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Wer Wurst sagt, sagt auch Senf

Süß, scharf oder mild - Senf ist eine Delikatesse. Die meisten Sorten werden heute industriell hergestellt. Nur noch wenige Senfmühlen, wie die Manufaktur Breuer in dem kleinen Eifeldorf Monschau, mahlen die Körner nach ursprünglicher Art in einer Steinmühle.

Von Brigitte Baetz und Saskia Kurth |
    "Ich möcht ein Würstchen mit Senf beschmiert,
    ich möcht ein Würstel, ich möcht eine Wurst."

    Wer Wurst sagt, meint auch Senf. Der Hilferuf der geplagten Arme-Leute-Seele aus dem Jahr 1924 besingt den Schnellimbiss zur Befriedigung der Grundbedürfnisse. Doch während die Wurst, beziehungsweise die Bratwurst, heute noch den Ruf hat, die schnelle Nummer für zwischendurch zu sein, hat sich der Senf von seinem Wurst-Beilagen-Image längst emanzipiert. Sowohl das gestiegene kulinarische Bewusstsein der Deutschen als auch die Notwendigkeit der wenigen verbliebenen kleinen Senfmühlen, sich von der Massenproduktion der Industriesenfhersteller abzusetzen, hat die würzige Beilage zur Delikatesse aus eigenem Recht werden lassen.

    "Das Besondere bei unserem Senf ist natürlich das Rezept von meinem Ururgroßvater, und dass er auf der alten Mühle gemacht wird, genauso, wie mein Ururgroßvater das gemacht hat. Und das ist kalt vermahlen, zwischen alten Steinen, steinvermahlen und kalt vermahlen. So ähnlich wie beim Olivenöl, das kalt gepresste, das kennen die Leute, das ist das wertvollere, weil die ätherischen Öle erhalten bleiben. Wenn Sie einen Industriesenf haben, das ist dasselbe Prinzip, die haben nicht mehr die Steine, die haben Metallplatten, und diese Metallplatten liegen fest auf Korundplatten. Da wird es heiß zwischen. Und durch diese Hitze werden die ätherischen Öle zerstört und werden hinterher wieder dazugegeben, da man natürlich auch einen scharfen oder würzigen Senf haben will.

    Das brauchen wir natürlich nicht, weil wir vorher nichts zerstören, das wir nachher wieder hinzufügen müssen. Wir haben keine Konservierungsmittel, wir fügen keine ätherischen Öle zu, keine künstlichen Aromen, der ist glutenfrei. Da fragen auch viele Leute mittlerweile nach. Das schmecken Sie einfach. Das schmeckt eben ganz anders, als ein Industriesenf."

    Ruth Breuer ist Juniorchefin der Senfmühle in Monschau, tief im Westen Deutschlands. Der Luftkurort am Rande des Hohen Venn ist seit Jahrhunderten für die Künste seiner Handwerker bekannt - Glasbläser, Holzschnitzer, Bierbrauer. Vor allem aber die feinen Tuche aus Monschau waren einst weltberühmt. Die Tuchmacher des Ortes belieferten orientalische Scheichs genauso wie die Armee des Zaren mit ihren Stoffen. Das das ganze Jahr über reichlich fließende Wasser trieb die Walkmühlen an.

    Auch heute noch fließen Laufenbach und Rur durch den beschaulichen Ort, in dem aber keine Weber oder Färber mehr für geschäftiges Treiben sorgen, sondern eher die Touristen. Und die Bäche treiben auch keine Mühlen mehr an, nicht einmal die Senfmühle.

    Zumindest akustisch geht es nicht gerade beschaulich zu in der kleinen historischen Senfmühle, in der Ruth Breuer den Interessierten zeigt, wie heute noch Monschauer Senf hergestellt wird.
    "Das ist eigentlich alles noch diese alte Maschine von 1882. Es ist allerdings so, dass mein Ururgroßvater noch unten im Ort war und da ist die Mühle noch über das alte Wasserrad angetrieben worden, aber er ist schon 1896 zur Dampffabrikation übergegangen, war da sehr stolz drauf, hat groß mit geworben und da kam dieses Motorchen, wie wir es noch heute haben."

    Wer die Monschauer Senfmühle besichtigen will, geht vorbei an der rustikal eingerichteten Gast- und Verkostungsstuben in einen relativ übersichtlichen Raum von gerade mal drei mal fünf Metern, halbhoch weiß gekachelt. Zwei Drittel des kleinen Raumes nimmt die Mühle ein, das Mahlwerk mit den zwei großen Mühlsteinen, einem braunroten Bottich, in dem ein stehender Mann bequem Platz fände. An der Wand darüber hängen überdimensionierte Holzlöffel, wie die Paddel eines riesenhaften Ruderers.

