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Wer siegen will, muss leiden

Psychologie. - Schmerz ist bestenfalls unangenehm, schlimmstenfalls zerstörend. Ihn zu meiden, ist eine normale Strategie, denn wer fügt sich schon selbst gerne Schmerzen zu. Aber diese Regel gilt auf einmal nicht mehr, wenn es um Sport geht. Marathonläufer laufen mit schmerzverzerrtem Gesicht, Boxer schlagen sich gegenseitig k.o. und werden dafür gefeiert. Paradox – aber wie kommt es dazu?

    Von Jo Schilling

    Schmerz hat zwei Seiten. Da ist einmal der warnende Schmerz beim Zahnarzt oder bei einer Verletzung. Und es gibt die Lust am Schmerz. Diese Lust füllt Fitnessstudios, denn als Belohnung für die Qual an der Drückbank gibt es die gute Figur vor dem Spiegel. Professor Volker Caysa, Sportphilosoph der Universität Oppeln hat eine Vergangenheit als Hammerwerfer und weiß, wovon er spricht.

    Im Sport haben wir praktisch Körpertechniken entwickelt, um den alten Gegensatz von Lust und Schmerz aufzuheben. Schmerz ist im Sport eben nicht nur eine unlustvolle Grenzerfahrung, sondern auf einer niedrigstufigen Ebene haben wir Möglichkeiten, den Schmerz für uns instrumentell zu handhaben, Körperqualen zu genießen, für uns positiv aufzubauen.

    Der Sportler nimmt den Schmerz einfach nicht als Schmerz wahr, sondern als notwendiges Übel auf dem Weg zum Ziel. Das wird einfach als Training deklariert, so wie ein scharfes Gewürz auch nicht als Schmerz auf der Zunge gedeutet wird. Der Sport erlaubt sozusagen die Selbstquälerei, die in andere Bereichen des Lebens nicht erlaubt ist. Da würden die Qualen, die ein Läufer sich auferlegt, als pervers oder pathologisch gelten. Im Sport ist er dagegen ein Held. Und der Sport ist ein Reservat für Gewalt. Die ist eigentlich verpönt, gehört aber zum Homo sapiens, wie das Mäusejagen zur Katze. Also muss sie irgendwo hin und wo kann sich aufgestaute Gewalt besser entladen, als unter Aufsicht und strengen Regeln in einem sportlichen Wettkampf. Caysa:

    Boxen zielt im Kern ja darauf ab, dass sie jemanden durch K.O. verletzen. Das dürfen sie. In anderen Bereichen ist es einfach Gott sei dank verboten.

    Allerdings muss ein Sportler erst einmal lernen, mit dem Schmerz umzugehen. Das erste Mal ist es ein überraschendes Erlebnis, aber die Erfahrung lehrt den Sportler, den Trainingsplan als Schmerzplan zu lesen. Dann baut er sich Brücken, um über den Schmerz hinweg zu kommen. Caysa:

    Bis hin zu Techniken der Hochleistungssportler, die genau wissen, wenn ich mich auf einen Wettkampf vorbereite, bereite ich mich auf ein extremes Schmerzerleben vor. Jeder Profiboxer baut in seinem Training sich mental auf, dass er weiß, wenn Du in den Wettkampf gehst, dann wird das sehr schmerzhaft.

    Entweder ist der Ruhm die Belohnung. Oder der Körper belohnt sich selbst. Dr. Monika Thiele, Sportwissenschaftlerin der Universität Bremen:

    Es gibt Sportarten, die sind besonders interessant, weil man da eine körpereigenen Drogenproduktion in Gang setzt. Der Marathonlauf ist dafür bekannt, dass, wenn man durch eine bestimmte Grenze der Belastung geht, dass dann eine Endorphinausschüttung erfolgt und das macht sehr glücklich. Das ist so ähnlich wie eine Endorphinausschüttung nach dem Bungee jumping, nur billiger.

    Also Sport als Rausch. Die Grenzen zwischen Lust und Qual verschwimmen; der Weg zur Sucht ist nicht weit und der ist dann gefährlich. Beispiel Marathon: Regelmäßig sterben Hobbyläufer bei Stadtrennen, weil sie den Schmerz als Warnsignal nicht mehr richtig deuten können. Die Belohnung für die Qual selbst zu erleben ist eine Sache, als Bewunderer am Rand zu stehen, eine andere. Aber auch für die begeisterten Anhänger, die sich an den Schmerzen der Sportler erfreuen, hat Volker Caysa eine Erklärung:

    Unsere christlich geprägte Kultur hat natürlich doch im Grunde das Ideal, dass wir den höher schätzen, der sich quält, als den, der sich amüsiert und das wirkt im Sport sehr massiv dieses Ideal.

    Also wird der bewundert, der hart gegen sich selbst ist, ohne zu fragen, weshalb er das tut. Allerdings ist nicht immer der der Beste, der am härtesten gegen sich selbst ist. Wer sich extrem quälen kann, übersieht eben häufig die feine Grenze zum warnenden Schmerz und verletzt sich. Dann war die ganze Schinderei umsonst, denn die Belohnung bleibt aus.