Das andere, das bessere Deutschland, das waren und sind die Emigranten und die Widerstandskämpfer. Noch in den 70er Jahren musste man sie in diesem Land verteidigen gegen den Vorwurf des Vaterlandsverrats - Emigranten wie Willy Brandt, oder die Offiziere des 20. Juli 1944. Heute gehören sie zur offiziell beglaubigten Tradition der Republik. Gerade das macht eine geschichtswissenschaftliche Kontroverse über den Kreis um Henning von Tresckow und andere Protagonisten des 20. Juli 1944, die ab 1941 am Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion beteiligt waren, so brisant.
Der Streit, ausgetragen in den renommierten "Vierteljahresheften für Zeitgeschichte", dreht sich um die Frage, wann diese Generalstabsoffiziere der Heeresgruppe Mitte von den Morden an russischen Juden erfahren haben und ob Empörung darüber das entscheidende Motiv ihres Widerstandes gegen Hitler war. Anders gefragt: Hing die Wandlung gehorsamer Soldaten zu Regimegegnern vom Stand des Kriegsglücks ab oder war sie von Anfang an das Resultat ethischer Selbstprüfung? Ein Streit, in dem junge Widerstandsforscher gegen einen Nestor der deutschen Zeitgeschichtsschreibung stehen: Johannes Hürter und Felix Römer, beide noch am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karrieren, gegen Hermann Graml, Jahrgang 1928, seit mehr als 50 Jahren dem Münchner Institut für Zeitgeschichte verbunden und lange Zeit Chefredakteur der "Vierteljahreshefte".
Die Kontroverse begann mit einem Quellenfund: In den Archiven der Beauftragten für die Stasi-Unterlagen war Johannes Hürter auf Aktenmaterial gestoßen, das die Sowjetunion 1945 beschlagnahmt, später aber an die DDR zurückgegeben hatte – als Material zur Vorbereitung von Kriegsverbrecherprozessen. Es handelte sich um zwei Tätigkeitsberichte der Einsatzgruppe B – eines jener Mordkommandos aus Himmlers Reichssicherheitshauptamt, die hinter der kämpfenden Truppe massenhaft Partisanen, Juden und Kommunisten exekutierten. Beide Dokumente waren Mitte Juli 1941 über die Schreibtische des Generalstabs der Heeresgruppe Mitte gegangen, von Tresckow und sein späterer Mitverschwörer von Gersdorff hatten sie abgezeichnet. Anders als in den Memoiren überlebender Widerständler behauptet, könne zu diesem Zeitpunkt von Protesten aus dem Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte gegen die Liquidierung sowjetischer Kommissare und russischer Juden nicht die Rede sein, schreibt Hürter. Erst nachdem die Einsatzgruppe B im Oktober 1941 in der weißrussischen Stadt Borissow, die unter Militärverwaltung stand, etwa 8000 Juden – Männer, Frauen und Kinder – ermordet hatte, habe sich unter jüngeren Offizieren Empörung geregt. Sie fand im Dezember 1941 ihren Niederschlag in einer Eintragung ins Kriegstagebuch der Heeresgruppe. Zu der Zeit aber hatte sich der Blitzkrieg gegen die Sowjetunion schon festgefahren. Die Kritik am Judenmord und die Kritik an Hitlers Strategie, so argumentiert Hürter, gingen Hand in Hand. Der "Aufstand des Gewissens" sei also keineswegs nur eine Sache der Moral gewesen, sondern habe sich entzündet, als die militärische Lage an der Ostfront schlechter wurde und das Scheitern nicht mehr auszuschließen war. Vorher habe die Heeresgruppe den Mordkommandos der Einsatzgruppe reichlich Spielraum gelassen.
Hürters Einschätzung deckt sich mit neueren Erkenntnissen über die Kriegführung im Osten, die zum Teil im Umfeld der Wehrmachtsausstellung gewonnen wurden. Für den Historiker Hermann Graml aber war diese Betrachtung der Motivlage der Militäropposition durch jüngere Forscher ein Sakrileg. Er hielt dagegen die Überzeugung, - Zitat – "dass wir es bei den Verschwörern gegen Hitler mit einer sowohl geistigen wie charakterlichen Elite zu tun haben."
