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Wer schwänzt, zahlt

Sie hängen lieber ab, statt die Schulbank zu drücken. Immer mehr Schüler in Berlin haben null Bock auf Unterricht. Dagegen will Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) verstärkt mit Bußgeldern vorgehen. Bezahlen sollen aber nicht die Eltern, sondern die Schüler.

Von Verena Kemna |
    "Ich hab so oft geschwänzt und war nie richtig im Unterricht, wenn ich mal da war, war ich der, der die Stunde unterbricht. Wir durften nur gehorchen, ab und zu was vorschlagen. Die Lehrer mussten ja immer das letzte Wort haben.""

    Meistens haben sogenannte schuldistanzierte Jugendliche Probleme mit den Eltern, null Bock auf Schule oder einfach nur Angst, so wie diese 13-Jährige aus Neukölln.

    "Ich bin ein, zwei Tage hingegangen und dann bin ich halt meistens nicht hingegangen. Ich wurde immer geärgert und geschlagen und der Lehrerin, der war das ganz egal."

    Etwa 700 Dauerschwänzer sind dem Schulamt bekannt. Jeder zehnte Jugendliche in Berlin Neukölln verlässt die Schule ohne Abschluss. Helfen Gespräche mit Schülern und Eltern nicht, stellt die Schule eine Versäumnisanzeige an den Bezirk. Die verantwortliche Bezirksstadträtin, Franziska Giffey (SPD):

    "Es ist ein völlig legitimer Wunsch der Gesellschaft, dass alle unsere Kinder eine Schulbildung bekommen und die Eltern haben dafür zu sorgen, dass das passiert. Natürlich machen wir Angebote. Aber es gibt Fälle, wo das nicht greift und dann muss man sich über andere Wege Gedanken machen und die sind am Geldbeutel."

    Etwa 350 Bußgeldverfahren hat der Bezirk im vergangenen Jahr eingeleitet, ein letzter Versuch, um Schüler auf die Schulbank zurückzuholen. Vier Monate vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus setzt Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) mehr denn je auf Bußgelder. Bußgelder, die nicht wie bisher die Eltern, sondern die Schüler selbst bezahlen sollen.

    "Ich schlage es vor, dass wir das prüfen. Jetzt müssen wir das auch mit den Bezirken, die das dann nachher umsetzen, besprechen. Das muss ja dann auch technokratisch funktionieren. Aber ich sage damit klar, ich würde es gerne machen."

    Von Verhältnissen wie in Neukölln ist der vornehmlich gutbürgerliche Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf weit entfernt. Die Schulen dort mussten im vergangenen Schuljahr weniger als fünfzig Schulschwänzer anzeigen. Bildungsstadtrat Reinhard Naumann (SPD) erklärt das Prozedere. Zunächst sprechen Lehrer mit Eltern und Schülern. Wenn das nicht hilft, besucht ein Sozialarbeiter die Eltern zu Hause. Nur dreimal hat der Bezirk im vergangenen Schuljahr Bußgelder von bis zu 500 Euro verhängt. Am Ende hat keine einzige Familie gezahlt.

    "Was sagt uns das? Eine soziale Situation ist mit der Hintergrund, wo sie denn dann auch mit dem Ruf nach harten Maßnahmen, nach Bußgeldern, angesichts der sozialen Lebenswirklichkeit in einzelnen Familien gar nichts bewirken. Im Zweifelsfall bewirken sie nur ein Wegtauchen in die weitere Verantwortungslosigkeit."

    Dass Jugendliche nach den Vorstellungen von Bildungssenator Zöllner auch noch selbst zahlen sollen, hält er für rechtlich fragwürdig. Sein Fazit:

    "Keine Verniedlichung von Schulschwänzen, aber den Gründen auf die Spur gehen und nicht vorschnell nach Maßnahmen rufen, die die Sache aus Sicht des Schülers im Sinne von Unverständnis, niemand versteht mich, die doofen Erwachsenen, nur noch verschlimmern können."

    Auch im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg setzt die Grünen Politikerin Monika Herrmann lieber auf Sozialarbeit als auf Bußgelder. Eine eigens eingestellte Sozialarbeiterin kontaktiert Eltern, kümmert sich um Hilfsangebote. Mit Erfolg erklärt Bildungsstadträtin Hermann. Mit Kuschelpädagogik habe das nichts zu tun.

    "Die müssen dann Anwesenheitshefte führen. Es muss nachgewiesen sein, dass die Kinder dann tatsächlich wieder zur Schule gegangen sind. Es wird bei den Eltern in regelmäßigen Abständen auch noch mal geguckt. Also wir bilden da letztendlich ein Netz drum."

    Von dem Vorschlag des Bildungssenators, dass Schüler fürs Schuleschwänzen Bußgelder zahlen, hält auch sie wenig bis gar nichts.

    "Wir machen weiter, wie wir das bisher gemacht haben und ich kann allen anderen Kolleginnen und Kollegen nur raten, auch darüber nachzudenken, Sozialpädagogen in die Schulämter reinzusetzen."

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