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Wer viel untersucht, findet auch viel

Die neuste Ärztestudie der Krankenkasse Barmer GEK zeigt, dass jeder zehnte Deutsche jährlich zu mehr als sechs Ärzten geht. Wolfgang Noelke hat die Ärztestudie diagnostiziert.

Von Wolfgang Noelke | 08.02.2011
    4,88 Millionen mal im Jahr werden deutsche Patienten mit Hilfe eines Computertomografen untersucht. Die Verordnung einer Magnetresonaztomografie, also der Untersuchung unter dem Kernspimtomografen liegt sogar noch mehr als eine Million mal höher. Mit Diagnosen per Magnetresonanztomografie belegt Deutschland weltweit den Spitzenplatz. Der Trend zur, im Gegensatz zur Computertomografie ohne gefährliche Röntgenstrahlung arbeitenden MRT sei sogar begrüßenswert, sagt Dr. Kai Behrens, stellvertretender Unternehmenssprecher der Krankenversicherung Barmer-GEK, aber...

    "Wir brauchen weitere Studien, die auch einen proportionalen Nutzen dieses Fallzahlen-Anstiegs ausweisen. Also, inwiefern ist diese differenzierte Diagnostik bei MRT auch immer sinnvoll, beziehungsweise, wann wird sie sinnvollerweise angewendet. Gibt es da auch konsequente und strenge Behandlungsleitlinien? Das sollte noch mal überprüft werden und man müsste natürlich wirklich dem medizinischen Nutzen noch mal im Einzelnen nachgehen und in der Tat, es gibt auch Hinweise aus den Kreisen der Radiologen selbst. Die doppelte Facharzt-Schiene, die Parallelstrukturen Stationär Ambulant fördern natürlich die Nachfrage, aber nicht unbedingt dann die medizinische Qualität."

    Zusammengefasst: Die Anzahl vorhandener Geräte sei mitverantwortlich für die Häufigkeit der Diagnosen. Und da die deutsche Medizintechnik weltweit an erster Stelle stehe, sei es kein Wunder, dass in deutschen Radiologiepraxen häufig millionenteure Geräte im Einsatz sind. Die müssten sich wirtschaftlich amortisieren. Gewährleisten sie aber auch eine bessere Gesundheit? Ein Blick über die Grenze zeigt: Niederländer und Franzosen konsultieren im Vergleich zu Deutschen nur halb so oft einen Arzt. Sind unsere Nachbarn gesünder? Frage an Dr. Thomas Grobe. Er hat im Hannoverschen Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung die Arztstudie erstellt:

    "Was wir uns aktuell angeguckt haben, ist ja nicht, ob sie halb so oft zum Arzt gehen, sondern dass sie auch Kernspinuntersuchungen nur halb so oft in Anspruch nehmen, wie Leute aus Deutschland. Das dürfte sicherlich mit dem deutschen Facharzt- System zusammenhängen. In den Niederlanden gibt es meiner Kenntnis nach keine niedergelassenen Fachärzte, sondern für komplexe Untersuchungen geht man halt ambulant ins Krankenhaus."

    …und - beanspruche deswegen auch weniger Geräte, als in Deutschland. Gelegentliche Doppeluntersuchungen, so Grobe seien nicht das Problem.

    "Da kann man sich eher fragen, inwieweit jede Untersuchung erforderlich ist. Grundsätzlich muss man sich bei jeder Untersuchung fragen, nicht nur, was kann ich möglicherweise bei der Untersuchung als diagnostischen Befund erkennen, sondern, was könnten aus unterschiedlichen Befunden für Konsequenzen resultieren."

    Mit einem, zum Beispiel nach alter Methode nicht entdeckten Aneurysma könnten 80-Jährige eventuell noch unbehelligt hundert Jahre alt werden. Durch eine fehlinterpretierte Diagnose könnten dieselben 80-Jährigen aber auch die letzten 20 Jahre ihres Lebens als Dauergast in Wartezimmern der Radiologen verbringen. Hier zähle die medizinische Erfahrung der Ärzte, neue Diagnosemöglichkeiten zum Wohle der Patienten richtig zu interpretieren.

    Wie wenig man sich ohne Hintergrundwissen auf eine reine Zahlen-Statistik verlasen sollte, beweist der Blick über die alte Deutsch-Deutsche Grenze. Im Unterschied zum ehemaligen Westdeutschland diagnostiziere man im Osten deutlich mehr Übergewicht und Bluthochdruck.

    ""Ein Aspekt, der zusätzlich noch eine Rolle spielen kann, ist sicherlich, dass in den Neuen Bundesländern die Menschen auch noch regelmäßiger zur Vorsorge gehen, als in den alten Bundesländern.""