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Wer was fordert

Volksabstimmungen auf europäischer Ebene - darüber wird derzeit in Brüssel diskutiert. Mehr direkte Demokratie könnte der EU gut tun, meinen die einen, andere wiederum warnen vor Volkes Stimme.

Von Annette Riedel | 14.11.2013
    Erst mal vorab: Das Thema Volksentscheide oder Volksabstimmungen über grundlegend Europäisches wird in Brüssel unter den Deutschen im EU-Parlament genauso diskutiert, wie zu Hause in Deutschland – sauber entlang der Partei-Grenzen. Der CSU-Abgeordnete: dafür; der CDU-Abgeordnete: dagegen; der grüne Abgeordnete: dafür; der SPD-Abgeordnete – das war nicht eindeutig voraussehbar - auch dagegen. Wolfgang Kreissl-Dörfler von der SPD:

    "Nachtigall, ich hör' dir trapsen. Es kommt immer dann ins Spiel, wenn man von was ablenken will. Wenn man ganz genau weiß, dass man komplexe Fragen nicht per Volksentscheid lösen kann."

    "Nicht alle Grünen sind immer für mehr direkte Demokratie gewesen. Aber ich gehöre zu denjenigen, die finden, mehr direkte Demokratie ist gut","

    widerspricht der grüne Europa-Abgeordnete Reinhard Bütikofer und findet sich damit in bester Gesellschaft des CSU-Abgeordneten Markus Ferber:

    ""Ich sehe wirklich die Chance, sich auf das zu konzentrieren, was wirklich in Europa notwendig ist. Und nicht jeder Unfug, der irgendwo diskutiert wird, sofort zu einer europäischen Kompetenz oder Finanzierungsverbindlichkeit oder Erweiterungs-Zusage zu machen."

    "Wozu haben wir eigentlich unsere gewählten Vertreter. Die sollen das machen. Und wenn sie es nicht gut machen, wählen wir sie ab. Und wenn sie es gut machen, dann wählen wir sie wieder","

    hält der CDU-Abgeordnete im EU-Parlament, Axel Voss, dagegen.

    ""Volksentscheide sind immer sehr populär. Es ist wie so ein Gut-Menschen-Thema, weil jeder meint: Oh ja, ich möchte gerne mitbestimmen. Die Realität zeigt aber immer etwas anderes. Wenn Volksentscheide sind, melden sich, wenn es hoch kommt, 20 bis 30 Prozent – wenn überhaupt. Sodass wir bei Volksentscheiden immer wieder sehen müssen, dass es eigentlich Minderheitenentscheidungen sind."

    Und deshalb wäre für Axel Voss von der CDU überhaupt nur denkbar, Volksabstimmungen zu haben, wenn es ein Quorum von mindestens 50, 60 Prozent gäbe – also mindestens die Hälfte der Wahlberechtigten sich beteiligen muss, damit es gültig ist.

    Zu seinen Argumenten, die gegen Volksabstimmungen sprechen, gehört, dass die wirklich wichtigen Dinge zu komplex seien, um sie auf eine 'Ja-oder-Nein-Frage' herunter zu brechen. Der eine, der SPD-Abgeordnete, sieht das auch so. Der Andere, der grüne Abgeordnete, sieht es anders.

    "Ich möchte nicht, dass auf einmal eine Bevölkerung darüber abstimmt, ob wir jetzt ein anderes Land noch aufnehmen können – ja oder nein. Ich kann eigentlich in einer Volksabstimmung nur Fragen beantworten, die mit Ja oder Nein zu entscheiden sind. Aber komplexe Zusammenhänge, wie sie auf der europäischen Ebene laufen, ob ich jetzt einem Land noch Geld gebe, ja oder nein – wie will ich das in einem Volksentscheid machen."

    "Die Auseinandersetzung will ich haben. Weil auf Dauer kann dieses europäische Projekt nur vorankommen, wenn es getragen wird von einer populären Unterstützung. Dann muss man halt - so wie in der Schweiz - erklären, wozu es gut ist."

    Und was man nicht erklären kann, das könne man dann eben auch nicht machen, findet der CSU-Parlamentarier:

    "Weil es disziplinierend wirkt auf die, die in Brüssel Verhandlungen führen, sich zu überlegen, muss wirklich eine Zuständigkeit nach Europa übertragen werden; dass Beitrittsverhandlungen nur mit Ländern eröffnet werden, wo man sich auch sicher ist, dass sie zu Europa passen und es den Menschen auch kommunizierbar ist. Und weil es auch sicherstellt, dass finanzielle Verpflichtungen nur in dem Maßen eingegangen werden, wie es den Menschen auch erklärt werden kann."

    Die Befürworter von Volksabstimmungen sehen zusätzlich ein demokratietheoretisches Argument: Kommt es in Berlin zu einer Großen Koalition, dann könnte Volkes Stimme eine Art außerparlamentarisches Gegenwicht sein, für eine neue Bundesregierung, die sich mit einer Opposition im Bundestag auseinanderzusetzen hat, die vergleichsweise schwach auf der Brust ist.

    "Eine Große Koalition, die über Mehrheiten verfügt, mit der sie alles machen können, sollte sich immer vergewissern, dass sie die Menschen hinter sich hat. Und deswegen halte ich den Ansatz, Volksabstimmungen für Europafragen in Deutschland einzuführen, für einen wichtigen und richtigen Weg."

    "Also, wenn wir das so sehen, dass man das als Korrektiv für Übertreibungen, für europäische Übertreibungen nimmt, dann mag das in der Tat sehr hilfreich sein. Aber theoretisch ist das alles immer sehr schön. Man mag da auch einen Ausgleich sehen zwischen einer Regierung und der Opposition und das man da vielleicht etwas schafft, um es etwas abzumildern, aber es ändert letztlich nicht den Umstand, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung bei den Volksabstimmungen abstimmt."

    Und zudem - warnt der CDU-Abgeordnete Voss - würde Krisenbewältigung in Brüssel noch schwerer, wenn ohne Volkes Stimme nichts ginge. Dem Grünen Bütikofer ist davor nicht bange. Davor nicht.

    "Eines bloß würde ich nicht mitmachen. Dass man nur für die Fragen Volksabstimmungen macht, bei denen die CSU gerne Nein sagen möchte. Nee. Also wenn, dann fair."