Mit anderen Worten: An der Geradlinigkeit und am preußisch-christlichen Ethos der Männer des 20. Juli, die größtenteils ihren Widerstand mit dem Leben bezahlten, darf nicht gezweifelt werden, auch wenn die Aktenlage dem geschichtspolitisch korrekten Bild ein paar Nuancen hinzufügt, die die Helden nicht von vornherein als heldenhaft erscheinen lassen. Graml argumentiert ex post, vom Attentat auf den Diktator her, zu dem sich nach seiner Ansicht nur entschließen konnte, wer allzeit untadelig den Weg in die Opposition ging.
Doch die Farbe, mit der die Jünger Clios das Bild der Geschichte malen, ist ein ziemlich gedecktes Grau. Gramls Kontrahenten in der Historikerdebatte um die Motive der Männer des 20. Juli sind denn auch keine Bilderstürmer, die den Mut der Widerstandskämpfer hinwegdiskutieren wollen. Es geht ihnen vor allem um einen methodisch sauberen Umgang mit den wenigen authentischen Schriftquellen, in denen die Spuren der Akteure zu verfolgen sind.
Die Kontroverse verweist auf ein Generationenproblem: Graml begann seine wissenschaftliche Laufbahn in den 50er Jahren – zu einer Zeit, in der man einen notorischen Nazi wie Otto Ernst Remer, der 1944 in Berlin Stauffenberg und seine Männer ans Messer lieferte, vor Gericht bringen musste, um ihn daran zu hindern, die Widerstandskämpfer posthum als Verräter zu diffamieren. Das mag die Zähigkeit erklären, mit der heute ein verdienter Zeithistoriker an einer geschichtspolitischen Konstruktion festhält, über die die neuere Forschung mit knochentrockenem Realismus hinweggeht.
Gramls junge Kollegen aber sollte man daran erinnern, dass der Widerstand eines kleinen Teils der militärischen Funktionselite des Dritten Reiches nur möglich war, weil diese Offiziere tatsächlich im inneren Zirkel der Macht agierten und lange Zeit genau das taten, was von Experten erwartet wird: Sie funktionierten im Sinne des Systems. Aber eben nicht bis zum Ende. Und deshalb hat diese Debatte dann doch einen Hauch vom Streit um Hitlers Bärtchen.
Der Streit, ausgetragen in den renommierten "Vierteljahresheften für Zeitgeschichte", dreht sich um die Frage, wann diese Generalstabsoffiziere der Heeresgruppe Mitte von den Morden an russischen Juden erfahren haben und ob Empörung darüber das entscheidende Motiv ihres Widerstandes gegen Hitler war. Anders gefragt: Hing die Wandlung gehorsamer Soldaten zu Regimegegnern vom Stand des Kriegsglücks ab oder war sie von Anfang an das Resultat ethischer Selbstprüfung? Ein Streit, in dem junge Widerstandsforscher gegen einen Nestor der deutschen Zeitgeschichtsschreibung stehen: Johannes Hürter und Felix Römer, beide noch am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karrieren, gegen Hermann Graml, Jahrgang 1928, seit mehr als 50 Jahren dem Münchner Institut für Zeitgeschichte verbunden und lange Zeit Chefredakteur der "Vierteljahreshefte".
