Donnerstag, 02. Mai 2024

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Wer war Hanns-Martin Schleyer?

Heute zu später Stunde strahlt die ARD einen Film aus, der scheinbar Teil einer Konjunktur ist. Um eine geplante Ausstellung mit dem Titel Mythos RAF hat es ein langes Sommertheater gegeben, obwohl sie noch gar nicht zu sehen, eben nur vage konzipiert war. So lange sind die 70er Jahre nicht her, und die seitdem immer wieder auflaufenden Wellen der RAF-Beschäftigung beantworten nicht die Frage nach den Gründen der Faszination, sondern werfen, im Gegenteil, immer neu die Frage auf. Mit der Medienattraktivität, die die Inszenierung eines sogenannten bewaffneten Widerstands abwirft, arbeiteten schon die eitlen Protagonisten selber, womit sie für künftige kapitalistische Moden, für Prada-Meinhof-T-Shirts, das Feld bestellten. Aber der Rebellenchic allein machte den Mythos nicht aus, der liegt eher in den Symbolhaltungen der damals beteiligten Generationen begründet - hier die Nachgeborenen, dort die Väter und Täter. Eine Symbolfigur war Hanns Martin Schleyer, von der RAF kalt ermordeter Arbeitgeberführer der Republik mit Nazi-Biografie, ein Mann, von dem unterdrückt zu sein die werktätigen Massen sich nicht so bewusst waren wie die RAF glaubte. Vor sechs Jahren schildert Heinrich Breloer in seinem Zweiteiler 'Todesspiel' das Drama um Schleyers Entführung unter Einbeziehung von Zeitzeugen. Heute Abend zeigt die ARD erneut einen Schleyer-Film.

Der Regisseur Lutz Hachmeister im Gespräch | 20.08.2003
    Hachmeister: Mein Erkenntnisinteresse kam von einer ganz anderen Seite her. Ich habe seit längerem über diese Generation der NS-Studentenführer gearbeitet, die in den dreißiger Jahren an der Gleichschaltung der Universitäten beteiligt war. Da ist sicherlich Schleyer eine hervorragende Figur in Heidelberg gewesen, in den dreißiger Jahren. Mich hat einfach interessiert, wie er sich nach 1945 weiter entwickelt hat, ob es Brüche in seiner Biografie und in seiner Mentalität gibt, und insofern ist das Erkenntnisinteresse von Anfang an nicht unbedingt die Konfrontation mit der RAF gewesen.

    Novy: Das heißt, die Person Hanns Martin Schleyer stand im Vordergrund, aber welche Rolle spielt dann seine Entführung und sein Tod im Film?

    Hachmeister: Ja, man muss es schon erzählen, weil ich denke, es wäre etwas komisch gewesen, wenn wir gesagt hätten, jetzt brechen wir den Film ab und sagen, der Rest ist ja bekannt, und machen noch so eine Schrifttafel. Also, da trifft man natürlich auf neue Generationen, die die ganze Geschichte von Hanns Martin Schleyer sehen und hören wollen und sein Tod gehört natürlich auch in dem Sinne mit zu seinem Leben. Er war halt in all seinen Funktionen, in seinem Aussehen, mit der Mitgliedschaft in der schlagenden Verbindung mit den Schmissen im Gesicht, mit seinem Vorstandsposten bei Daimler-Benz das ideale Feindobjekt für die RAF. Es waren übrigens auch zwei Welten. Also keiner dieser Mitglieder in diesem RAF-Kommando hatte irgendetwas mit der Industriewelt Hanns Martin Schleyers zu tun. Es war ein reines Image, eine reine Fiktion, sie waren dem Mann ja vorher nie in irgendeiner Form nahe gekommen. Und was mich interessiert hat, ist, dass eine linke Militanz der siebziger Jahre, die in sehr brutaler Form sich ausprägt, auf einen Mann trifft, der in den dreißiger Jahren selbst ein junger, militanter Student gewesen ist. Und diese, sagen wir mal, dramatische Konfiguration in einem Film zu zeigen, das hat mich schon gereizt.

    Novy: Die Väter von damals, sofern sie auch Täter waren, haben ja immer gerne eine Kongruenz behauptet: Wir waren damals genauso militant, wie ihr es heute seid, nur eben unter anderen Vorzeichen. Das war natürlich billig, auf der anderen Seite gibt es tatsächlich, wenn man sich die Pamphlete, die Verlautbarungen der RAF anschaut, hin und wieder mal das Gefühl, das ist SA-Sprache. Haben Sie solche Schnittmengen entdeckt?

