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Wer, warum, wie viel?

Das Arts Council England steht vor einem Dilemma - es muss die größte Veränderung in der staatlichen Kunstförderung seit seiner Gründung vor 65 Jahren umsetzen.

Von Jochen Spengler |
    Vor fünf Monaten kündigte die konservativ-liberale Regierung in Großbritannien an, dass sie im Zuge ihrer drastischen Sparpolitik auch Kunst und Kultur nicht verschonen werde und dass das Council, zuständig für die Verteilung der staatlichen Kultursubventionen, bis 2014 nur noch 360 Millionen Euro jährlich verteilen könne - eine Kürzung um immerhin 30 Prozent.

    Um das Dilemma zu lösen, hat der Kulturrat, so erklärt sein Generalsekretär Alan Davey, den Rotstift zunächst bei den eigenen Verwaltungsausgaben angesetzt, sodass die eigentlichen Subventionen nur um 15 Prozent verringert werden müssen.

    "Und wir haben die Entscheidung getroffen, das Elend nicht gleichmäßig auf alle zu verteilen. Wir wollten nicht scheibchenweise Kürzungen nach der Salamitaktik, weil wir wissen, was dann geschehen wird. Wenn wir auf die 80er Jahre zurückblicken, sehen wir, dass Kunsteinrichtungen schwächer und schwächer wurden. Das wollen wir nicht. In den letzten 15 Jahren sind unsere Kulturorganisationen wirklich erstarkt und die Kunst macht Großbritannien zu dem, was es ist und das wollen wir nicht verlieren."

    Jede der mehr als 1300 Theatergruppen, Galerien, Festivals, Museen, Orchester oder Tanzensembles, die sich um Zuschüsse beworben haben, hat der Kulturrat nach fünf etwas vagen Kriterien beurteilt: künstlerische Exzellenz, Innovation, Vielfalt, Engagement und Breitenwirkung. Das Ergebnis: Rund 150 Gruppen weniger als bislang, insgesamt knapp 700 Bewerber erhalten überhaupt noch Subventionen. Und von denen müssen 300 mit deutlichen Kürzungen leben.

    "Ich glaube eine Verringerung der Zuschüsse um 15 Prozent für alle wäre ein sehr feiger Weg aus dem Dilemma gewesen","

    sagt Liz Forgan, die Vorsitzende des Art Council.

    ""Wahrscheinlich hätte es uns weniger Streit beschert und wir hätten mehr Organisationen finanzieren können. Aber die Gefahr wäre gewesen, dass niemand genug Geld gehabt hätte, um die Arbeit anständig zu verrichten."

    Die traditionell größten Subventionsempfänger, etwa das Royal Opera House mit 30 Millionen oder das Royal National Theatre mit mehr als 20 Millionen, müssen fast alle eine Standardkürzung von 15 Prozent verkraften.

    Es gibt aber auch 110 Organisationen, die erstmals Zuschüsse erhalten, größere wie das Manchester International Festival, das mehr als eine halbe Million Euro bekommt und geringere Summen für Theater- und Musikgruppen, die vor allem Kinder und Jugendliche ansprechen.

    Dafür bekommen 200 bislang geförderte Kulturorganisationen ab 2012 gar keinen Penny mehr vom Arts Council - darunter zweifelhafte Gemischtwarenläden wie der Dartington Hall Trust, aber auch renommierte wie die von T. S. Eliot 1953 gegründete Poetry Book Society, die sich der Förderung der Dichtkunst verschrieben hat und dieses Jahr letztmalig 125.000 Euro erhält. Alan Davey versichert:

    "Das ist kein Misstrauensvotum, das bedeutet nicht: Wir mögen euch nicht oder das, was ihr tut. Es ist Tatsache, dass wir weniger Geld ausgeben können. Es war hart, all diese Entscheidungen zu treffen und es ist hart, die Entscheidungen zu hören. Es ist aber nicht das Ende der Beziehung zum Arts Council. Es ist ja auch noch ein Jahr Zeit. Ein Jahr, um mit uns zu reden, um darüber nachzudenken und sich neu zu auszurichten, wenn nötig."

    Niemand bezweifelt, dass Englands Kulturszene harte Zeiten bevorstehen, zumal die Gemeinden ebenfalls ihre Subventionen zusammenstreichen und nicht zu erwarten ist, dass Privatsponsoren in die Bresche springen.

    Nicht jede Kürzung des Councils mag unberechtigt sein, und die Kritik am Arts Council fiel im Großen und Ganzen gemäßigt aus. Die Kritik an der Regierung aber wächst; sie streiche einen ohnehin bescheidenen Kulturetat weiter zusammen, heißt es, gebe nur 0,07 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Kulturförderung aus und verkenne dabei, dass der kreative Sektor sieben Prozent zum Nationaleinkommen beitrage.
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    Das Royal Opera House in London erwartet eine Kürzung der Subventionen um 15 Prozent. (Royal Opera House London)