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Wer wird nicht seinen Schiller loben ...

Zwei Bücher nähern sich dem zum Denkmal erstarrten Lebewesen Schiller mit der gleichen Intention - den Lesern Schiller hinter den Kulissen nahezubringen, mit einem sympathischen Augenzwinkern und ganz entspannt: "Schiller und die Freiheit des Geistes" von Andreas Venzke und "Die Leiden des jungen Schiller" von Thomas Gsella und Rudi Hurzlmeier.

Von Siggi Seuß |
    Wer wird nicht seinen Schiller loben? "Doch wird ihn jeder lesen? - Nein! Er sollte weniger erhoben und fleißiger gelesen sein."

    Aber wie ist dieser Wunsch des Satirikers Thomas Gsella umzusetzen? Sollten wir in den Schulen wieder das Auswendiglernen der Balladen einführen, um die Jugend an Schiller zu führen?

    Fest gemauert in der Erden Steht die Form aus Lehm gebrannt. Heute muss die Glocke werden! Frisch, Gesellen, seid zur Hand!

    Wohl kaum. Die jugendlichen Gesellen sind nicht mehr so begierig auf das, was da so festgemauert als Schiller-Denkmal in der Landschaft steht. Und ob die mediale Präsenz anlässlich des 250. Geburtstag Schillers die eher unbekannten Seiten des leidenschaftlichen Geistes tatsächlich für junge Menschen ins Licht der Gegenwart rückt, darf bezweifelt werden.

    Deshalb ist es erfreulich, dass zwei Autoren Schiller auf sehr vergnügliche und trotzdem nicht oberflächliche Weise einem jungen Lesepublikum präsentieren: Andreas Venzke schlüpft in einer Art Autobiografie in die Haut Schillers, erzählt aus dessen Leben und ergänzt das Gesagte nach jeder Erzählpassage mit einem Sachkapitel über Schillers Umfeld in jener Zeit und über die Wirkung seiner Arbeit.

    Zusätzlich aufgelockert werden die Texte Seite für Seite durch flotte Schwarz-Weiß-Karikaturen von Klaus Puth. Und im Anhang gibt es ein ausführliches Glossar und eine Zeittafel.

    Kaum ein deutscher Dichter hat die Sprache so lebendig und poetisch gehandhabt wie Schiller.

    ... schreibt Venzke in seinem Buch "Schiller und die Freiheit des Geistes", aus dessen Hörbuchfassung wir einige Passagen zitieren.

    Wenn auch sein Stil heute etwas seltsam erscheint. Ständig werden große Worte gesprochen und große Gefühle gezeigt. Doch dieser Gefühlsüberschwang gehörte zu seiner Vorstellung des Schönen, mit dem er die Menschen und auch die Welt verbessern wollte.

    Venzke übt keine Kritik an diesem heute recht bemüht wirkendem Pathos. Vielmehr nimmt er Schillers Leidenschaft ernst, legt ihre Wurzeln in der misslichen Lebenssituation des jungen Schiller anschaulich frei und motiviert junge Leser damit, Verbindungen zu den eigenen Energiequellen von Leidenschaft und Gerechtigkeitssinn zu knüpfen. Auch Thomas Gsella widmet sich in "Die Leiden des jungen Schiller" dem Leben des Genius - wie der Titel andeutet, nur dem jungen Leben, bis zur Flucht des 23-Jährigen aus den Fängen seines despotischen württembergischen Landesvaters Karl Eugen. Schiller würde sich - hoffentlich vor Vergnügen, wahrscheinlich aber eher irritiert - um Grabe umdrehen (wenn er denn eins hätte), hörte er die komische Lyrik - im Wechsel verschiedener Reimformen -, mit der Gsella das Leben des Meisters lebendig werden lässt.

    Der junge Schiller, noch nicht alt, war jung an Geist. Und an Gestalt so schwach, dass man ihn taufen ließ am Tag nach der Geburt, wonach er Friedrich Schiller hieß und mählich dicker wurd.

    Was danach folgt, ist die gereimt-ironische - nicht nur für junge Leser gedachte - Erzählung des höchst ungereimten Leidenswegs des jungen Mannes bis zur Entscheidung, freier Schriftsteller zu werden. Erhoben wird Schiller bei Gsella wahrlich nicht. Man kann sagen: Er bleibt auf dem Boden der miserablen Tatsachen, die ihn Erfahrung für Erfahrung zur Entscheidung zwangen: "So nicht!"

    Die miserablen Tatsachen beginnen mit der strengen Erziehung durch den Vater, setzen sich mit dem Drill in der Lateinschule fort und finden ihren Höhepunkt in der Kasernierung im herzoglichen Internat.