    Hachmeister: Ja, da haben Sie völlig recht. Nicht nur SA-Sprache, auch SS-Sprache richtig. Zum Beispiel dieses völkische Element, also unter RAF-Texten steht häufiger "Sieg im Volkskrieg", damit ist bei der RAF zwar so eine internationalistische Ausrichtung gemeint, also die Guerilleros auf der ganzen Welt sollten sich vereinigen und dann die unterdrückten Völker zur Freiheit und auch zur Macht führen über die bisherigen imperialistischen Mächte. Aber dieser Volksbegriff, der ja nun auch im Nationalsozialismus sehr schillernd war und eine Begründung auch für diese völkisch-großdeutsch denkenden Studentenführer hergab, der findet sich doch verdächtig häufig auch in RAF-Texten. Es gibt eine verschwommene Sehnsucht nach Gemeinschaft, es gibt so einen anti-individuellen Affekt, es gibt was anti-intellektuelles, also all das, was die Nationalsozialisten auch im Wesentlichen ausgezeichnet hat. Meine Erkenntnis war, und das werde ich in einem Buch, das im nächste Jahr über Schleyer erscheint, noch etwas schärfer konturieren können, dass die Schnittmengen größer sind, als man bislang annimmt.

    Novy: Woher kommt und woraus speist sich fortgesetzt die Faszination der RAF, die ja eigentlich eine Sekte war?

    Hachmeister: Was ich interessant finde, ist, dass die RAF sich schon sehr früh ihrer medialen Wirkung bewusst war. Also diese These, die wäre erst in den letzten Jahren in so eine Popgruppe transformiert wäre, das stimmt eben nicht. Also diese RAF-Leute sind alle im Zeitalter von Rock und Pop groß geworden. Viele von ihnen hatten Medien- oder künstlerische Berufe, und da war schon zum ersten Mal so eine Gruppe konturiert worden, die war sich ihrer Außenwirkung und über die Wirkung von Symbolen und Plakaten und Untergrundliteratur sehr, sehr bewusst. Andererseits, die groteske Unfähigkeit zur Kommunikation mit irgendeiner Zielgruppe, das ist ein faszinierender Aspekt, wie Leute, die eigentlich mit Medienprozessen umgehen und darüber Bescheid wissen, dann vollkommen den Kontakt zur Bevölkerung und zu irgendeiner wie auch immer gearteten Zielgruppe, mit der sie ihre politischen Vorstellungen, die sie ja nun durchaus hatte verwirklichen können, verlieren.

    Novy: Noch eine Frage zu Ihrem Film. Sie haben Vorwürfe von allen Seiten bekommen, als gemütlicher Bosstyp komme Schleyer weg, sagen die einen, von links so zusagend. Die anderen kritisieren die Wahl von Interviewpartnern aus der RAF von damals mit Wackernagel und Wischnewski, wie stehen Sie denn dazu? Wie haben Sie sich das vorgestellt?

    Hachmeister: Eigentlich genau so. Ich wusste, als ich mit dem Film anfing, dass die Kritiken von beiden Seiten in der Form geäußert würden. Ich habe nicht gedacht, dass das so eine Militanz annimmt, wie zum Beispiel in der "Welt", wo der Springer-Verlag seine ganzen alten Kämpfe der sechziger Jahre noch mal durchficht und wo man selber dann so quasi noch mal als Mittäter oder intellektueller Täter im Nachhinein an dem Mord an Hanns Martin Schleyer dargestellt wird. Das habe ich eigentlich so nicht erwartet, dass man noch einmal so in diese Mottenkiste der Argumente greift. Aber ansonsten, in der Struktur wusste ich, dass der Film von links und rechts kritisiert worden würde, muss allerdings auch sagen, dass die Mehrheit der Kritiken, die ich heute gelesen habe, dem Film durchaus sehr zugetan ist. Also das ist ganz gut ausbalanciert. Ich hätte, wenn der Film einfach so durchgegangen wäre mit so einer lauen Form von Stimmung, hätte ich sicherlich auch was falsch gemacht. Also über ein Thema, das so politisch aufgeladen ist, wie das Leben und Sterben von Hanns Martin Schleyer, waren bestimmte Formen der Kritik zu erwarten und die sind auch vollkommen legitim. Der Film hat in dem Fall auch seine Funktion erfüllt, indem er die Diskussion doch sehr stark auf diese Biografie auch noch mal gelenkt hat und ein bisschen weg von dem Ende. Bislang war es so, dass das Ende vollkommen das Leben von Hanns Martin Schleyer überschattet hat und meine Absicht war, um es ein bisschen pathetisch zu formulieren, dem Mann auch, zwar in kritischer Form, aber doch seine Biografie zurückzugeben, und das ist, glaube ich, auch gelungen.

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