Die Kontroverse begann mit einem Quellenfund: In den Archiven der Beauftragten für die Stasi-Unterlagen war Johannes Hürter auf Aktenmaterial gestoßen, das die Sowjetunion 1945 beschlagnahmt, später aber an die DDR zurückgegeben hatte – als Material zur Vorbereitung von Kriegsverbrecherprozessen. Es handelte sich um zwei Tätigkeitsberichte der Einsatzgruppe B – eines jener Mordkommandos aus Himmlers Reichssicherheitshauptamt, die hinter der kämpfenden Truppe massenhaft Partisanen, Juden und Kommunisten exekutierten. Beide Dokumente waren Mitte Juli 1941 über die Schreibtische des Generalstabs der Heeresgruppe Mitte gegangen, von Tresckow und sein späterer Mitverschwörer von Gersdorff hatten sie abgezeichnet. Anders als in den Memoiren überlebender Widerständler behauptet, könne zu diesem Zeitpunkt von Protesten aus dem Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte gegen die Liquidierung sowjetischer Kommissare und russischer Juden nicht die Rede sein, schreibt Hürter. Erst nachdem die Einsatzgruppe B im Oktober 1941 in der weißrussischen Stadt Borissow, die unter Militärverwaltung stand, etwa 8000 Juden – Männer, Frauen und Kinder – ermordet hatte, habe sich unter jüngeren Offizieren Empörung geregt. Sie fand im Dezember 1941 ihren Niederschlag in einer Eintragung ins Kriegstagebuch der Heeresgruppe. Zu der Zeit aber hatte sich der Blitzkrieg gegen die Sowjetunion schon festgefahren. Die Kritik am Judenmord und die Kritik an Hitlers Strategie, so argumentiert Hürter, gingen Hand in Hand. Der "Aufstand des Gewissens" sei also keineswegs nur eine Sache der Moral gewesen, sondern habe sich entzündet, als die militärische Lage an der Ostfront schlechter wurde und das Scheitern nicht mehr auszuschließen war. Vorher habe die Heeresgruppe den Mordkommandos der Einsatzgruppe reichlich Spielraum gelassen.
Hürters Einschätzung deckt sich mit neueren Erkenntnissen über die Kriegführung im Osten, die zum Teil im Umfeld der Wehrmachtsausstellung gewonnen wurden. Für den Historiker Hermann Graml aber war diese Betrachtung der Motivlage der Militäropposition durch jüngere Forscher ein Sakrileg. Er hielt dagegen die Überzeugung, - Zitat – "dass wir es bei den Verschwörern gegen Hitler mit einer sowohl geistigen wie charakterlichen Elite zu tun haben."
Mit anderen Worten: An der Geradlinigkeit und am preußisch-christlichen Ethos der Männer des 20. Juli, die größtenteils ihren Widerstand mit dem Leben bezahlten, darf nicht gezweifelt werden, auch wenn die Aktenlage dem geschichtspolitisch korrekten Bild ein paar Nuancen hinzufügt, die die Helden nicht von vornherein als heldenhaft erscheinen lassen. Graml argumentiert ex post, vom Attentat auf den Diktator her, zu dem sich nach seiner Ansicht nur entschließen konnte, wer allzeit untadelig den Weg in die Opposition ging.
Doch die Farbe, mit der die Jünger Clios das Bild der Geschichte malen, ist ein ziemlich gedecktes Grau. Gramls Kontrahenten in der Historikerdebatte um die Motive der Männer des 20. Juli sind denn auch keine Bilderstürmer, die den Mut der Widerstandskämpfer hinwegdiskutieren wollen. Es geht ihnen vor allem um einen methodisch sauberen Umgang mit den wenigen authentischen Schriftquellen, in denen die Spuren der Akteure zu verfolgen sind.
Die Kontroverse verweist auf ein Generationenproblem: Graml begann seine wissenschaftliche Laufbahn in den 50er Jahren – zu einer Zeit, in der man einen notorischen Nazi wie Otto Ernst Remer, der 1944 in Berlin Stauffenberg und seine Männer ans Messer lieferte, vor Gericht bringen musste, um ihn daran zu hindern, die Widerstandskämpfer posthum als Verräter zu diffamieren. Das mag die Zähigkeit erklären, mit der heute ein verdienter Zeithistoriker an einer geschichtspolitischen Konstruktion festhält, über die die neuere Forschung mit knochentrockenem Realismus hinweggeht.
Gramls junge Kollegen aber sollte man daran erinnern, dass der Widerstand eines kleinen Teils der militärischen Funktionselite des Dritten Reiches nur möglich war, weil diese Offiziere tatsächlich im inneren Zirkel der Macht agierten und lange Zeit genau das taten, was von Experten erwartet wird: Sie funktionierten im Sinne des Systems. Aber eben nicht bis zum Ende. Und deshalb hat diese Debatte dann doch einen Hauch vom Streit um Hitlers Bärtchen.