    "Ja, das ist unsere alte Mühle. So sieht das aus, also hier der Maischbottich, wo die ganzen Zutaten reinkommen. Das ist wie so ein Rührwerk. Kann ich gleich mal anmachen und dann wird der Senf hier gepumpt zwischen die Steine. Also, es sind zwei Steine. Sie sehen immer nur einen. Der untere steht fest, der andere ist der Läufer, der dreht sich dann im Kreis. Wenn man den jetzt hochheben würde, würde man sehen, dass da kreisförmig so Rillen eingearbeitet sind. Darüber wird der Senf nach außen getrieben.

    Und der Mahlvorgang, das ist eigentlich noch ganz interessant, hat nicht den Sinn, was fast alle denken, aus den Körnern Mehl zu machen, sondern wir bekommen schon Senfmehl. Dazu braucht man einen Walzenstuhl. Und der Mahlvorgang hat den Sinn, dass die innige Verbindung der Zutaten zustande kommt. Wenn sie also so einen Industriesenf aufmachen, wenn man auf die Tube drückt, kommt ja immer so ein bisschen Flüssigkeit heraus. Das liegt halt daran, dass man das industriell nicht mehr so hinkriegt mit der innigen Verbindung der Zutaten wie eben auf diesem alten Wege."

    Während die Industrie zwanzig bis dreißig Tonnen Senf pro Tag herstellen kann, braucht man in Monschau einen ganzen Tag für rund 400 Kilogramm. Solcherart Produktion lohnt sich nur, wenn man auf Qualität setzt, und auf den Reiz neuartiger Mischungen: vom Meerrettich- bis zum Ingwer-Geschmack. Der Senf für den Senf, die Körner nämlich, kommen dabei allerdings nicht mehr aus der Eifel.

    "Senf wird so gut wie gar nicht mehr in Deutschland angebaut, um daraus Senf herzustellen, sondern eigentlich nur noch zum Unterpflügen, damit die Felder gedünkt werden, damit die sich erholen können. Also, dieser Ackersenf, den der eine oder andere noch kennt, sieht ja so ähnlich aus wie Raps, blüht so gelb. Die Senfsaat, die wir bekommen, die kommt aus der Tschechei. Wir haben lange, wie fast alle anderen auch, aus Kanada bezogen, aber nachdem da soviel mit Gentechnikgeschichten ist, wollte ich das nicht mehr. Und die Tschechei sichert uns das zu, dass da nichts mit Gentechnik ist, und deshalb haben wir da gewechselt.

    Aber Senf kann fast überall wachsen, ist ganz anspruchslos, ob das jetzt Äthiopien, China oder Schweden ist, der wächst fast überall. Der kann auch in Deutschland wachsen. Der ist auch früher angebaut worden. Die Köhler haben das gemacht und wo so der Beruf des Köhlers ausgestorben ist, ist auch die Tradition verloren gegangen, Senf anzubauen. Man unterscheidet zweierlei Senfsorten: also helle und dunkle Senfsaat, wobei die helle mehr die Würze gibt und die dunkle mehr die Schärfe. Das ist also so das Geheimnis eines jeden Senfmüllers, wie er das so zusammenmischt."

    Das erste überlieferte Rezept zur Senfbereitung verfasste der Römer Columella im ersten Jahrhundert nach Christus. Zuvor war nur das Mehl der Körner als Gewürz, aber auch als Heilmittel gebräuchlich. Über China und Kleinasien gelangten die Senfkörner nach Griechenland und damit in den abendländischen Kulturkreis, wo der Senf im achten Jahrhundert erstmals in einer Schrift Karls des Großen erwähnt wird.

    Ruth Breuer ist Senfmüllerin in der fünften Generation. So wie die Köhler im Nebenbeibetrieb Senfkörner anbauten, so war auch die Familie Breuer jahrzehntelang nicht nur auf Senf spezialisiert.
    "Es war auch so, dass der Ururgroßvater anfangs mit dem Hundeschlitten raus gefahren ist. Hier war ja auch immer viel Schnee und da ist er so über die Dörfer und hat den Senf angeboten. Wir wissen: nachher ging es ihm so gut, da haben sie ein Pferd angeschafft und kamen natürlich weiter. Und mein Ururgroßvater, der Emil Breuer, der hatte schon ein Auto und einen Fahrer. Und die sind richtig schon nach Frankreich, nach Belgien gefahren und ganz viel nach Düsseldorf, um den Senf zu verkaufen."