    Damit dieser Boden anschaulich wird, hat Rudi Hurzlmeier mit wunderbar leichter Feder - so leicht und gewitzt, wie die gereimten Worte - das Geschriebene Seite für Seite farbig illustriert. Der Gedanke reizt, die beiden Bücher parallel zu lesen. Sie nähern sich dem zum Denkmal erstarrten Lebewesen Schiller auf verschiedenen Wegen, aber mit der gleichen Intention - den Lesern Schiller hinter den Kulissen nahezubringen, mit einem sympathischen Augenzwinkern und ganz entspannt. Andreas Venzke lässt Schiller in fiktiven Monologen selbst zu Wort kommen, zum Beispiel, um dessen erste Begegnung mit der Forderung bürgerlicher Intellektueller nach individueller Freiheit des Denkens und Handelns zu veranschaulichen.

    Aus dieser furchtbaren Welt kann ich nur fliehen, wenn ich mich in Bücher versenke. Die Gedichte Klopstocks haben es mir angetan, seine gewaltige Sprache, wenn er in seiner Ode An die Freiheit schreibt:

    "Oh Freiheit, Silberton dem Ohre ...!
    Licht dem Verstand und hoher Flug zu denken,
    Dem Herzen groß Gefühl."


    Thomas Gsella, zum gleichen Thema, dem Leben im herzoglichen Internat.

    Daneben quält sie Leibliches: Es gibt im Haus nichts Weibliches. So lieben sie den "Werther" und Klopstocks "Messias", denn der Bund der Freunde schreibt selbst Poesie. Der Gott der Zeit heißt "das Genie".

    Nach sieben Jahren darf Schiller die Mauern des Internats verlassen. Er wird Feldscher, Wundarzt bei einem verlotterten Regiment.

    Was hat der Herzog mir nur versprochen, was meinem Vater? Was hat er aus meinem Leben gemacht? Einen Quacksalber in lächerlicher Uniform! Gsella sieht das genauso.

    Des Nacht also verzecht er sich, jedoch am Morgen rächt er sich mit kühnen Rezepturen. Die schaden mehr als kuren ...

    Wenn er nicht quacksalbert, wenn er nicht mit Freunden sein Elend in Saufgelagen ertränkt, dann schreibt und schreibt und schreibt er.

    Ich muss ein neues Leben beginnen, in einer anderen Welt. Die Literatur! Ich schwärme für meine Wirtin und schreibe in Gedanken an sie viele Gedichte. Vor allem aber beschäftigt mich mein Stück Die Räuber. Es soll mir Geld einbringen und mich berühmt machen.

    "Die Räuber" sind ein lauter Schrei: Der Mensch ist groß! Man geb' ihn frei! Sein Herz ist warm und wird nur kalt durch Zwang und Unglück der Gewalt!

    "Die Räuber" - das ist der erste Durchbruch zum Weltruhm. So könnte man fortfahren. Die beiden Bücher ergänzen sich wunderbar. Gsellas "Leiden des jungen Schiller" enden allerdings mit Schillers Flucht vor dem württembergischen Despoten.

    Vorbei. Der junge Schiller ist entkommen. Die Welt steht ihm nun frei. Sie wird genommen nach Schillerart: besungen und belehrt. Auch nicht verkehrt!

    Mannheim, Bauerbach, Leipzig, Dresden, Weimar, Rudolstadt, Jena und noch einmal Weimar - das sind die wichtigsten Stationen seines Lebens. In Weimar stirbt Schiller - 1805, im Alter von nur 45 Jahren. Während also Gsella das gar nicht so einfache Wachstum des jungen Dichterhelden in schönen ironischen Reimen besingt, erzählt Venzke Schillers Geschichte bis zum Ende. Von persönlichen Erfolgen und Misserfolgen, von seinen Lieben, von seinen ewigen Schulden, von seiner angeschlagenen Gesundheit, von seiner schwierigen Freundschaft mit Goethe, von den Höhen und Tiefen eines deutschen Dichterlebens also, das es wirklich nicht verdient hat, als Denkmal zu enden. Dazu sind seine Gedanken viel zu frisch und viel zu frei. Man muss sie nur vom Pathos ihrer Zeit befreien. Venzke und Gsella tragen dazu bei.

    Andreas Venzke: Schiller und die Freiheit des Geistes
    Mit Illustrationen von Klaus Puth
    Arena Verlag, Würzburg 2009, 112 Seiten, 7,95 Euro

    Dazu ist, ebenfalls im Arena Verlag das Hörbuch erschienen, gelesen von Antje Nicolai und Peter Raab, 2 CDs, cairca 100 Minuten, 12,95 Euro

    Thomas Gsella/Rudi Hurzlmeier: Die Leiden des jungen Schiller
    Carl Hanser Verlag, München 2009, 56 Seiten, 12,90 Euro