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Wer schützt die Flötistin vor dem Hornisten?

Heute ist der internationale Tag gegen den Lärm. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes sind etwas 13 Millionen Deutsche mit Geräuschpegeln belastet, die krank machen. Von der Schlafstörung bis zur Herz-Kreislauf-Erkrankung. Gegen Lärm bemüht sich die Politik auch seitens der EU vorzugehen. Mit Folgen für die Kultur.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    " Lärm ist unerwünschter Schall. Das heißt also, was für den einen erwünscht oder unerwünscht ist, kann sehr unterschiedlich sein. Tatsache ist allerdings, dass wir sagen müssen: Schall, der einen bestimmten Energieinhalt im Mittelwert überschreitet, der ist letztendlich gehörschädigend, wenn er länger oder bei ganz hohen Pegeln auch kurzfristig einwirkt. "

    Als wissenschaftlicher Direktor bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat es Patrick Kurtz in letzter Zeit nicht nur mit Bauarbeitern und deren Presslufthämmern, sondern auch mit Musikern und deren Instrumenten zu tun. Denn unter anderem ist seine Behörde für die Umsetzung der Richtlinie 2003/10/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in bundesdeutsches Recht zuständig.

    Fallen Orchestermusiker darunter? Zweifellos! Deswegen sorgt die neue Lärmschutzrichtlinie für einige Aufregung unter Symphonikern und Philharmonikern. Spätestens im nächsten Februar müssen die Bestimmungen bei uns in Kraft treten.

    Der Deutsche Bühnenverein erklärte die geplanten Grenzwerte für völlig unrealistisch. Und auch viele Musiker wehren sich dagegen, mit Arbeitern in einer Gießerei oder am Flughafen auf eine Stufe gestellt zu werden.

    " Es ist auch psychologisch eine schwierige Sache: Wenn ich zum Beispiel spiele und neben mir der hält sich die Ohren zu, muss ich mit mir kämpfen, nicht beleidigt zu sein, und andererseits muss natürlich jeder sich schützen und dann werden die kriminalisiert, die sagen, mir ist es zu laut. "

    Christiane Menke, Pikkoloflötistin beim Kölner Gürzenich-Orchester, muss sich erst allmählich daran gewöhnen, dass sie nach den in Brüssel beschlossenen arbeitsrechtlichen Kriterien eine Lärmbelastung darstellt. Selbst ihre Kollegin, die Geigerin Elisabeth Polyzoides, attestiert es ihr:

    " Wir sind ja gute Freundinnen, aber wenn ich vorm Piccolo sitz - und ich schätz die Christiane unglaublich - dann ist das wirklich manchmal jenseits der Grenze, der Belastbarkeitsgrenze. Es gibt so Plexiglasschilder, die hinterm Stuhl stehen - das nimmt ein bisschen. Also ich hab auch ein großes Problem mit dem direkten Gehörschutz. Man muss sich selbst einfach so gut hören wie möglich, weil es im Orchester sowieso schwer ist, sich persönlich rauszuhören und noch im Gruppenklang drin zu sein. Und deshalb ist es recht schwierig, mit Ohrstöpseln zu spielen. "

    Ohrstöpsel! Darauf läuft also die arbeitsmedizinische Fürsorge im Stil der Europäischen Union hinaus, dass Musiker künftig mit verstopften Ohren spielen müssen. Ein Kulturskandal? Eine Groteske? Kommen die Spielpläne unserer Konzerthäuser ins Wanken, ist unser Musikleben in Gefahr? Patrick Kurtz von der Dortmunder Bundesanstalt für Arbeitsschutz hält unbeirrt dagegen:

    " Gehörschäden zerstören den Sensor im Innenohr, da hilft auch kein Hörgerät mehr, das heißt, Sie sind dann nicht mehr in der Lage zu spielen. Und ich glaube, die meisten Musiker sind sich dessen auch sehr bewusst. "

    Da der Mensch im Gegensatz zum Schnabeltier seine Ohren nicht auf natürliche Weise verschließen kann, ist er den akustischen Ereignissen in seiner Umgebung wehrlos ausgeliefert. Jeder Knall erschreckt uns, jeder Glockenschlag weckt uns, doch neben diesen uralten Geräuschen bilden tausend neue Lärmarten die heutige Kulisse. Von hier aus ist es schwer, sich das Verhältnis vorzustellen, dass die Menschen in einer Zeit, als es noch keine allgegenwärtigen Motoren und Lautsprecher gab, zum Lärm hatten, als die Stimmen von Mensch und Tier, vom Donner abgesehen, die lautesten Alltagsvorkommnisse waren. In einer solchen Gesellschaft bestand eine gewisse Lust darin, sich sporadisch die Ohren vollzudröhnen. Auch die Musik hatte da ihren Platz.

    Inzwischen aber ist die Lust an der Lautstärke dem Schmerz gewichen. Inzwischen lässt sich Musik als bloße Sonderform von Krach beschreiben - jedenfalls unter dem Aspekt des Lärmschutzes.

    " Es geht also nicht nur um die Orchestermusiker; es geht um den gesamten Bereich des Entertainments. Dazu zählen die Diskotheken, dazu zählt die Barmusik in Kneipen, die Jazzlokale, dazu zählen die Volksmusikanten draußen in einem Park, das heißt, alle Bereiche, die mit Entertainment zu tun haben. "

    Für die klassischen Orchester bedeutet die EU-Richtlinie aber große Unsicherheit und viel Bürokratie. Lärmmessungen müssen ständig durchgeführt, abgeglichen, dokumentiert und archiviert werden. Die Bühnen müssen umgebaut und mit teuren Absorptionsschilden versehen werden. Aufführungen unterliegen künftig dem absurd anmutenden Kriterium der Lautstärke.