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Wer tritt auf die kosmische Bremse?

Raumfahrt. - Zuerst glaubten Ingenieure an Fehlmessungen, als sie feststellten, dass die Raumsonden Pioneer 10 und 11 an Geschwindigkeit verloren. Doch mitnichten - eine ominöse Kraft ist am Werke. Weil der Effekt nicht nur im interstellaren Raum auftritt, überdenken Physiker ihre Vorstellungen zur Himmelsmechanik.

Von Guido Meyer | 04.03.2008
    Wer im All so richtig auf Touren kommen will, muss Schwung holen. Kehrt eine Sonde nach ihrem Start einige Zeit später zurück zur Erde und fliegt an ihr vorbei, tankt sie Geschwindigkeit für ihre Weiterreise. Es lässt sich genau vorhersagen, in welchem Winkel welche Weltraumsonde wie schnell auf die Erde zuhalten muss, um einen ebenfalls genau berechneten Zuwachs an Tempo zu erzielen. Nur scheint das den Raumsonden noch keiner gesagt zu haben.

    "Wir haben beobachtet, dass die Sonden nach ihrer größten Annäherung an die Erde eine Geschwindigkeitsänderung erfahren, die nicht da sein dürfte. Sie sollten sich mit dem Tempo wieder entfernen, mit dem sie auf die Erde zugestürzt sind. Die Bahnänderung ist klein, aber messbar, und sie beträgt ein Vielfaches von dem, was wir als Messfehler annehmen würden."

    John Anderson ist Astronom am Jet Propulsion Laboratory der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa in Pasadena, Kalifornien. Zusammen mit seinem Team hat er die Flugbahnen der Sonden Cassini, Messenger, Near, Galileo und Rosetta untersucht, nachdem sie an der Erde vorbeigeflogen sind. Überraschendes Ergebnis: Cassini flog danach zu langsam, genauso wie Galileo bei ihrem zweiten Fly By 1992. Beim ersten, zwei Jahre zuvor, hatte die Sonde noch beschleunigt. Die Near-Sonde flog nach ihrem Erd-Rendezvous gar dreizehn Millimeter pro Sekunde zu schnell.

    "Wir verstehen nicht, warum das passiert. Aber wir erkennen ein Muster. Wir haben eine Formel entwickelt, die diese positiven und negativen Bahnänderungen vorhersagt. Sie basiert auf der geografischen Höhe, auf der sich eine Sonde der Erde nähert und sich wieder von ihr entfernt. Wenn Einflugs- und Abflugswinkel gleich sind, wie bei Messenger, stellt sich diese Anomalie nämlich nicht ein. Die Near-Raumsonde hingegen hat sich der Erde auf Höhe des 21. südlichen Breitengrades genähert und sie bei 72 Grad Süd wieder verlassen. Dort haben wir den größten Effekt beobachtet."

    Derzeit untersucht Andersons Team, ob sich auch beim jüngsten Fly-by der europäischen Raumsonde Rosetta an der Erde im November eine ungewöhnliche Bahnveränderung eingestellt hat, so wie bei ihrem ersten Vorbeiflug 2005. Ob es sich bei dieser Fly-by-Anomalie um das gleiche Phänomen wie die Pioneer-Anomalie handelt, ist noch nicht sicher, aber wahrscheinlich.

    "Ich vermute, dass beide Anomalien irgendwie zusammenhängen. Es wäre schon sehr überraschend, wenn zwei verschiedene Mechanismen für die Pioneer-Sonden im äußeren Sonnensystem und für Erd-Vorbeiflüge verantwortlich wären. Eine Anomalie zu finden, ist schon ungewöhnlich, aber zwei wären dann doch ein wenig zu viel für mich."

    Und so schlägt das JPL eine eigene Raumsonde vor, die das Flugverhalten ihrer Schwesterschiffe untersuchen soll. Sie hätte keine andere Aufgabe, als einfach nur hinaus zu fliegen ins All.

    "Wir müssten eine Sonde ins äußere Sonnensystem schicken, die möglichst wenig gravitativen Kräften ausgesetzt ist, damit die ominöse Bremswirkung deutlich sichtbar wird. Eine entsprechende Mission rein zur Untersuchung der Pioneer-Anomalie ist in Europa bereits entworfen worden."

    Der Weltraumkonzern EADS hat für Europas Weltraumagentur Esa eine relativ kostengünstige Sonde entwickelt, die in ihrem Innern eine beliebige freifliegende Masse von der Sonne weg transportiert, wie Roger Förstner von EADS Astrium in Friedrichshafen erläutert.

    "Diese freifliegende Testmasse hat den Sinn, die Bewegung einer Masse im freien Weltraum sehr genau zu vermessen. Und diese Testmasse ist völlig passiv. Das heißt, sie hat keine Lageregelung, keine Düsen, strahlt auch keine Funkwellen ab, die auch die Bahn verändern können. Und entsprechend ist die Messgenauigkeit bei dieser Testmasse sehr hoch."

    Sind alle bekannten Einflüsse und Störgrößen herausgerechnet und bewegt sich die Testmasse dennoch, wäre klar, dass irgendeine Kraft von außerhalb auf sie wirken muss. Nur welche?