschangriff förmlich dirigiert. Etwa gleichzeitig häuften sich die Zivilklagen mutmaßlicher Abhöropfer gegen die Zeitung. Die Kläger zwangen die Polizei, lange vertuschtes Beweismaterial an die Gerichte weiterzugeben. Selbst der Murdoch-Verlag News International ging noch einmal über die Bücher und entdeckte wundersamerweise die belastenden E-Mails bei seinen Anwälten. Schritt um Schritt kapitulierte der Verlag vor den Zivilklägern, in der Hoffnung, mit außergerichtlichen Entschädigungen die Diskretion wahren zu können. Vermutlich hätte das sogar erneut funktioniert, wären da nicht vor drei Wochen höchst unappetitliche Einzelheiten zum Vorschein gekommen: Schon 2002, als die temperamentvolle Rebekah Brooks die Geschicke der "News of the World" leitete, war das Mobiltelefon eines verschwundenen Mädchens abgehört worden. Die 13-jährige Millie Dowler war schon ermordet, als die Tüftler der "News of the World" nicht bloß ihre Combox abhörten, sondern das Gehörte löschten, um für weiteres Material Platz zu schaffen. Die Angehörigen des Mädchens schlossen daraus irrtümlich, das Kind lebe noch. Nun war der Skandal plötzlich nicht mehr zu vertuschen. Unter der Maske des harmlosen Klatschjournalismus offenbarte sich eine kriminelle, menschenverachtende Fratze. Das reinigende Gewitter nahm seinen Lauf.
"We did spend too much time, frankly, trying to get on with media companies, to get our message across, and as a result, we put on the backburner the issues on how to regulate the media."
Premierminister Cameron räumte ein, britische Regierungen hätten sich derart darauf konzentriert, die Medien zu umschmeicheln, dass darüber die Aufsicht über die Presse auf der Strecke blieb. - Nach den Rücktritten an der Spitze der Polizei und dem Abgang der inzwischen zur Verlagsleiterin aufgestiegenen Rebekah Brooks bündelte sich die Aufmerksamkeit auf den Premierminister persönlich, wie Oppositionsführer Ed Milliband ominös feststellte.
"So, we are beginning to see answers given and responsibility taken. And that is right. But the Prime Minister knows that he must do the same if the country is to move forward." (Protestgeheul)
Auch Cameron müsse sich seiner Verantwortung stellen - worauf die konservative Fraktion empört protestierte. Allein, Camerons Befangenheit ließ sich nicht durch forsche Zugeständnisse beseitigen. Er hatte engsten geselligen Umgang mit Rebekah Brooks und den Murdochs gepflegt. Und er hatte an seinem Kommunikationschef Andy Coulson trotz zahlreicher Warnungen festgehalten.
Wenn Coulson tatsächlich über die Abhörpraktiken seiner Zeitung Bescheid wusste, dann hätte er nicht bloß Cameron belogen, sondern zahlreiche andere Behörden auch, und er hätte vor Gericht einen Meineid geschworen. - Dann, so versprach Cameron, wolle er sich entschuldigen. So bleibt Coulson, der im letzten Januar schon den Regierungsdienst verließ, ein Mühlstein um Camerons Hals, wie sein Gegner Milliband von der Labourpartei gerne unterstreicht.
Es gehe hier nicht um Inkompetenz, sondern um den kalkulierten Versuch, die Augen vor Coulsons Vergehen zu verschließen. - Millibands Spielraum bleibt indessen beschränkt, denn die Labour-Regierungen von Tony Blair und Gordon Brown hatten den Murdoch-Konzern ja mindestens ebenso innig umarmt. Der Abhörskandal wirkte trotzdem befreiend: die Politiker streiften ihre Fesseln beglückt ab und zwangen Murdoch sein Übernahme-Angebot für den lukrativen Privatsender BSkyB zurückzuziehen. In den Vereinigten Staaten begann das FBI eine Untersuchung, ob britische Boulevardzeitungen auch amerikanische Telefone abgehört hatten. Sollte sich überdies herausstellen, dass News International Londoner Polizeibeamte bestach, wäre das auch ein amerikanisches Delikt. Und schließlich laufen auch in Australien entsprechende Ermittlungen. Der einst allmächtige Rupert Murdoch wirkte konfus und verloren, als er schließlich vor dem Kulturausschuss des Unterhauses aussagen musste:
So demütig habe er sich noch nie in seinem Leben gefühlt. - Der Anlass war schon dramatisch genug - es hätte des Versuchs eines jungen Komödianten nicht bedurft, dem alten Pressezaren einen Teller Rasierschaum anzuwerfen.
Rupert blieb ungerührt. Es ging ja nicht um seine physische Sicherheit, sondern um sein Lebenswerk. Der Labour-Abgeordnete Tom Watson stellte die Gretchenfrage und erntete eine lange Pause.
Wann er denn herausgefunden habe, dass kriminelles Verhalten bei den "News of the World” gewohnheitsmäßig und systematisch verwurzelt, also endemisch sei? Worauf der Alte nur sagen konnte, endemisch sei ein hartes Wort. - So ist in diesem Juli eine parallele Regierung im Vereinigten Königreich entmachtet worden. Boulevard-Journalisten hatten unter dem enormen Konkurrenzdruck ihre Seelen verkauft, Polizisten ihre Ehre und ihr Urteilsvermögen, während Politiker um die Gunst der Medienfürsten buhlten, und darob das Gemeinwohl vernachlässigten. Das Schlusswort geht an den angeschlagenen James Murdoch, Sohn des Verlagsgründers und lange Zeit oberster Verantwortlicher der britischen Firmen. Ihm wurde seit der Anhörung vor dem Parlamentsausschuss vorgeworfen, dort die Unwahrheit gesagt zu haben. Er habe, so behaupten seine ehemaligen Untergebenen, spätestens im Jahre 2008 gewusst, dass der Lauschangriff systematisch war:
"We do need to think, I think, as well as a business as an industry, in this country more forcefully and more thoughtfully about our journalistic ethics. "
Als Firma und als Branche müssten sie ernsthafter über journalistische Ethik nachdenken. - Es dürfte allerdings noch eine ganze Weile dauern, bis ein Murdoch mit der Ausarbeitung moralischer Richtlinien betraut wird.