    Doch wie das mit Traditionen nun einmal so ist, bedarf es zu ihrer Erhaltung einiger Anstrengungen. Einfach sich so reparieren lässt so eine Senfmühle nämlich nicht.

    "Was man eben auch sehen kann, ist hier die alte Transmission, die alten Zahnräder, das ist wirklich alles original. Nur, wenn man hier genau schaut, sieht man: Der zweite Stein ist ein neuer Stein. Er ist etwas glatter als hier der alte Stein. Das kommt so zustande: Die Steine werden beschlagen. Dazu werden die mit dem Galgen hochgehoben, dann bearbeitet, also diese Rillen, da gibt es ja einen gewissen Abrieb, müssen nachbearbeitet werden.

    Da ist irgendwann dieser Galgen abgebrochen, der war angerostet, wir haben das nicht gesehen. Der Stein ist runter gekommen, ist zum Glück keinem was passiert, aber war kaputt. Ja, und jetzt mussten wir also suchen: Wer macht uns nun einen Stein und da merkt man einfach: Das ist sterbendes Handwerk."

    Die kleinen Senfmühlen jedoch finden ihre Absatz-Nische bei all denen, die den Senf als Delikatesse für sich entdeckt haben. Die Würze der armen Leute, wie man sie im Mittelalter nannte, hatte seit jeher ihre luxuriösen Seiten.

    Die Stadt Dijon, die im 13. Jahrhundert ein Monopol auf die Senfherstellung erhielt, gibt auch heute noch ihren Namen für französischen Delikatesssenf - in seiner klassischen Variante scharf und fein gemahlen.

    "Der typische Französische Senf, der Dijon-Senf, ist eigentlich mit Wein statt mit Essig gemacht, das ist eigentlich ein typischer Mostard, wie der Name auch sagt - Mostard - da steckt der Name auch drin: Most."

    Seine charakteristische helle Farbe erhält der Dijon-Senf, weil er aus dem hellgelben Kern des Senfkorns hergestellt wird - im Gegensatz zum dunklen Düsseldorfer Konkurrenten, der aus nicht entölten, dunklen Senfkörnern gewonnen wird. Auch er hat es geschafft, seinen Markennamen bis heute schützen zu lassen. Nur Senf, der in der Rheinmetropole hergestellt wurde, darf den Zusatz "Düsseldorfer" tragen.

    In Düsseldorfer Art wird er auch in Monschau noch heute hergestellt. Eine Reise in die dortige Senfmühle ist auch eine Reise in die Alltagsgeschichte des Senfs. In den kleinen Räumen der Mühle, bestückt mit alten Steingut- und Keramiktöpfen, in denen früher Senf abgefüllt war, hängt auch das amtliche Dokument, mit dem alles anfing. Juniorchefin Ruth Breuer liest vor.

    "Den geehrten Bewohnern und Geschäftsleuten Montjoies, das ist Monschau, wie es früher hieß, und Umgebung zur gepflogenen Nachricht, ich weiß nicht, was die Abkürzung bedeutet, dass wir am hiesigen Platze eine Fabrik in echtem Düsseldorfer Senf errichtet haben und bitten unter Zusicherung nur reiner und guter Ware um geneigten Zuspruch. Montjoie im Februar 1883. Hochachtungsvoll Gebrüder H. und A. Breuer. Bestellungen, respektive Verkaufsstelle in der Metallwarenhandlung von Heinrich Breuer."

    So bedeutende Kunstwerke wie van Goghs "Stillleben mit Steingut, Flasche und Schachtel", auf dem ein Topf mit Düsseldorfer Senf abgebildet ist, wird man in der Monschauer Mühle nicht finden, aber auch Alltagsgegenstände haben ihren eigenen Wert, wie Ruth Breuer weiß.

    "Wir sammeln natürlich alles, was irgendwie mit Senf zu tun hat. Hier diese ganzen Eisentöpfchen. Wir haben richtig wertvolle Töpfchen dabei, sind ganz skurrile Töpfchen dabei: ein Mönch als Senftopf oder ein Klo, so ein bisschen verrückt. Dann diese alten, wo man so abgezapft hat, wie man das heute von der Mayonnaise so kennt.

    Die Firmen, die gibt es zum großen Teil überhaupt nicht mehr. Ich hatte neulich eine ältere Dame hier in der Führung, dann sagt sie: ’Ach, lass uns mal suchen, wir hatten früher auch Senf, haben Sie nicht den Topf?’ Und wir haben gesucht und gesucht. Wir haben ihn auch gefunden. Das war also hier aus Neuwied. Und die hat sich so gefreut, dass es für uns eine Bedeutung hat und für sie auch eine Bedeutung hat."